Was kümmern mich die anderen

Sibylle Berg ist wieder unterwegs und kehrt mit ihrem neuen Roman zu den Anfängen, zum Debütroman "Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot" (1997) zurück. "Die Fahrt" setzt auf ein vertrautes Erzählmuster: In rund 80 Einzelkapiteln tritt eine Vielzahl von nicht mehr ganz jungen Figuren auf, deren Wege sich zufällig kreuzen oder die als Paare eine Zeitlang zu vergessen hoffen, dass es Menschen selten lange miteinander aushalten.
Sibylle Bergs Helden von oft bescheidener Gestalt sind zumeist Reisende; sie brechen auf, um anderswo das zu suchen, was die heimatlichen Gefilde nicht bieten. Berlin, Island, Los Angeles, Sri Lanka, Bombay, Tel Aviv, die Koralleninsel Nauru - das sind einige der Stationen, die mit bisweilen hohen Erwartungen aufgesucht werden.

Je mehr freilich in diesem Buch ins Flugzeug oder ins Auto gestiegen wird, desto deutlicher zeigt sich, dass die Hoffnungen, in der Ferne Erfüllung zu finden, nicht selten wie Seifenblasen zerstäuben. "Alle Orte, die Ruth mit sich zu bebildern suchte, ließen am Ende nur sie übrig" - diese Einsicht stellt sich fast immer ein, wenn die Berg'schen Protagonisten die alten Menschheitsträume auszuleben hoffen.

Liebe und Glück, das sind - so simpel es klingt - die Einklang versprechenden Fixpunkte, auf die die Ruths, Pias, Jakobs und Olgas des Romans zusteuern. So schauerlich deren bisher gemachte Erfahrungen auch waren: Der Wunsch, im anderen oder in der Gemeinschaft aufzugehen, stirbt nie ab.

Sibylle Berg freilich ist scharfe Beobachterin genug, um zu wissen, dass es anderswo selten schöner als zu Hause ist und dass die esoterischen Heilslehren, bei denen das zum Übergewicht neigende Menschengeschlecht gern Zuflucht sucht, selten mehr als psychologische Placebos sind.

Auch im sinnlichen Genuss liegt kein Glücksversprechen: Der Sex - Elfriede Jelinek vergleichbar ist Sibylle Berg eine Meisterin in der Darstellung unschönen Geschlechtsverkehrs - entpuppt sich als seelenloser Behelf, die Langeweile zu vertreiben, als Hobby, das selbst den einfältigen Männern kaum Freude schenkt, und der Verzehr von Nahrungsmitteln ist - Nudelsuppe ausgenommen - eine nicht minder freudlose Angelegenheit, zumal stets mit Kakerlaken zu rechnen ist.

Gelegentlich freilich - in einem Kibbuz in Israel, im dankenswert bevölkerungsarmen Island oder in der gepriesenen Schweiz, die "mit dem Rest der Welt nichts zu tun hatte" - zeigt sich, dass Sibylle Bergs pointierte Schärfe von einem unterschwelligen Moralismus geleitet wird, der, wenn er sich Bahn bricht, die "Freundschaft mit sich selbst" als Allheilmittel preist und zum Belehrenden neigt.

Nicht immer gelingt es Sibylle Berg, diese divergierenden Fäden zusammenzuknoten - was damit zu tun hat, dass sie in "Die Fahrt" viel altes Material recycelt. Was einst - in "Die Welt", "Die Zeit", "Cicero" oder in Weblogs - als Meinung der Autorin Berg daherkam, wird nun kurzerhand der Gedankenwelt von Romanfiguren zugeschlagen, die dadurch überfordert wirken.


Rezensiert von Rainer Moritz


Sibylle Berg: Die Fahrt. Vom Gehen und Bleiben
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007, 346 Seiten, 19,90 Euro