Was Menschen attraktiv macht

21.06.2010
Was ist Schönheit? Während sich die immer populärer werdende Attraktivitätsforschung bemüht, einen allgemeingültigen Schönheitsbegriff zu entwickeln, gehen die Geisteswissenschaften davon aus, dass unser Empfinden von Schönheit kulturell bestimmt ist - von den Rubensfrauen hin zu den mageren Supermodels des 21. Jahrhunderts.
Dieser Position ist auch das neue kluge Buch "Schönheit als Praxis" des Soziologen Otto Penz verpflichtet. Dabei folgt Penz den Thesen des französischen Soziologen Bordieu - Schönheit ist Macht - und geht davon aus, dass sich die reale soziale Position durch eine klassenspezifische Schönheitspraxis ausdrückt – wobei die obere Klasse weiterhin definiert, was unter "gutem Geschmack" und "natürlicher Schönheit" zu verstehen ist und so ihre symbolische Herrschaft perpetuiert.
Der erste Teil des Buches beschäftigt sich mit den aktuellen Schönheitsdiskursen, die immer noch von der Dominanz des männlichen Blicks geprägt sind. Frauen müssen schön sein; im Geschlechtervergleich ist die weibliche Arbeit am eigenen Aussehen wesentlich aufwendiger. Doch das beginnt, sich zu ändern. Im Zuge der wachsenden wirtschaftlichen Unabhängigkeit von Frauen der oberen und mittleren Klasse geraten auch Männer zunehmend ins Fadenkreuz des Schönheitswahns – auch sie sollen trainiert, schlank und körperhaarbefreit sein.

Im zweiten Teil des Buches untersucht Penz mittels Interviews das Schönheitshandeln der drei Klassen, jeweils getrennt nach Männern und Frauen. Die obere Klasse - hier definiert durch Hochschulabschluss, ein sehr gutes Einkommen und hohes kulturelles Kapital - zeichnet sich durch einen selbstbewussten Umgang mit der eigenen Körperlichkeit aus – Natürlichkeit und Individualität stehen im Vordergrund. Interessant ist hier die umfassende Schönheitspraxis der Männer, deren Aufwand fast an den der Frauen heranreicht, aber mit Begriffen der Fitness, Gesundheit und beruflichen Seriosität legitimiert wird.

In der mittleren Klasse - im vorliegenden Fall meist Angestellte - ist die Schönheitspraxis stark mit persönlichem Wohlbefinden verknüpft. Dazu kommt der Wunsch, nicht aus der Masse herauszuragen – Gepflegtheit ist wichtiger als Individualität, weil nur sie beruflichen Aufstieg verspricht.

In der unteren Klasse - bestehend aus Arbeitern oder Dienstleisterinnen - gibt es die auffälligsten Unterschiedliche zwischen weiblichem und männlichem Schönheitshandeln. Während die Frauen meist darauf angewiesen sind, für ihre kontaktintensiven Berufe besonders gut auszusehen, und in ihrer Körperpflege oft übers Ziel hinausschießen, beschränkt sich die Praxis der Männer meist auf den Kampf gegen den bei körperlicher Arbeit entstehenden Schweißgeruch. Und während Männer der mittleren und oberen Klasse Sport betreiben, sowohl um sich zu entspannen, als auch um ihren Körper zu formen, ist der Körper des klassischen Arbeiters immer noch Produkt seiner beruflichen Tätigkeit.

Otto Penz hat eine klassische Studie vorgelegt – stringent und präzise formuliert und trotzdem spannend. Zurück bleibt die Erkenntnis, dass soziale Ungleichheit sich bis in die körperliche Praxis hinein erstreckt – vielmehr, dass sie genau dort beginnt.

Besprochen von Ariadne von Schirach

Otto Penz: Schönheit als Praxis. Über klassen- und geschlechtsspezifische Körperlichkeit
Campus Verlag, Frankfurt am Main 2010
205 Seiten, 29,90 Euro