Was sind uns die Menschenrechte heute wert?

Gäste: Wolfgang Grenz (Vize-Generalsekretär von Amnesty Deutschland), Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen) · 28.05.2011
"Auf die Freiheit!", dieser Trinkspruch – ausgebracht im Frühjahr 1961 von zwei portugiesischen Studenten - markiert den Beginn einer der erfolgreichsten Nichtregierungs-Organisationen der Welt, von Amnesty International.
"Freiheit", eines der verbotenen Worte in der Salazar-Diktatur, brachte den Studenten eine Haftstrafe von sieben Jahren. Die Nachricht ihrer Inhaftierung veranlasste den britischen Rechtsanwalt Peter Benenson zu einem Zeitungsartikel, in dem er um Solidarität für die Gefangenen bat. Am 28. Mai 1961 gründete er Amnesty International. Heute zählt "ai" rund drei Millionen Mitglieder und Unterstützer in über 150 Staaten.

"Anders als noch vor einigen Jahrzehnten stehen heute Regierungen unter einem
Rechtfertigungsdruck, wenn gegen sie der Vorwurf der Menschenrechtsverletzung erhoben wird","

sagt Wolfgang Grenz, der Vize-Generalsekretär von Amnesty Deutschland.

""Ich glaube, unser Engagement gegen Folter und Todesstrafe hat weltweit die Debatte darüber stark verändert. Auch unsere Arbeit gegen die Straflosigkeit: Als der chilenische Diktator Augusto Pinochet 1998 in London verhaftet wurde, war das ein großer Erfolg. Viele Machthaber haben registriert, dass sie wegen Menschenrechtsverletzungen angeklagt werden können.""

Der Jurist und Asylexperte, der sich seit mehr als 30 Jahren bei Amnesty engagiert, kennt aber auch die Grenzen und Rückschläge der Menschenrechtsarbeit, wenn politische oder wirtschaftliche Interessen im Wege stehen. Dies zeige aktuell auch die Inhaftierung des chinesischen Künstlers Ai Weiwei.

Diese Kluft zwischen Menschenrechten und Realpolitik erlebt auch die Grünen-Politikerin Marieluise Beck, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages.

"Das Selbstbewusstsein, mit dem sich China auf der internationalen Bühne bewegt, führt dazu, dass zwar jeder deutsche Ministerpräsident brav eine Liste mit fünf Namen übergibt, aber die wird ihm abgenommen, vom Protokollchef weitergereicht, das war`s. Menschenrechtspolitik bewegt sich immer auch zwischen geostrategischen Interessen und wird untergemangelt. Aber ich kann mich nicht schreiend vors Brandenburger Tor stellen, das wäre eine kurze Nachricht, mehr nicht. Das ist ein ständiges Ringen."

Wie kaum ein anderer in der westlichen Politik hat die Grünen-Sprecherin für Osteuropa den Prozess gegen den russischen Oligarchen Michail Chodorkowsky beobachtet.

"Natürlich ist das katastrophal, wenn ich sehe, dass ich durch die Weltgeschichte reise und Zehntausende Tonnen von CO2 verbrauche, wenn ich mich in parlamentarische Versammlungen setze und Berichte schreibe, und dann lese ich von Treffen von Putin mit den Chefs von Daimler oder von Banken, und keiner sagt, 'Herr Ministerpräsident, die Tatsache, dass Firmen wie Yukos zerschlagen werden, gefällt uns nicht.'"

Realität sei, "dass Russland einer der wenigen Märkte ist, auf dem die deutsche Wirtschaft noch Geld machen kann." Frei nach dem Motto: Geld stinkt nicht. Deshalb werde man sich auch wegen Tibet nicht ernsthaft mit China anlegen.

Umso wichtiger sei auch nach 50 Jahren die Arbeit von Amnesty International:

"ai ist eine Instanz, die eine hohe Zuschreibung von moralischer Glaubwürdigkeit hat, und das ist immer auch von großem Nutzen für die Politik, bis hinunter zu den Gemeinden. Es gibt ja durchaus Netzwerksysteme auch für weniger prominente politische Gefangene, für die vor Ort Öffentlichkeit hergestellt wird."

"Was sind uns die Menschenrechte heute wert? 50 Jahre Amnesty International"
Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit Marieluise Beck und Wolfgang Grenz. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 – 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de

Informationen im Internet:
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