Was machen wir hinterher?
Wenn ich tot bin, komme ich in den Himmel – das haben wir von klein auf gelernt. Was uns da erwartet, wie es da aussieht und wer oder was wir eigentlich sein werden da oben im Himmel, das haben wir allerdings nicht gelernt, und es gibt auch keinen, der uns das sagen könnte. Der Mensch denkt sich seinen Gott, wie er sich seinen Himmel denkt. Diesen Gedanken wollen wir in der folgenden Sendung auf den Grund gehen. "Was machen wir hinterher? Phantasien über den Himmel."
"Nein ich fürchte mich nicht. Wenn die Zeit und Stunde da ist, dann freue ich mich drauf. Der Herr hat mir ja ein hohes Alter geschenkt. Denn 97, da bin ich jeden Tag dankbar, dass ich wieder aufwachen und dass ich noch einen Tag erleben darf."
Tief in den Himmel verklingt
traurig der letzte Stern,
noch eine Nachtigall singt
fern, fern.
Geh schlafen, mein Herz, es ist Zeit.
Kühl weht die Ewigkeit.
Matt im Schoß liegt die Hand,
einst so tapfer am Schwert
War, wofür du entbrannt,
Kampfes wert?
Geh schlafen, mein Herz, es ist Zeit.
Kühl weht die Ewigkeit.
Dieses Gedicht schrieb Ricarda Huch im Gedenken an ihre große und tragische Liebe. Nach einem Leben voller Mut und Enttäuschung war ihr der Himmel ein Wind und seine Kühle womöglich eine Gnade, als hätte die Ewigkeit es nicht nötig, sich in ihrer vollen Kälte zu entfalten, noch nicht. Die Ewigkeit erscheint hier als gelassene Macht des Todes. Ist es ein Ende oder eine Vollendung? Was wissen wir über die Ewigkeit? Was wissen wir über den Himmel? Was machen wir hinterher, wenn wir tot sind? Der katholische Theologe Rainer Kampling möchte diese Frage lieber so nicht beantworten.
"Es muss doch mal eine Zeit geben, wo wir nichts mehr machen. Und wo nichts mehr mit uns gemacht wird. Das denke ich ist dann der Himmel. Und hinterher ist auch eine schöne Formulierung. Aber das machen stört mich am meisten dabei, als sei der Himmel wieder ein neues Tummelfeld menschlicher Leidenschaften, Eitelkeiten und Notwendigkeiten. Als sei der Spätkapitalismus in den Himmel eingedrungen. Eine unangenehme Vorstellung."
"Himmel ist, wenn Sie so wollen, zunächst einmal ein biblisches Wort für Transzendenz. Also Himmel bezeichnet zunächst einmal den Bereich, der dem Menschen nicht zugänglich ist. Es ist das ganz andere, so könnte man sagen, es ist das dem Menschen nicht mögliche, aber es ist in seiner letzten Konsequenz so sehr von Gott bestimmt, daß es dem Menschen auch nicht zukommt, sich das auszumalen, und wenn man es recht betrachtet, bedarf es auch keiner Ausmalung des Menschen."
Der Himmel ist in diesem Sinne kein Ort, sondern eine mögliche Metapher. Entsprechend zurückhaltend ist auch die Bibel mit Himmelsvorstellungen. Aber weil der Mensch ja sowieso meistens macht, was er will, malt er sich auch den Himmel aus, immer wieder und in allen Variationen und der Bibel zum Trotz. In der bildenden Kunst, in der Literatur, in unzähligen Predigten, Briefen, Gedichten findet sich ein ganzes Arsenal von Himmelsphantasien, und auch wir wollen in dieser Sendung den Versuch wagen, uns den Himmel einmal konkret vorzustellen. Wie sieht das ewige Leben aus? Wie fühlt es sich an? Wie ist es organisiert?
Als Thronsaal mit Musik, als goldenes, körperloses Glück, als gewerkschaftliche Reihenhaussiedlung hinter den Wolken? Schlafen wir im kalten Schatten eines Steins oder tauchen wir endlich ein in jene Bilder vom Himmel, die wir im Laufe unseres Lebens sammeln? Wie es wirklich dort ist, können wir niemanden fragen, denn zurück kommt keiner. Aber mancher war fast schon dort.
"Mein Himmel? Ich war schon mal in einer schweren Operation. Und dann war ich auch schon halb tot. Und das war aber wie eine Wiese, wie ich da durchkam, sehr schön. Blumen... ich wurde doch wieder zurückgeholt. Es war schön. Man sagt ja, in das Licht, in das Helle. Gott ist die Liebe und er vergibt in der Liebe. Er lässt alle Menschen in das Licht. Man überblickt alles, man versteht alles. Der Himmel, da werde ich oben sein, und ich würde ganz gerne von oben, als wenn wir auf dem Fernsehturm sind oder auf dem Balkon, meine Angehörigen sehen. Es ist immer blauer Himmel, immer Sonne, immer Schmetterlinge, immer angenehme Temperatur, ein Ort, an dem man gut leben kann."
Gut leben, obwohl man schon tot ist. Der Himmel als Fernsehturm, von dem man runterguckt, oder als sommerlicher Garten? Wo kommen diese Ideen her? Offenbar vermischen sich hier Elemente eines Volksglaubens und der Alltagskultur mit religiösen Ideen, zum Beispiel mit der des Himmels als Paradiesgarten. Wir erinnern uns: Jesus sagte zu einem der Verbrecher, die mit ihm gekreuzigt wurden:
"Ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein."
Und der Himmel als Balkon oder Fernsehturm erinnert an einen anderen höher gelegenen Ort, den wir aus der griechischen Mythologie kennen: den Olymp der Götter. Die Idee, daß auch die Toten nicht in einer Unterwelt versinken, sondern weit oben sind, findet sich schon bei Platon. Für ihn liegt das Totenreich, auch Elysium genannt oder die Insel der Seligen, in einem Himmel jenseits der Sterne. Platon war nämlich der Auffassung, daß die Seele wie alles Gottgleiche nach oben strebt. So erkennen wir in der amüsanten Phantasie vom Himmel als Fernsehturm mehrere tausend Jahre Ideengeschichte.
Aber bevor wir uns den Himmel weiter von innen ansehen – wie kommt man überhaupt hinein? In der Bibel wird zwar von der Himmelfahrt Jesu berichtet, aber wie diese Himmelfahrt technisch vonstatten geht, wird nicht verraten. Das Lukasevangelium berichtet recht sparsam von diesem denkwürdigen Ereignis. Der Auferstandene erscheint den Jüngern.
Dann führte er sie hinaus in die Nähe von Bethanien. Dort erhob er seine Hände und segnete sie. Und während er sie segnete, verließ er sie und wurde zum Himmel emporgehoben.
In der Kunstgeschichte ist es oft eine Wolke, auf der Jesus emporgehoben wird, aber die Bibel sagt darüber nichts. Der Himmel öffnet sich, aber wir sehen nicht, was im Himmel ist. Der Phantasie sind darum keine Grenzen gesetzt.
"Wie man dorthin kommt? Ich glaube, man kommt durch dieses Tor, und dann stehen die Leute da, und man erkennt sie durch dieses geistige Auge. Wenn man in den Himmel kommt, ist man von diesem ganzen materiellen Kram befreit, ist völlig nackt, es ist völlig unerheblich, ob man jetzt eine grüne oder rote Bluse anhat oder dick oder dünn ist, das ist egal, man bleibt reduziert auf seine geistigen Fähigkeiten."
"Ich kann mir nicht vorstellen, wie wir da hochkommen. Stellen Sie sich eine Treppe vor oder daß man fliegt oder gebeamt wird? Gebeamt, das ist ein guter Vorschlag, den wir alle kennen aus den Serien."
"Und seitdem die Sputniks im Himmel fliegen, glaubt man nicht mehr daran, daß oben noch Platz ist für uns. Ist noch für mich Platz da, wenn die Kosmonauten da sind? Wenn es wirklich einen Himmel gibt, brauchen wir keine Angst zu haben, der Himmel ist so groß, dass wir Menschen auch noch Platz finden würden."
Einer, der zwar auch nicht weiß, wie es dort oben aussieht oder wie man dorthin kommt, der die Toten aber immerhin ein Stück begleitet, ist der Bestatter Ulrich Gscheidel. Er sieht gar nicht aus, wie man sich einen Bestatter vorstellt. Er ist weder bleich noch feist, noch hat er ein feierlich-trauervolles Gesicht, und er trägt auch keinen schwarzen Anzug, sondern eine Jeansjacke und guckt recht fröhlich in die Welt.
"Diese Frage nach dem Himmel, da setzen sich meistens sehr früh Bilder fest, die sehr kindlich sind und die meistens auch sehr kindlich bleiben. Wir sind auch sehr viel früher meist mit Tod konfrontiert, unsere Großeltern sterben, der Hamster stirbt, ja, und dann bin ich im Himmel, und dann erwartet mich der und der, und dann bin ich da gut aufgenommen, und die sind dann alle da. Das sind Bilder, die sehr früh entstehen. Es ist dann gut, die bereits existierenden Bilder aufzugreifen und nicht was völlig Neues oder Fremdes reinzubringen."
"Charon", steht auf Ulrich Gscheidels Visitenkarte, "Bestattungen – Fährdienste". Manchmal, erzählt er, werde er tatsächlich gefragt, ob er in der Schiffahrt tätig sei. Dabei ist mit Charon natürlich der Fährmann aus der griechischen Mythologie gemeint, der die Toten über den Styx, den Grenzfluss der Unterwelt, fährt.
"Ich bin seit 30 Jahren Buddhist, ich habe aus meiner Haltung heraus auch eine gewisse Fürsorgepflicht, Verantwortung für den Menschen, der gestorben ist, auch über den Zeitpunkt seines medizinischen Todes hinaus. Also im Grunde spreche ich durchaus mit den Menschen, die gestorben sind. Themen, die ich da einbringe, haben etwas damit zu tun, dass ich mich vorstelle: Also ich bin jetzt der Bestatter, und ich habe dafür Sorge zu tragen, dass, wir machen jetzt dies und das, beziehungsweise dass ich den Menschen, die gestorben sind, durchaus auch sage in einer direkten Ansprache: Du bist jetzt gestorben."
Einer dieser Menschen war der kleine Friedrich, der tot auf die Welt kam. Seine Mutter Carmen Meyer erzählt, wie wichtig es war, sich von ihrem Sohn zu verabschieden. Zuerst hatte sie Angst davor, den Leichnam zu betrachten. Und dann lag er ganz friedlich da, mit einem Lächeln im Gesicht. Aber dann war er plötzlich fort.
"Es ist so, dass man am Anfang gar keine Vorstellung hat, wo er ist. Man ist traurig, man weint ganz viel, man hat Schmerzen, man hat Wut, weil man so in dieser Erstarrung ist. Hallo, wann wache ich auf? Es ist nur ein böser Traum. Und irgendwann fängt man an, die Idee zu entwickeln, wo könnte er jetzt sein oder wo ist er. Und da kommt dann diese Idee, daß er in einer anderen Welt ist, in der Anderswelt, und diese Anderswelt ist für mich persönlich der Himmel."
Seit dem Tod ihres Kindes engagiert sich Carmen Meyer bei den Verwaisten Eltern und Geschwistern Berlin e.V., wo sie anderen Menschen beisteht, die ein Kind verloren haben. Carmen Meyer ist eine lebhafte Person mit einem frechen Kurzhaarschnitt und vielen bunten Ringen an den Fingern. Sie findet es schade, wenn Leute, denen sie vom Tod ihres Sohnes erzählt, in betretenes Schweigen verfallen. Damit geht es ihr wie vielen verwaisten Eltern: Sie möchte über ihren Schmerz reden, sie möchte dazu befragt werden. Und sie denkt gern an den Ort, an dem ihr Sohn jetzt sein könnte.
"Ich glaube, man ist ganz schwerelos und schwebt da in einem weißen Meer an Wolken umher. Wenn wir unseren Sohn auf dem Friedhof besuchen, ist es eine Vorstufe, wenn man durch das Tor geht, es ist auch so ein Friedhof, wo alte Bäume stehen, dann ist man völlig in einer anderen Welt. Es ist ruhig, friedlich und freundlich und es gibt nichts außer Frieden, und keiner streitet sich, und ich finde, es ist eine Vorstufe zum Himmel. Vielleicht ist es da auch so, es gibt keinen Neid, keine Missgunst, jeder ist das, was ihn als Menschen ausmacht, und da schwebt man umher und trifft alte Bekannte oder Freunde oder Verwandte... ich glaube nicht, dass man was ißt oder trinkt, ich glaube, man ist da völlig schwerelos und in einer anderen Welt."
"Also ich weiß, dass es für viele Menschen ein großer Trost ist, im Himmel die Menschen wiederzutreffen, an denen einem lag. Ich selber meine, dass aufgrund der biblischen Überlieferung dafür eigentlich nichts spricht. Gleichwohl bin ich ja nicht der Platzanweiser des Himmels. Allerdings tue ich mich schwer mit der Vorstellung, mir die himmlischen Herrlichkeiten zu denken als ein riesiges Familientreffen, denn das würde ja heißen, dass die irdischen Bindungen im Himmel nicht überwunden sind. Und trifft man dann auch die Menschen wieder, die man nicht mag? Geht das überhaupt? Da bin ich sehr skeptisch, da bin ich Minimalist, ich glaube nicht, daß es so eine Re-Union des Himmels gibt."
Nur will keiner so recht daran glauben. Die Vorstellung und die Hoffnung, im Himmel seine Liebsten wiederzutreffen, ist vielen Menschen unendlich wichtig. Goethes Werther nahm sich unter anderem deshalb das Leben, weil ihm der Tod die ewige Liebe verhieß. Weil er die geliebte Charlotte im Leben nicht haben konnte, hoffte er darauf, sich mit ihr im Tod zu vereinen.
Ich gehe voran! gehe zu meinem Vater, zu deinem Vater. Dem will ich’s klagen, und er wird mich trösten, bis du kommst, und ich fliege dir entgegen und fasse dich und bleibe bei dir vor dem Angesicht des Unendlichen in ewigen Umarmungen.
"Mein Mann ist ja früh gestorben, und der war dann noch eine Zeit bei mir, und wir haben miteinander gesprochen, im Traum habe ich ihn gesehen, er war mit mir, und wir haben zusammen gesprochen."
"Für mich ist das auch tröstlich zu wissen, wenn ich sterben werde, dann werde ich ihn wiedersehen, er wartet auf mich, er wird mich abholen, und viele andere Leute, die sich schon viel zu früh auf diese Reise gemacht haben. Das ist der Klaus Blum, das ist Frau Ebel, das ist der André, der viel zu früh einen Fahrradunfall hatte und es nicht mehr geschafft hat oder schon vorgegangen ist. Oder meine Oma ist auch schon lange dort."
"Die Angehörigen beschützen einen von oben und sehen alles, so daß man ihnen dann gar nichts zu sagen braucht, sie wissen es doch sowieso. – Aber vielleicht wollen Sie von denen was wissen? – Das sehe ich ja dann, wenn es einen Himmel gibt, das sehe ich ja dann, wie es oben ist, das kann ich nur den anderen auf der Erde nicht mitteilen."
Möglicherweise spiegelt sich aber in der Vorstellung, im Himmel seine Lieben wiederzutreffen, noch mehr als ein bloßer Wunsch. Vielmehr haben wir es hier mit einer Idee zu tun, die aus den Anfängen der jüdischen Religion stammt, also den Wurzeln unserer westlichen Kultur entspringt. So gab es im antiken Judentum die Vorstellung, das Weltall besitze drei Ebenen: Erde, Himmel und Unterwelt, jeweils besiedelt von Menschen, Himmelsgöttern und Totengöttern. Mit den Totengöttern hielten sich auch die Toten in der Unterwelt auf, genannt Scheol, wo sie eine zwar schattenhafte, aber unbegrenzte und durchaus lebhafte Existenz führten und das Leben auf der Erde auch beeinflussen konnten. Und selbstverständlich traf man sich eines Tages in der Unterwelt wieder. Bis dahin wurden die Toten im Ahnenkult verehrt, und zwar in privaten Ritualen. In diesem Sinne hat auch Carmen Meyer ihre privaten Rituale, mit denen sie ihren toten Sohn ehrt.
"Wir gehen ihn oft besuchen, und wir sagen eigentlich gar nicht, dass es sein Grab ist, wir sagen, das ist Friedrichs Garten, da haben wir dann Blumen draufgepflanzt, das mussten wir auch erst mal alles lernen, dann haben wir Kerzen draufstehen und viele Engel, weil ich persönlich glaube, dass er der Schutzengel von unserer Familie ist. Dass er da im Himmel schwebend um uns ist und uns beschützt und nach uns guckt. Das mag jetzt für den ein oder anderen komisch klingen, aber es ist eine Vorstellung, die mich beruhigt, er ist irgendwo da. Nicht so, dass ihn andere Leute wahrnehmen können, aber er ist da, er gibt mir Halt oder Orientierung, dass ich dann denke, wenn es mir schlecht geht, er ist da, und es wird schon alles gut werden."
So sehen das aber nicht alle. Der anglo-amerikanische Philosoph Alfred North Whitehead fand die Vorstellung eines Himmels lächerlich. Wie, so fragte er, solle es ein jenseitiges Fortleben von Personen geben, wenn es streng genommen gar keine Personen gebe? Der Mensch, meinte Whitehead, ist eben kein statisches Ding, sondern entwickelt und verändert sich doch in einem fort und wird immer wieder zu einem neuen Wesen. Welches Wesen soll dann in den Himmel kommen? Und wozu?
Kann man sich etwas Idiotischeres vorstellen als die christliche Idee des Himmels? Was für eine Gottheit soll das sein, die Engel und Menschen tatsächlich nur erschafft, um sie in alle Ewigkeit Tag und Nacht Loblieder singen zu lassen?
"Wenn ich tot bin, bin ich tot, und dann ist alles vorbei."
Aber angenommen, nur einmal angenommen, da wartet eben doch einer im Himmel, oder gleich mehrere. Wie gehen die miteinander um? Der französische Schriftsteller Victor Hugo hat sich das in seinem Roman "Die Elenden" so vorgestellt:
Wem es vergönnt ist, dass sein Traum in Erfüllung geht? Dafür müssen im Himmel Wahlen abgehalten werden und wir alle kandidieren ohne unser Wissen. Die Engel stimmen ab.
"Also ich stell mir das schon vor, da gibt es einen großen Tisch, so eine Generalversammlung, eine basisdemokratische Konferenz, und da sitzt man dann, und dann wählt man vielleicht auch ein Kommitée, das die Moderation übernimmt, und dann sagt jeder seine Meinung, auf jeden Fall gibt es am Schluss eine große Lösung."
Manch einer will aber nicht warten, bis er tot ist, um die perfekte Generalversammlung zu erleben. 1844 schrieb der Dichter Heinrich Heine sein Epos "Deutschland, ein Wintermärchen", in dem er satirisch die Schwächen der Deutschen bloßstellt, unter anderem auch die christliche Tendenz, aufs Jenseits zu warten, anstatt sich erstmal ordentlich um die Gegenwart zu kümmern.
Ein neues Lied, ein besseres Lied,
o Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
das Himmelreich errichten.
Es wächst hienieden Brot genug
für alle Menschenkinder
auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust
und Zuckererbsen nicht minder.
Ja, Zuckererbsen für jedermann,
sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
den Engeln und den Spatzen.
"Einerseits glaube ich, dass wir ohne Utopien nicht auskommen. Andererseits kann man gewiss sagen, dass jede Ideologie, die versucht hat, den Himmel auf Erden herzustellen, die Hölle bereitet hat. Das scheitert. Also die menschliche Unzulänglichkeit kann nicht den Himmel auf Erden herstellen."
Vielleicht aber gibt es Augenblicke, in denen der Mensch den Himmel auf Erden zwar nicht herstellt, aber erlebt, so wie es der evangelische Theologe und Philosoph Friedrich Schleiermacher in seinem Glaubensbekenntnis formulierte:
Mitten in der Endlichkeit eins werden mit dem Unendlichen und ewig sein in jedem Augenblick, das ist die Unsterblichkeit der Religion.
Tief in den Himmel verklingt
traurig der letzte Stern,
noch eine Nachtigall singt
fern, fern.
Geh schlafen, mein Herz, es ist Zeit.
Kühl weht die Ewigkeit.
Matt im Schoß liegt die Hand,
einst so tapfer am Schwert
War, wofür du entbrannt,
Kampfes wert?
Geh schlafen, mein Herz, es ist Zeit.
Kühl weht die Ewigkeit.
Dieses Gedicht schrieb Ricarda Huch im Gedenken an ihre große und tragische Liebe. Nach einem Leben voller Mut und Enttäuschung war ihr der Himmel ein Wind und seine Kühle womöglich eine Gnade, als hätte die Ewigkeit es nicht nötig, sich in ihrer vollen Kälte zu entfalten, noch nicht. Die Ewigkeit erscheint hier als gelassene Macht des Todes. Ist es ein Ende oder eine Vollendung? Was wissen wir über die Ewigkeit? Was wissen wir über den Himmel? Was machen wir hinterher, wenn wir tot sind? Der katholische Theologe Rainer Kampling möchte diese Frage lieber so nicht beantworten.
"Es muss doch mal eine Zeit geben, wo wir nichts mehr machen. Und wo nichts mehr mit uns gemacht wird. Das denke ich ist dann der Himmel. Und hinterher ist auch eine schöne Formulierung. Aber das machen stört mich am meisten dabei, als sei der Himmel wieder ein neues Tummelfeld menschlicher Leidenschaften, Eitelkeiten und Notwendigkeiten. Als sei der Spätkapitalismus in den Himmel eingedrungen. Eine unangenehme Vorstellung."
"Himmel ist, wenn Sie so wollen, zunächst einmal ein biblisches Wort für Transzendenz. Also Himmel bezeichnet zunächst einmal den Bereich, der dem Menschen nicht zugänglich ist. Es ist das ganz andere, so könnte man sagen, es ist das dem Menschen nicht mögliche, aber es ist in seiner letzten Konsequenz so sehr von Gott bestimmt, daß es dem Menschen auch nicht zukommt, sich das auszumalen, und wenn man es recht betrachtet, bedarf es auch keiner Ausmalung des Menschen."
Der Himmel ist in diesem Sinne kein Ort, sondern eine mögliche Metapher. Entsprechend zurückhaltend ist auch die Bibel mit Himmelsvorstellungen. Aber weil der Mensch ja sowieso meistens macht, was er will, malt er sich auch den Himmel aus, immer wieder und in allen Variationen und der Bibel zum Trotz. In der bildenden Kunst, in der Literatur, in unzähligen Predigten, Briefen, Gedichten findet sich ein ganzes Arsenal von Himmelsphantasien, und auch wir wollen in dieser Sendung den Versuch wagen, uns den Himmel einmal konkret vorzustellen. Wie sieht das ewige Leben aus? Wie fühlt es sich an? Wie ist es organisiert?
Als Thronsaal mit Musik, als goldenes, körperloses Glück, als gewerkschaftliche Reihenhaussiedlung hinter den Wolken? Schlafen wir im kalten Schatten eines Steins oder tauchen wir endlich ein in jene Bilder vom Himmel, die wir im Laufe unseres Lebens sammeln? Wie es wirklich dort ist, können wir niemanden fragen, denn zurück kommt keiner. Aber mancher war fast schon dort.
"Mein Himmel? Ich war schon mal in einer schweren Operation. Und dann war ich auch schon halb tot. Und das war aber wie eine Wiese, wie ich da durchkam, sehr schön. Blumen... ich wurde doch wieder zurückgeholt. Es war schön. Man sagt ja, in das Licht, in das Helle. Gott ist die Liebe und er vergibt in der Liebe. Er lässt alle Menschen in das Licht. Man überblickt alles, man versteht alles. Der Himmel, da werde ich oben sein, und ich würde ganz gerne von oben, als wenn wir auf dem Fernsehturm sind oder auf dem Balkon, meine Angehörigen sehen. Es ist immer blauer Himmel, immer Sonne, immer Schmetterlinge, immer angenehme Temperatur, ein Ort, an dem man gut leben kann."
Gut leben, obwohl man schon tot ist. Der Himmel als Fernsehturm, von dem man runterguckt, oder als sommerlicher Garten? Wo kommen diese Ideen her? Offenbar vermischen sich hier Elemente eines Volksglaubens und der Alltagskultur mit religiösen Ideen, zum Beispiel mit der des Himmels als Paradiesgarten. Wir erinnern uns: Jesus sagte zu einem der Verbrecher, die mit ihm gekreuzigt wurden:
"Ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein."
Und der Himmel als Balkon oder Fernsehturm erinnert an einen anderen höher gelegenen Ort, den wir aus der griechischen Mythologie kennen: den Olymp der Götter. Die Idee, daß auch die Toten nicht in einer Unterwelt versinken, sondern weit oben sind, findet sich schon bei Platon. Für ihn liegt das Totenreich, auch Elysium genannt oder die Insel der Seligen, in einem Himmel jenseits der Sterne. Platon war nämlich der Auffassung, daß die Seele wie alles Gottgleiche nach oben strebt. So erkennen wir in der amüsanten Phantasie vom Himmel als Fernsehturm mehrere tausend Jahre Ideengeschichte.
Aber bevor wir uns den Himmel weiter von innen ansehen – wie kommt man überhaupt hinein? In der Bibel wird zwar von der Himmelfahrt Jesu berichtet, aber wie diese Himmelfahrt technisch vonstatten geht, wird nicht verraten. Das Lukasevangelium berichtet recht sparsam von diesem denkwürdigen Ereignis. Der Auferstandene erscheint den Jüngern.
Dann führte er sie hinaus in die Nähe von Bethanien. Dort erhob er seine Hände und segnete sie. Und während er sie segnete, verließ er sie und wurde zum Himmel emporgehoben.
In der Kunstgeschichte ist es oft eine Wolke, auf der Jesus emporgehoben wird, aber die Bibel sagt darüber nichts. Der Himmel öffnet sich, aber wir sehen nicht, was im Himmel ist. Der Phantasie sind darum keine Grenzen gesetzt.
"Wie man dorthin kommt? Ich glaube, man kommt durch dieses Tor, und dann stehen die Leute da, und man erkennt sie durch dieses geistige Auge. Wenn man in den Himmel kommt, ist man von diesem ganzen materiellen Kram befreit, ist völlig nackt, es ist völlig unerheblich, ob man jetzt eine grüne oder rote Bluse anhat oder dick oder dünn ist, das ist egal, man bleibt reduziert auf seine geistigen Fähigkeiten."
"Ich kann mir nicht vorstellen, wie wir da hochkommen. Stellen Sie sich eine Treppe vor oder daß man fliegt oder gebeamt wird? Gebeamt, das ist ein guter Vorschlag, den wir alle kennen aus den Serien."
"Und seitdem die Sputniks im Himmel fliegen, glaubt man nicht mehr daran, daß oben noch Platz ist für uns. Ist noch für mich Platz da, wenn die Kosmonauten da sind? Wenn es wirklich einen Himmel gibt, brauchen wir keine Angst zu haben, der Himmel ist so groß, dass wir Menschen auch noch Platz finden würden."
Einer, der zwar auch nicht weiß, wie es dort oben aussieht oder wie man dorthin kommt, der die Toten aber immerhin ein Stück begleitet, ist der Bestatter Ulrich Gscheidel. Er sieht gar nicht aus, wie man sich einen Bestatter vorstellt. Er ist weder bleich noch feist, noch hat er ein feierlich-trauervolles Gesicht, und er trägt auch keinen schwarzen Anzug, sondern eine Jeansjacke und guckt recht fröhlich in die Welt.
"Diese Frage nach dem Himmel, da setzen sich meistens sehr früh Bilder fest, die sehr kindlich sind und die meistens auch sehr kindlich bleiben. Wir sind auch sehr viel früher meist mit Tod konfrontiert, unsere Großeltern sterben, der Hamster stirbt, ja, und dann bin ich im Himmel, und dann erwartet mich der und der, und dann bin ich da gut aufgenommen, und die sind dann alle da. Das sind Bilder, die sehr früh entstehen. Es ist dann gut, die bereits existierenden Bilder aufzugreifen und nicht was völlig Neues oder Fremdes reinzubringen."
"Charon", steht auf Ulrich Gscheidels Visitenkarte, "Bestattungen – Fährdienste". Manchmal, erzählt er, werde er tatsächlich gefragt, ob er in der Schiffahrt tätig sei. Dabei ist mit Charon natürlich der Fährmann aus der griechischen Mythologie gemeint, der die Toten über den Styx, den Grenzfluss der Unterwelt, fährt.
"Ich bin seit 30 Jahren Buddhist, ich habe aus meiner Haltung heraus auch eine gewisse Fürsorgepflicht, Verantwortung für den Menschen, der gestorben ist, auch über den Zeitpunkt seines medizinischen Todes hinaus. Also im Grunde spreche ich durchaus mit den Menschen, die gestorben sind. Themen, die ich da einbringe, haben etwas damit zu tun, dass ich mich vorstelle: Also ich bin jetzt der Bestatter, und ich habe dafür Sorge zu tragen, dass, wir machen jetzt dies und das, beziehungsweise dass ich den Menschen, die gestorben sind, durchaus auch sage in einer direkten Ansprache: Du bist jetzt gestorben."
Einer dieser Menschen war der kleine Friedrich, der tot auf die Welt kam. Seine Mutter Carmen Meyer erzählt, wie wichtig es war, sich von ihrem Sohn zu verabschieden. Zuerst hatte sie Angst davor, den Leichnam zu betrachten. Und dann lag er ganz friedlich da, mit einem Lächeln im Gesicht. Aber dann war er plötzlich fort.
"Es ist so, dass man am Anfang gar keine Vorstellung hat, wo er ist. Man ist traurig, man weint ganz viel, man hat Schmerzen, man hat Wut, weil man so in dieser Erstarrung ist. Hallo, wann wache ich auf? Es ist nur ein böser Traum. Und irgendwann fängt man an, die Idee zu entwickeln, wo könnte er jetzt sein oder wo ist er. Und da kommt dann diese Idee, daß er in einer anderen Welt ist, in der Anderswelt, und diese Anderswelt ist für mich persönlich der Himmel."
Seit dem Tod ihres Kindes engagiert sich Carmen Meyer bei den Verwaisten Eltern und Geschwistern Berlin e.V., wo sie anderen Menschen beisteht, die ein Kind verloren haben. Carmen Meyer ist eine lebhafte Person mit einem frechen Kurzhaarschnitt und vielen bunten Ringen an den Fingern. Sie findet es schade, wenn Leute, denen sie vom Tod ihres Sohnes erzählt, in betretenes Schweigen verfallen. Damit geht es ihr wie vielen verwaisten Eltern: Sie möchte über ihren Schmerz reden, sie möchte dazu befragt werden. Und sie denkt gern an den Ort, an dem ihr Sohn jetzt sein könnte.
"Ich glaube, man ist ganz schwerelos und schwebt da in einem weißen Meer an Wolken umher. Wenn wir unseren Sohn auf dem Friedhof besuchen, ist es eine Vorstufe, wenn man durch das Tor geht, es ist auch so ein Friedhof, wo alte Bäume stehen, dann ist man völlig in einer anderen Welt. Es ist ruhig, friedlich und freundlich und es gibt nichts außer Frieden, und keiner streitet sich, und ich finde, es ist eine Vorstufe zum Himmel. Vielleicht ist es da auch so, es gibt keinen Neid, keine Missgunst, jeder ist das, was ihn als Menschen ausmacht, und da schwebt man umher und trifft alte Bekannte oder Freunde oder Verwandte... ich glaube nicht, dass man was ißt oder trinkt, ich glaube, man ist da völlig schwerelos und in einer anderen Welt."
"Also ich weiß, dass es für viele Menschen ein großer Trost ist, im Himmel die Menschen wiederzutreffen, an denen einem lag. Ich selber meine, dass aufgrund der biblischen Überlieferung dafür eigentlich nichts spricht. Gleichwohl bin ich ja nicht der Platzanweiser des Himmels. Allerdings tue ich mich schwer mit der Vorstellung, mir die himmlischen Herrlichkeiten zu denken als ein riesiges Familientreffen, denn das würde ja heißen, dass die irdischen Bindungen im Himmel nicht überwunden sind. Und trifft man dann auch die Menschen wieder, die man nicht mag? Geht das überhaupt? Da bin ich sehr skeptisch, da bin ich Minimalist, ich glaube nicht, daß es so eine Re-Union des Himmels gibt."
Nur will keiner so recht daran glauben. Die Vorstellung und die Hoffnung, im Himmel seine Liebsten wiederzutreffen, ist vielen Menschen unendlich wichtig. Goethes Werther nahm sich unter anderem deshalb das Leben, weil ihm der Tod die ewige Liebe verhieß. Weil er die geliebte Charlotte im Leben nicht haben konnte, hoffte er darauf, sich mit ihr im Tod zu vereinen.
Ich gehe voran! gehe zu meinem Vater, zu deinem Vater. Dem will ich’s klagen, und er wird mich trösten, bis du kommst, und ich fliege dir entgegen und fasse dich und bleibe bei dir vor dem Angesicht des Unendlichen in ewigen Umarmungen.
"Mein Mann ist ja früh gestorben, und der war dann noch eine Zeit bei mir, und wir haben miteinander gesprochen, im Traum habe ich ihn gesehen, er war mit mir, und wir haben zusammen gesprochen."
"Für mich ist das auch tröstlich zu wissen, wenn ich sterben werde, dann werde ich ihn wiedersehen, er wartet auf mich, er wird mich abholen, und viele andere Leute, die sich schon viel zu früh auf diese Reise gemacht haben. Das ist der Klaus Blum, das ist Frau Ebel, das ist der André, der viel zu früh einen Fahrradunfall hatte und es nicht mehr geschafft hat oder schon vorgegangen ist. Oder meine Oma ist auch schon lange dort."
"Die Angehörigen beschützen einen von oben und sehen alles, so daß man ihnen dann gar nichts zu sagen braucht, sie wissen es doch sowieso. – Aber vielleicht wollen Sie von denen was wissen? – Das sehe ich ja dann, wenn es einen Himmel gibt, das sehe ich ja dann, wie es oben ist, das kann ich nur den anderen auf der Erde nicht mitteilen."
Möglicherweise spiegelt sich aber in der Vorstellung, im Himmel seine Lieben wiederzutreffen, noch mehr als ein bloßer Wunsch. Vielmehr haben wir es hier mit einer Idee zu tun, die aus den Anfängen der jüdischen Religion stammt, also den Wurzeln unserer westlichen Kultur entspringt. So gab es im antiken Judentum die Vorstellung, das Weltall besitze drei Ebenen: Erde, Himmel und Unterwelt, jeweils besiedelt von Menschen, Himmelsgöttern und Totengöttern. Mit den Totengöttern hielten sich auch die Toten in der Unterwelt auf, genannt Scheol, wo sie eine zwar schattenhafte, aber unbegrenzte und durchaus lebhafte Existenz führten und das Leben auf der Erde auch beeinflussen konnten. Und selbstverständlich traf man sich eines Tages in der Unterwelt wieder. Bis dahin wurden die Toten im Ahnenkult verehrt, und zwar in privaten Ritualen. In diesem Sinne hat auch Carmen Meyer ihre privaten Rituale, mit denen sie ihren toten Sohn ehrt.
"Wir gehen ihn oft besuchen, und wir sagen eigentlich gar nicht, dass es sein Grab ist, wir sagen, das ist Friedrichs Garten, da haben wir dann Blumen draufgepflanzt, das mussten wir auch erst mal alles lernen, dann haben wir Kerzen draufstehen und viele Engel, weil ich persönlich glaube, dass er der Schutzengel von unserer Familie ist. Dass er da im Himmel schwebend um uns ist und uns beschützt und nach uns guckt. Das mag jetzt für den ein oder anderen komisch klingen, aber es ist eine Vorstellung, die mich beruhigt, er ist irgendwo da. Nicht so, dass ihn andere Leute wahrnehmen können, aber er ist da, er gibt mir Halt oder Orientierung, dass ich dann denke, wenn es mir schlecht geht, er ist da, und es wird schon alles gut werden."
So sehen das aber nicht alle. Der anglo-amerikanische Philosoph Alfred North Whitehead fand die Vorstellung eines Himmels lächerlich. Wie, so fragte er, solle es ein jenseitiges Fortleben von Personen geben, wenn es streng genommen gar keine Personen gebe? Der Mensch, meinte Whitehead, ist eben kein statisches Ding, sondern entwickelt und verändert sich doch in einem fort und wird immer wieder zu einem neuen Wesen. Welches Wesen soll dann in den Himmel kommen? Und wozu?
Kann man sich etwas Idiotischeres vorstellen als die christliche Idee des Himmels? Was für eine Gottheit soll das sein, die Engel und Menschen tatsächlich nur erschafft, um sie in alle Ewigkeit Tag und Nacht Loblieder singen zu lassen?
"Wenn ich tot bin, bin ich tot, und dann ist alles vorbei."
Aber angenommen, nur einmal angenommen, da wartet eben doch einer im Himmel, oder gleich mehrere. Wie gehen die miteinander um? Der französische Schriftsteller Victor Hugo hat sich das in seinem Roman "Die Elenden" so vorgestellt:
Wem es vergönnt ist, dass sein Traum in Erfüllung geht? Dafür müssen im Himmel Wahlen abgehalten werden und wir alle kandidieren ohne unser Wissen. Die Engel stimmen ab.
"Also ich stell mir das schon vor, da gibt es einen großen Tisch, so eine Generalversammlung, eine basisdemokratische Konferenz, und da sitzt man dann, und dann wählt man vielleicht auch ein Kommitée, das die Moderation übernimmt, und dann sagt jeder seine Meinung, auf jeden Fall gibt es am Schluss eine große Lösung."
Manch einer will aber nicht warten, bis er tot ist, um die perfekte Generalversammlung zu erleben. 1844 schrieb der Dichter Heinrich Heine sein Epos "Deutschland, ein Wintermärchen", in dem er satirisch die Schwächen der Deutschen bloßstellt, unter anderem auch die christliche Tendenz, aufs Jenseits zu warten, anstatt sich erstmal ordentlich um die Gegenwart zu kümmern.
Ein neues Lied, ein besseres Lied,
o Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
das Himmelreich errichten.
Es wächst hienieden Brot genug
für alle Menschenkinder
auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust
und Zuckererbsen nicht minder.
Ja, Zuckererbsen für jedermann,
sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
den Engeln und den Spatzen.
"Einerseits glaube ich, dass wir ohne Utopien nicht auskommen. Andererseits kann man gewiss sagen, dass jede Ideologie, die versucht hat, den Himmel auf Erden herzustellen, die Hölle bereitet hat. Das scheitert. Also die menschliche Unzulänglichkeit kann nicht den Himmel auf Erden herstellen."
Vielleicht aber gibt es Augenblicke, in denen der Mensch den Himmel auf Erden zwar nicht herstellt, aber erlebt, so wie es der evangelische Theologe und Philosoph Friedrich Schleiermacher in seinem Glaubensbekenntnis formulierte:
Mitten in der Endlichkeit eins werden mit dem Unendlichen und ewig sein in jedem Augenblick, das ist die Unsterblichkeit der Religion.