"Was machst du, du Arsch?"

Von Thomas Franke · 12.01.2013
In Russland regiert eine unheilige Allianz aus Geheimdienst, Kirche und Kapital. Doch es gibt Menschen in allen Schichten, die massiv dagegen steuern, zum Beispiel der Oligarch Viktor Bondarenko.
Moskau, Stadtrand. Links und rechts hohe Mauern, Wachtürme. Schwellen in der Straße. Überwachungskameras, Stacheldraht. Die Rubljowskoje Chaussee. Hier leben die Reichen und Mächtigen. Hier lebt auch Viktor Bondarenko. Reich wurde er unter anderem mit Autos. Mit Putin und seinem Regierungsstil hatte er früher schon Probleme. Jetzt ist er zornig.

"Bei uns gab es einen klerikalen Staatsstreich. Wir sind kein weltlicher Staat mehr, das steht fest. Ich bin zwar orthodox getauft, habe aber vor einiger Zeit verstanden, dass die Orthodoxie mit Christentum nicht viel zu tun hat."

Für solche Äußerungen wird Bondarenko bedroht. Deshalb lebt er mit Polizeischutz. Er legt aber Wert darauf, den Wachmann aus eigener Tasche zu bezahlen.

"Viele fragen mich, warum tust du dir das an? Schauen Sie, ich wohne im selben Viertel wie der Präsident und der Premierminister. Ich lasse mich in einem Maybach fahren. Ich sage immer, wenn in der Ecke eines Restaurants Banditen ein Mädchen vergewaltigen, werden viele sagen: Guck nicht hin, die haben Pistolen. Aber es gibt immer Leute, die aufstehen und sich wehren. Sogar ohne Waffen. Sie fragen: Was machst du, du Arsch? Ich kann nicht zugucken, wie mein Land vergewaltigt wird."

Die Haushaltshilfe bringt Kaffee. Niedrige Tassen, pastellfarbenes Porzellan, Goldrand. In Bondarenkos Arbeitszimmer sind die Wände über und über mit Ikonen behängt, dutzende Bilder vom 15. Jahrhundert bis heute. Christus mit der Bibel. Die Mutter Gottes mit dem Kind auf dem Arm. Schwarze Rahmen um goldene Heiligenbilder. Es ist die größte private Ikonensammlung in Russland, so heißt es in Fachkreisen. Dazu Bücher, eine Sitzgruppe, ein schwerer alter Holzschreibtisch.

An einem Regal lehnt ein knallgelbes Bild. Darauf steht in roten Lettern: "Chimera Pravoporjadka", "Die Chimäre der Rechtsordnung". Im Zentrum ein Mann in Polizeiuniform, mit Vogelschnabel, spitzen Ohren und Flügelchen. Am Revers Totenköpfe. Die Schulterklappen sind Dollarnoten. Mit spitzen Fingern gängelt er kleine Menschen auf seinem Schreibtisch.

Im Sommer 2012 hat Viktor Bondarenko eine Ausstellung mit dem Titel "Geistliches Gekeife" organisiert. Fundamentalistische Orthodoxe griffen die Eröffnung an und versuchten, Bilder zu zerstören.

"Jetzt versuchen die religiösen Fanatiker, gegen uns ein Strafverfahren anzustrengen. Wegen Anstiftung zu religiösem Hass. Was totaler Schwachsinn ist."

Bondarenko schaut ständig in sein Notizbuch. Darin stehen Zitate und Ereignisse, mit denen er nachweisen möchte, dass die Priester der orthodoxen Kirche unchristlich sind.

"Der Erzpriester und Militärkaplan Dmitrij Smirnow ist meiner Ansicht nach ein Diener des Antichrist. Das ist so einer mit Bart. Schauen Sie, was er gesagt hat, und denken Sie gut darüber nach. Er hat gesagt: 'Humanismus ist ein Kult des Menschen. Humanismus ist eine Religion, in deren Zentrum nicht Gott, sondern der Mensch steht. Deshalb ist der Humanismus eine christushassende Religion.' Menschlichkeit soll Hass auf Christus sein. Stellen Sie sich das vor. Diese Leute sind Diener des Antichristen. Das passiert zurzeit in unserem Land."

Sein grauer Scheitel fällt ihm über die Augenbrauen. Er gestikuliert raumgreifend. Bondarenko holt ein Buch hervor, beigefarbener Umschlag, rote Schrift. "Rossija dlja wsech", "Russland für alle", steht darauf.

Der Katalog zu einer weiteren Ausstellung, die Bondarenko organisiert hat.

"Schauen Sie mal, wie einfach so ein Projekt ist: 'Russland für alle'. Die Ausstellung wurde 2011 in vielen Städten ausgestellt: in Perm, in Tver, in Nischnij Novgorod, im Kreml, im Russischen Museum in St. Petersburg und in Samara. Die Nationalisten sagen, Russland ist für die Russen da. Ich bin Russe. Was machen wir mit der Mutter Gottes, Maria? Sie war Jüdin."

"Jesus Christus: der Mutter nach Jude. Und da gibt es noch andere. Alexander Nevskij, das Gesicht Russlands: Der Enkel einer Ossetin. Und so geht das bis heute. Julij Chariton, sowjetischer Vater der Atombombe, war Jude, Artjom Mikojan, der das MIG Flugzeug erfunden hat, war Armenier. Patriarch Alexius II - ein Deutscher. (Ridiger) Katerina die Große - eine Deutsche, Dostojewksij - polnisch litauische Wurzeln, Tschajkowskij, Enkel eines Franzosen, Wladimir Wysotzkij - Jude, dem Vater nach, David Tuchmanow - Armenier, er hat berühmte Lieder geschrieben, wie zum Beispiel 'Den pobedy, Tag des Sieges'. Echte russische Lieder. Der Rockmusiker Viktorj Zoj ist Koreaner. "Russland für alle" war ein schönes Projekt. Es hat auch viele Diskussionen angestoßen. Mir wurde sofort gedroht, das geht doch nicht, wir rammen dir eine Brechstange ins Ohr. Das waren die russischen Nationalisten."

Viktor Bondarenko ist ein Besessener. Besessen von der Freiheit der Kunst. Das gilt gerade nach dem Prozess gegen Pussy Riot und den Schwierigkeiten, die andere Künstler derzeit in Russland haben, wenn sie sich mit Religion und Kirche auseinandersetzen.

"In jedem Land der Welt gibt es Künstler, die Gott so darstellen, wie sie ihn sehen. Ich finde, es ist das Recht eines Menschen, Gott frei zu interpretieren. Wenn ein Künstler Gott mit Hörnern sieht, muss er das Recht haben, ihn so zu malen. Und niemand darf ihn dafür festnehmen, zum Verhör laden oder versuchen, ihn ins Gefängnis zu sperren."

"Pussy Riot hat sich sehr nah ans Herz und ans Leben dieses Biests Orthodoxie geschlichen, das uns seit tausend Jahren im Griff hat."

Viktor Bondarenko zeigt ein Foto in einer Zeitung. Darauf ein orthodoxer Priester, der eine Fahne segnet: Totenköpfe auf schwarzem Grund, "Pravoslavie ili smertj", "Orthodoxie oder Tod", steht unter den Schädeln, die auf Messer beißen.

"Die russisch-orthodoxe Kirche kommt jetzt mit so einem Symbol: Orthodoxie oder Tod. Nicht gerade schön. Ich möchte ein Projekt machen: Orthodoxie oder Leben. Ich habe das Projekt bereits jemandem vorgeschlagen, aber er hat abgesagt. Aus Angst."

Viele Künstler üben sich in Selbstzensur, werden vorsichtiger, wollen sich besser nicht mit der herrschenden Clique aus Geheimdienst und Kirche anlegen. Bondarenko lässt seinen Fahrer die Limousine vorfahren. Zum Mittag verlässt er das Getto der Superreichen in Richtung Stadtzentrum.
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