Was ist eine Jungfrau?
Wie es zum "Mythos Jungfrau" gekommen ist, mit dieser Frage beschäftigt sich Anke Bernau in einem anregenden Buch. Sie untersucht religiöse, medizinische und juristische Diskussionen über Jungfräulichkeit von Antike und Mittelalter bis in die Neuzeit und sie setzt sich auch mit gegenwärtigen amerikanischen Jungfräulichkeits- und Keuschheitsbewegungen auseinander
Die sexuelle Initiation, das "erste Mal" ist sicherlich für viele Menschen ein mit Spannung erwartetes und oft auch im Nachhinein denkwürdiges Ereignis. Diese simple Tatsache erklärt aber bei weitem noch nicht das Aufhebens, das in unserer und in verwandten Kulturen um die Jungfräulichkeit gemacht wird. Noch auch die vielen Phantasien, die mit Jungfrauen verbunden werden.
Dabei ist nach wie vor ungeklärt, was eine Jungfrau eigentlich sein soll. Wenn man Jungfräulichkeit als den Zustand sexueller Unschuld definiert, dann können entgegen der deutschen Bezeichnung durchaus auch Männer "Jungfrauen" sein. Traditionellerweise wird allerdings sexuelle Unschuld – wie überhaupt Sexualmoral – als Forderung eher an Frauen gestellt und deren Fehlen eher ihnen angelastet.
Aber selbst wenn man sich auf den historisch gewichtigeren weiblichen Fall beschränkt: was ist sexuelle Unschuld? Müssen selbst die Gedanken rein sein? Darf man masturbieren? Jemanden küssen? Auf die Wange? Auf den Mund? Ganz zu schweigen von allen sonstigen sexuellen Praktiken, die nicht direkt vaginale Penetration beinhalten. Denn dass diese letztere zum Ende der Unschuld führt, ist eine der gängigsten Annahmen.
Schließlich findet sich am weiblichen Scheideneingang das sogenannte Hymen oder Jungfernhäutchen, das idealtypischerweise bei der ersten mann-weiblichen Kopulation reißt. Dass dies allerdings nicht zuverlässig der Fall ist, wissen Ärzte seit jeher: Die Schleimhaut am Scheideneingang kann ganz fehlen oder sehr dehnbar sein und sie kann bei allen möglichen Tätigkeiten reißen, die nichts mit Sex zu tun haben.
Dass weibliche Jungfräulichkeit körperlich nachweisbar sei, ist allerdings ein langlebiger kultureller Mythos, der auch heute noch Bestand hat. Und den wiederum fragwürdige Schönheitschirurgen sich zunutze machen, welche die chirurgische (Wieder-)Herstellung eines Jungfernhäutchens anbieten.
Wie kommt es also zum "Mythos Jungfrau"? Mit dieser Frage beschäftigt sich die englische Literaturwissenschaftlerin Anke Bernau in einem anregenden Buch. Sie untersucht religiöse, medizinische und juristische Diskussionen über Jungfräulichkeit von Antike und Mittelalter bis in die Neuzeit und sie setzt sich auch mit gegenwärtigen amerikanischen Jungfräulichkeits- und Keuschheitsbewegungen auseinander.
Historisch besonders interessant ist zunächst die Kluft zwischen religiösen und medizinischen Auffassungen. Wie Bernau zeigt, waren Ärzte immer eher gegen Jungfräulichkeit, nicht nur, weil sie um deren problematische Konstruktion wussten, sondern auch, weil sexuelle Enthaltsamkeit medizinisch immer schon eher als ungesund galt – was ja auch heute noch der Fall zu sein scheint.
In der katholischen Kirche hingegen gab und gibt es mit der Jungfrau Maria, mit dem im Mittelalter eingeführten Priesterzölibat und mit den klösterlichen Lebensweisen immer eine hohe Wertschätzung der sexuellen Keuschheit. Dagegen stellen sich der Tendenz nach wiederum die protestantischen Kirchen, denen Ehe und Familienleben als Ideal und Norm gilt. Allerdings wird in diesem Kontext wiederum besonders streng auf voreheliche Enthaltsamkeit geachtet.
Bernau schlägt hier einen Bogen zu zeitgenössischen religiösen Diskussionen über voreheliche Keuschheit in den Vereinigten Staaten, wo "abstinence only" in den letzten Jahren weitgehend zur Hauptform der "Sexualaufklärung" geworden ist. Und sie zeigt, dass es dabei auch heute noch vorwiegend um eine soziale Disziplinierung von Frauen geht: der Ruf, eine "Schlampe" zu sein, kann – zumindest in der amerikanischen Provinz – sozial immer noch tödlich sein.
Hierzulande hingegen scheinen derzeit vor allem die Debatten über "Gebärverweigerinnen" eine lange Tradition protestantischen, antikatholischer Anti-Junfräulichkeits-Ideologie aufzugreifen: ein Monster die Frau, welche sich ihrer natürlichen Bestimmung als Ehefrau und Mutter verweigert!
Denn in gewisser Weise scheinen die Nonnen des Mittelalters und die "alten Jungfern" des 19. Jahrhunderts Vorläuferinnen der viel gescholtenen kinderlosen deutschen Akademikerinnen zu sein – das zumindest lässt sich aus dem vielfältigen Material, das Bernau vorlegt, schließen. Ein anregendes Buch über alte und neue Mechanismen und Techniken der Frauenunterdrückung.
Rezensiert von Catherine Newmark
Anke Bernau: Mythos Jungfrau. Die Kulturgeschichte weiblicher Unschuld
Aus dem Englischen von Ulrike Seith.
Parthas Verlag, Berlin 2007, 200 Seiten, 19,80 Euro
Dabei ist nach wie vor ungeklärt, was eine Jungfrau eigentlich sein soll. Wenn man Jungfräulichkeit als den Zustand sexueller Unschuld definiert, dann können entgegen der deutschen Bezeichnung durchaus auch Männer "Jungfrauen" sein. Traditionellerweise wird allerdings sexuelle Unschuld – wie überhaupt Sexualmoral – als Forderung eher an Frauen gestellt und deren Fehlen eher ihnen angelastet.
Aber selbst wenn man sich auf den historisch gewichtigeren weiblichen Fall beschränkt: was ist sexuelle Unschuld? Müssen selbst die Gedanken rein sein? Darf man masturbieren? Jemanden küssen? Auf die Wange? Auf den Mund? Ganz zu schweigen von allen sonstigen sexuellen Praktiken, die nicht direkt vaginale Penetration beinhalten. Denn dass diese letztere zum Ende der Unschuld führt, ist eine der gängigsten Annahmen.
Schließlich findet sich am weiblichen Scheideneingang das sogenannte Hymen oder Jungfernhäutchen, das idealtypischerweise bei der ersten mann-weiblichen Kopulation reißt. Dass dies allerdings nicht zuverlässig der Fall ist, wissen Ärzte seit jeher: Die Schleimhaut am Scheideneingang kann ganz fehlen oder sehr dehnbar sein und sie kann bei allen möglichen Tätigkeiten reißen, die nichts mit Sex zu tun haben.
Dass weibliche Jungfräulichkeit körperlich nachweisbar sei, ist allerdings ein langlebiger kultureller Mythos, der auch heute noch Bestand hat. Und den wiederum fragwürdige Schönheitschirurgen sich zunutze machen, welche die chirurgische (Wieder-)Herstellung eines Jungfernhäutchens anbieten.
Wie kommt es also zum "Mythos Jungfrau"? Mit dieser Frage beschäftigt sich die englische Literaturwissenschaftlerin Anke Bernau in einem anregenden Buch. Sie untersucht religiöse, medizinische und juristische Diskussionen über Jungfräulichkeit von Antike und Mittelalter bis in die Neuzeit und sie setzt sich auch mit gegenwärtigen amerikanischen Jungfräulichkeits- und Keuschheitsbewegungen auseinander.
Historisch besonders interessant ist zunächst die Kluft zwischen religiösen und medizinischen Auffassungen. Wie Bernau zeigt, waren Ärzte immer eher gegen Jungfräulichkeit, nicht nur, weil sie um deren problematische Konstruktion wussten, sondern auch, weil sexuelle Enthaltsamkeit medizinisch immer schon eher als ungesund galt – was ja auch heute noch der Fall zu sein scheint.
In der katholischen Kirche hingegen gab und gibt es mit der Jungfrau Maria, mit dem im Mittelalter eingeführten Priesterzölibat und mit den klösterlichen Lebensweisen immer eine hohe Wertschätzung der sexuellen Keuschheit. Dagegen stellen sich der Tendenz nach wiederum die protestantischen Kirchen, denen Ehe und Familienleben als Ideal und Norm gilt. Allerdings wird in diesem Kontext wiederum besonders streng auf voreheliche Enthaltsamkeit geachtet.
Bernau schlägt hier einen Bogen zu zeitgenössischen religiösen Diskussionen über voreheliche Keuschheit in den Vereinigten Staaten, wo "abstinence only" in den letzten Jahren weitgehend zur Hauptform der "Sexualaufklärung" geworden ist. Und sie zeigt, dass es dabei auch heute noch vorwiegend um eine soziale Disziplinierung von Frauen geht: der Ruf, eine "Schlampe" zu sein, kann – zumindest in der amerikanischen Provinz – sozial immer noch tödlich sein.
Hierzulande hingegen scheinen derzeit vor allem die Debatten über "Gebärverweigerinnen" eine lange Tradition protestantischen, antikatholischer Anti-Junfräulichkeits-Ideologie aufzugreifen: ein Monster die Frau, welche sich ihrer natürlichen Bestimmung als Ehefrau und Mutter verweigert!
Denn in gewisser Weise scheinen die Nonnen des Mittelalters und die "alten Jungfern" des 19. Jahrhunderts Vorläuferinnen der viel gescholtenen kinderlosen deutschen Akademikerinnen zu sein – das zumindest lässt sich aus dem vielfältigen Material, das Bernau vorlegt, schließen. Ein anregendes Buch über alte und neue Mechanismen und Techniken der Frauenunterdrückung.
Rezensiert von Catherine Newmark
Anke Bernau: Mythos Jungfrau. Die Kulturgeschichte weiblicher Unschuld
Aus dem Englischen von Ulrike Seith.
Parthas Verlag, Berlin 2007, 200 Seiten, 19,80 Euro