Was uns Angst macht und warum wir fürchten
Angst sitzt in den Fugen des Alltags, Angst belastet die Krankenkassen, Angst ist krankhaft modern: Eine Potsdamer Tagung nahm sich jetzt des Themas an. Dabei erfuhren die Teilnehmer unter anderem, dass Angst ein Leitfaden sein kann, der von den Pharaonen in die Adenauer-Ära führt.
Auf der einen Seite Theodor Adorno. Es sei das Anliegen der Aufklärung gewesen, den Menschen die Furcht zu nehmen, aber – so die berühmte Formulierung – "die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils."
Auf der anderen Seite www.phobialist.com, ein Verzeichnis aller bekannten Phobien. Es weist allein unter c von cancerphobia, der Angst vor Krebs, bis crystallophobia, der Angst vor Glas, 51 Phobien nach; insgesamt sind es über 600.
Angst sitzt in den Fugen des Alltags, Angst belastet die Krankenkassen, Angst ist krankhaft modern – und deshalb war es eine gute Idee von Rüdiger Zill, dem wissenschaftlichen Leiter der Potsdamer Tagung, zum Auftakt den Ägyptologen Jan Assman sprechen zu lassen.
Vor drei-, vier-, fünftausend Jahren fürchteten sich die Ägypter vor dem Chaos von unten, vor dem Durcheinanderbringer Mensch, und installierten den starken Staat. Das alttestamentliche Israel dagegen, von Fremdherrschaft und unfähigen Königen malträtiert, fürchtete das Chaos von oben, und installierte das Gesetz.
Die beiden Verarbeitungsmuster von Angst, so Jan Assmann, haben sich bis in die modernen Staatslehren erhalten.
"In der Bibel artikuliert sich eine Haltung zum Staat, eine Tradition, die durchaus auch in der abendländischen Geschichte – Widerstandrecht, ziviler Ungehorsam, schon bei Luther in der Reformation – eine Tradition die von daher in der abendländischen Geschichte genauso wirkmächtig ist, wie auf der anderen Seite eben diese Ideologie der Bändigung des Chaos von unten durch den starken Staat, von Hobbes bis Carl Schmitt bis zu den Neokons in Amerika."
Nach der einschlägigen Definition bezieht sich Furcht immer auf ein konkretes Objekt, während Angst – der Umgangssprache zum Trotz, in der man sich vor einem Kampfhund durchaus ängstigen kann – letztlich unbestimmt ist.
"Das, wovor die Angst sich ängstigt, ist das In-der-Welt-Sein", behauptete Martin Heidegger. So universal denkt sich Jan Assmann die Angst nicht. Doch er hält sie wie das Erotische, also das Begehren, und das Thymotische, den Zorn – dem jüngst Peter Sloterdijk in Zorn und Zeit zu neuem Ruhm verhalf – für eine dritte relevante Kraft im geschichtlich-kulturellen Prozess, wie man krass am deutschen Nationalsozialismus zeigen könnte. Das Begehren wurde mit Eroberungen gestillt, dem Zorn trug der eleminatorische Rassismus Rechnung; die Angst kulminierte in der Verschwörungstheorie vom Weltjudentum – und natürlich im mörderisch starken Führerstaat, der das Befürchtete abwehren sollte.
Jan Assmann liest die Geschichte der Bundesrepublik vor diesem Hintergrund.
"Unbedingt ist die Nachkriegsgeschichte Deutschlands eine Verarbeitung dieses Traumas und eine ganz entschiedene Bewegung in der Gegenrichtung. Also die Vermeidung jeder Staatsrepräsentation in der Bonner Republik, diese Architektur der Bescheidenheit, des Understatements, das Provisorium, Bonn, die Bundeshauptstadt, ein reines Provisorium, gewollt als solches."
Womit bewiesen war, dass Angst ein Leitfaden sein kann, der von den Pharaonen in die Adenauer-Ära führt.
Und dass dabei die ganz harte wissenschaftliche Präzision fehlte, passte zum Saloncharakter der Angst-Tagung, die wie ihre Vorgänger zum Mitgefühl und zum Neid in der Serie "Passion(s) in Culture(s)" kein elitäres Forschungslaboratorium sein wollte. Auch die intelligente Öffentlichkeit war der Adressat. Vor allen Vorträgen gab es ernste oder ironische Videoclips aus der Serie "Kaleidoskop der Angst" von Peter Schnappauf zu sehen.
Tagungsleiter Rüdiger Zill.
"Es gibt da ein generelles Ziel am Einstein-Forum, Tagungen nicht einfach als Sprachwüsten zu präsentieren, wo man dann die Kaffeepausen fast nötiger braucht als die Vorträge, sondern es sowohl, was die Präsentation der Vorträge selbst angeht, als auch die Verschränkung mit anderen Dingen, doch versucht, neue Wege zu gehen."
Die Angst in der allerneusten Geschichte – das ist die Angst nach dem 11. September und wie sie zu Krieg weiterverarbeitet wurde. Sigmund Freud unterschied zwischen Realangst und der flottierenden neurotischen Angst, die zur Furcht wird – also schon annehmbarer – wenn sie ein Objekt gefunden hat.
Im Fall George W. Bushs, im Fall der amerikanischen Politik, der der amerikanische Historiker Richard Hofstadter schon vor vierzig Jahren einen "paranoiden Stil" bescheinigt hat, war das gesuchte Objekt das Arsenal von Saddams Massenvernichtungswaffen, das es gar nicht gab – aber egal. Historiker Hans-Dieter Kittsteiner:
"Das angstauslösende Faktum ist eigentlich, dass kein Punkt sichtbar ist, an dem das Handeln ansetzen kann ... Da war ein Geschichtszeichen von erheblichem Ausmaß, nämlich die beiden Türmen in New York. Und nun muss gehandelt werden. Es bestand auch einfach ein Handlungsbedarf. Die politische Klasse musste zeigen, jetzt wird etwas getan. Und das wirkt beruhigend."
Mittlerweile ängstigt der Umgang Amerikas mit seinen Ängsten den Rest der Welt – andererseits stehen den regierungsamtlichen Paranoia regierungskritische Paranoia gegenüber.
Die Verschwörungstheorien nach 9/11 – wies die Literaturwissenschaftlerin Eva Horn nach – sind genauso unglaublich wie das Waffenvernichtungsmärchen. Bis heute hält sich die These – im Internet gibt es detaillierte Filme wie Loose change darüber –, dass die Twintowers von der CIA persönlich gesprengt wurden. Die Verschwörungstheoretiker fürchten laut Horn den totalen Kontrollverlust, weshalb ihnen der Gedanke womöglich lieb ist, die berühmte CIA hätte ihr Können wenigstens bei der Sprengung bewiesen.
Aber muss man die Angst eigentlich dermaßen bekämpfen, dass man verrückt wird durch sie? Hans-Dieter Kittsteiner.
"Ich würde eher argumentieren, die Menschen sollten eher versuchen, mit ihren Ängsten zu leben als zwanghaft diese Abwehrmechanismen. Wer sagt denn, dass ein Leben ohne Angst – es sei denn, es nimmt klinische Formen an –, wer sagt denn, dass ein Leben ohne Angst glücklicher ist als eines mit Angst. Man kann auch trainieren, sich unverfügbaren Prozessen hinzugeben. Im Grunde tun wir das im täglichen leben auch, denn keiner weiß, wie eine Liebesbeziehung endet. Das ist auch ein unverfügbarer Prozesse."
Würde der ewige Frieden anbrechen, bliebe das Kino der bevorzugte Ort, Angst zu empfinden – daran zweifelte in Potsdam niemand, nachdem die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen ihre nahezu unkontrollierbaren Affekte angesichts von Stanley Kubricks Shining und anderen Blutgefrierungsstreifen vorgestellt hatte. Kubrick setzte in Shining die so genannte Travel-Kamera ein, die nach Bronfens Ansicht direkt in die Angst fährt.
"Das Schreckliche ist die Art und Weise, wie diese Kamera herumfährt, weil sie auch fast wie was Geisterhaftes darstellt: Die jetzt nicht nur zeigt, wie sieht der Raum aus, was die Kamera normalerweise machen soll, aber weil sie da so bedrohlich rumkreist, und auch nicht mehr so klar ist, wer steht eigentlich hinter dieser Kamera, hat man das Gefühl, sie produziert einen Raum für Angst, aber auch Raum der Angst."
Die Angst wechselt oft die Kleider - aber sie hat niemals keine Konjunktur. Rüdiger Zill.
"Wenn Sie es vergleichen mit so Themen wie Neid oder Mitgefühl oder Hass – auch das hat natürlich seine Konjunkturen, – aber da sind sicherlich im weitesten Sinne Sex, Liebe, et cetera und Angst die erfolgreichsten Gefühle."
Auf der anderen Seite www.phobialist.com, ein Verzeichnis aller bekannten Phobien. Es weist allein unter c von cancerphobia, der Angst vor Krebs, bis crystallophobia, der Angst vor Glas, 51 Phobien nach; insgesamt sind es über 600.
Angst sitzt in den Fugen des Alltags, Angst belastet die Krankenkassen, Angst ist krankhaft modern – und deshalb war es eine gute Idee von Rüdiger Zill, dem wissenschaftlichen Leiter der Potsdamer Tagung, zum Auftakt den Ägyptologen Jan Assman sprechen zu lassen.
Vor drei-, vier-, fünftausend Jahren fürchteten sich die Ägypter vor dem Chaos von unten, vor dem Durcheinanderbringer Mensch, und installierten den starken Staat. Das alttestamentliche Israel dagegen, von Fremdherrschaft und unfähigen Königen malträtiert, fürchtete das Chaos von oben, und installierte das Gesetz.
Die beiden Verarbeitungsmuster von Angst, so Jan Assmann, haben sich bis in die modernen Staatslehren erhalten.
"In der Bibel artikuliert sich eine Haltung zum Staat, eine Tradition, die durchaus auch in der abendländischen Geschichte – Widerstandrecht, ziviler Ungehorsam, schon bei Luther in der Reformation – eine Tradition die von daher in der abendländischen Geschichte genauso wirkmächtig ist, wie auf der anderen Seite eben diese Ideologie der Bändigung des Chaos von unten durch den starken Staat, von Hobbes bis Carl Schmitt bis zu den Neokons in Amerika."
Nach der einschlägigen Definition bezieht sich Furcht immer auf ein konkretes Objekt, während Angst – der Umgangssprache zum Trotz, in der man sich vor einem Kampfhund durchaus ängstigen kann – letztlich unbestimmt ist.
"Das, wovor die Angst sich ängstigt, ist das In-der-Welt-Sein", behauptete Martin Heidegger. So universal denkt sich Jan Assmann die Angst nicht. Doch er hält sie wie das Erotische, also das Begehren, und das Thymotische, den Zorn – dem jüngst Peter Sloterdijk in Zorn und Zeit zu neuem Ruhm verhalf – für eine dritte relevante Kraft im geschichtlich-kulturellen Prozess, wie man krass am deutschen Nationalsozialismus zeigen könnte. Das Begehren wurde mit Eroberungen gestillt, dem Zorn trug der eleminatorische Rassismus Rechnung; die Angst kulminierte in der Verschwörungstheorie vom Weltjudentum – und natürlich im mörderisch starken Führerstaat, der das Befürchtete abwehren sollte.
Jan Assmann liest die Geschichte der Bundesrepublik vor diesem Hintergrund.
"Unbedingt ist die Nachkriegsgeschichte Deutschlands eine Verarbeitung dieses Traumas und eine ganz entschiedene Bewegung in der Gegenrichtung. Also die Vermeidung jeder Staatsrepräsentation in der Bonner Republik, diese Architektur der Bescheidenheit, des Understatements, das Provisorium, Bonn, die Bundeshauptstadt, ein reines Provisorium, gewollt als solches."
Womit bewiesen war, dass Angst ein Leitfaden sein kann, der von den Pharaonen in die Adenauer-Ära führt.
Und dass dabei die ganz harte wissenschaftliche Präzision fehlte, passte zum Saloncharakter der Angst-Tagung, die wie ihre Vorgänger zum Mitgefühl und zum Neid in der Serie "Passion(s) in Culture(s)" kein elitäres Forschungslaboratorium sein wollte. Auch die intelligente Öffentlichkeit war der Adressat. Vor allen Vorträgen gab es ernste oder ironische Videoclips aus der Serie "Kaleidoskop der Angst" von Peter Schnappauf zu sehen.
Tagungsleiter Rüdiger Zill.
"Es gibt da ein generelles Ziel am Einstein-Forum, Tagungen nicht einfach als Sprachwüsten zu präsentieren, wo man dann die Kaffeepausen fast nötiger braucht als die Vorträge, sondern es sowohl, was die Präsentation der Vorträge selbst angeht, als auch die Verschränkung mit anderen Dingen, doch versucht, neue Wege zu gehen."
Die Angst in der allerneusten Geschichte – das ist die Angst nach dem 11. September und wie sie zu Krieg weiterverarbeitet wurde. Sigmund Freud unterschied zwischen Realangst und der flottierenden neurotischen Angst, die zur Furcht wird – also schon annehmbarer – wenn sie ein Objekt gefunden hat.
Im Fall George W. Bushs, im Fall der amerikanischen Politik, der der amerikanische Historiker Richard Hofstadter schon vor vierzig Jahren einen "paranoiden Stil" bescheinigt hat, war das gesuchte Objekt das Arsenal von Saddams Massenvernichtungswaffen, das es gar nicht gab – aber egal. Historiker Hans-Dieter Kittsteiner:
"Das angstauslösende Faktum ist eigentlich, dass kein Punkt sichtbar ist, an dem das Handeln ansetzen kann ... Da war ein Geschichtszeichen von erheblichem Ausmaß, nämlich die beiden Türmen in New York. Und nun muss gehandelt werden. Es bestand auch einfach ein Handlungsbedarf. Die politische Klasse musste zeigen, jetzt wird etwas getan. Und das wirkt beruhigend."
Mittlerweile ängstigt der Umgang Amerikas mit seinen Ängsten den Rest der Welt – andererseits stehen den regierungsamtlichen Paranoia regierungskritische Paranoia gegenüber.
Die Verschwörungstheorien nach 9/11 – wies die Literaturwissenschaftlerin Eva Horn nach – sind genauso unglaublich wie das Waffenvernichtungsmärchen. Bis heute hält sich die These – im Internet gibt es detaillierte Filme wie Loose change darüber –, dass die Twintowers von der CIA persönlich gesprengt wurden. Die Verschwörungstheoretiker fürchten laut Horn den totalen Kontrollverlust, weshalb ihnen der Gedanke womöglich lieb ist, die berühmte CIA hätte ihr Können wenigstens bei der Sprengung bewiesen.
Aber muss man die Angst eigentlich dermaßen bekämpfen, dass man verrückt wird durch sie? Hans-Dieter Kittsteiner.
"Ich würde eher argumentieren, die Menschen sollten eher versuchen, mit ihren Ängsten zu leben als zwanghaft diese Abwehrmechanismen. Wer sagt denn, dass ein Leben ohne Angst – es sei denn, es nimmt klinische Formen an –, wer sagt denn, dass ein Leben ohne Angst glücklicher ist als eines mit Angst. Man kann auch trainieren, sich unverfügbaren Prozessen hinzugeben. Im Grunde tun wir das im täglichen leben auch, denn keiner weiß, wie eine Liebesbeziehung endet. Das ist auch ein unverfügbarer Prozesse."
Würde der ewige Frieden anbrechen, bliebe das Kino der bevorzugte Ort, Angst zu empfinden – daran zweifelte in Potsdam niemand, nachdem die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen ihre nahezu unkontrollierbaren Affekte angesichts von Stanley Kubricks Shining und anderen Blutgefrierungsstreifen vorgestellt hatte. Kubrick setzte in Shining die so genannte Travel-Kamera ein, die nach Bronfens Ansicht direkt in die Angst fährt.
"Das Schreckliche ist die Art und Weise, wie diese Kamera herumfährt, weil sie auch fast wie was Geisterhaftes darstellt: Die jetzt nicht nur zeigt, wie sieht der Raum aus, was die Kamera normalerweise machen soll, aber weil sie da so bedrohlich rumkreist, und auch nicht mehr so klar ist, wer steht eigentlich hinter dieser Kamera, hat man das Gefühl, sie produziert einen Raum für Angst, aber auch Raum der Angst."
Die Angst wechselt oft die Kleider - aber sie hat niemals keine Konjunktur. Rüdiger Zill.
"Wenn Sie es vergleichen mit so Themen wie Neid oder Mitgefühl oder Hass – auch das hat natürlich seine Konjunkturen, – aber da sind sicherlich im weitesten Sinne Sex, Liebe, et cetera und Angst die erfolgreichsten Gefühle."