Was Purim so jüdisch macht

Von Evelyn Bartolmai · 22.02.2013
Purim hat einen sehr weltlichen Hintergrund. Zwar wird der Gedenktag auch mit jüdischen Realitäten gefeiert - aber ebenso mit Gewohnheiten, die aus anderen Kulturen bekannt sind.
Das Buch Esther - die Megillat Esther oder einfach nur die Megille, wie dieses biblische Buch unter Juden heißt - berichtet uns von einer jungen Frau, die als Auserwählte des persischen Königs Ahaschverosch ihr Volk vor der Vernichtung rettet, welche der Minister Haman geplant hatte. Eine scheinbar klare Geschichte - aber eben nur scheinbar, wie der Übersetzer Daniel Ben Khamed aus Bustan HaGalil betont.

In seiner Synagoge leitet Daniel einen Studienkreis, in dem religiöse, aber auch historische Texte gelesen und diskutiert werden. Viele Juden, sagt er, irritiert die scheinbare Ähnlichkeit der ausgelassenen Purim-Umzüge mit dem christlichen Karnevalstreiben, das von Süddeutschland über Venedig und bis Rio längst nicht nur Christen begeistert. Doch bereits der Name der Megille selbst, erklärt Daniel, verweist darauf, dass selten etwas so ist, wie es sich formal und äußerlich präsentiert:

"‘Ester‘ hört sich ja so ähnlich an wie das hebräische Wort ‚hester‘, und das ist ein Verstecken, etwas Verdecktes. Und in dem ganzen Buch ist der Name Gottes nicht einmal erwähnt, aber trotzdem handelt es sich ja da um eine Rettung durch Gott.

Nur müssen wir eben hinter diese Maske blicken und das selber herausfinden, wie Gott wirkt in der Geschichte, denn es ist ja ein sehr geschichtliches Buch. Und deswegen, durch dieses Masken-Tragen, symbolisieren wir auch diesen Zusammenhang und drücken damit aus, dass man auch Menschen hinter ihre Maske gucken sollte, zum Guten und zum Schlechten.""

Hinter der Maske des Perserkönigs Ahaschverosch verbirgt sich ein Mensch, den die Liebe zu einer Frau erweicht und der Unrecht verhindert. Der Minister Haman kaschiert seinen abgrundtiefen Hass auf die Juden mit scheinbarer Loyalität zum König und spielt sich als Sachwalter nationaler Interessen auf, wo es ihm eigentlich nur um Macht und Reichtum geht. Selbst die beiden jüdischen Helden Esther und Mordechai verschleiern lange Zeit ihre wahre Identität:

"‚Esther‘ bedeutet ja eigentlich ‚Astarte‘, und das war eine Gottheit in Babylonien. Und ‚Mordechai‘ war Marduk, das war auch ein Gott, also praktisch Götzendienst! Wie kann es denn sein, dass die Hauptdarsteller unserer Megilla diese Namen tragen?

Und jetzt ist wieder praktisch auf derselben Ausrichtung, man nimmt eine Sache, die negativ belastet ist, und setzt sie zum Guten ein, also man nimmt diese negativ belasteten symbolischen Namen und erhebt sie praktisch in einen anderen Stand. Und das ist auch etwas, was die Megilla lehrt."

Schließlich gibt es noch eine kabbalistische Dimension der Purim-Geschichte, die einen in ihrer Präzision und Weitsicht nur erschauern lässt. Denn die Megillat Esther ist nicht nur ein historisches, sondern bis heute aktuelles Lehrstück zum Thema Antisemitismus, denn eines ihrer tiefen Geheimnisse zielt mit fast unglaublicher Genauigkeit auf ein tatsächlich stattgefundenes Ereignis, nämlich den internationalen Richterspruch nach der Shoah gegen die Nationalsozialisten.

"Und zwar sind einige Buchstaben in der Megilla klein geschrieben, und keiner wusste, warum. Das war also jahrelang auch in Rabbinerkreisen nicht bekannt, warum einige Buchstaben traditionell kleiner geschrieben werden als die anderen. Und eine Buchstabenkombination bei den zehn Söhnen Hamans, die lautet Taw-shin-he, und das wäre in Jahren umgerechnet das Jahr 1946.

Und als in Nürnberg die Nürnberger Prozesse zu Ende gingen, wurden zehn Leute an einem Tag, der auf Purim fiel, die wurden an Purim gehängt. Und laut der Überlieferung soll einer dieser Naziverbrecher vor dem Hängen auf dem Galgen ausgerufen haben: ‚das neue Purim der Juden!‘ - und deswegen hat man das mit diesen klein geschriebenen Buchstaben in Verbindung gebracht, die diese Jahreszahl symbolisieren."

Und schließlich ist Purim mit einer stattlichen Reihe an Ritualen verbunden, man isst traditionell Haman-Taschen, ein sehr süßes Gebäck, man betrinkt sich, bis man nicht mehr zwischen den Namen von Mordechai und Haman unterscheiden kann, und wenn man sich gerade in Israel befindet, kann man den Mega-Staus, die durch die Purim-Paraden allenthalben entstehen, durch eine erste Frühlingswanderung zu den Gräbern von Esther und Mordechai in Nordgaliläa entfliehen.