Arnd Pollmann schreibt Bücher über Integrität und Unmoral, Menschenrechte und Menschenwürde. Er ist Professor für Ethik und Sozialphilosophie an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin und Mitherausgeber des philosophischen Onlinemagazins Slippery Slopes.
Was ist eine gute Frage?
Was ist eine gute Frage? Eine, die gerade keine prompte Antwort erlaubt - und die gegebenenfalls wunde Punkte berührt, meint Arnd Pollmann. © Unsplash / Simone Secci
Wenn es uns die Sprache verschlägt
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Neulich, nach dem Champions-League-Finale: Ein aufgebrachter Fußballprofi empört sich über die „Scheißfragen“ des Reporters. Stellt sich die Frage: Was ist eine gute Frage? Gerade eine, die sich nicht so leicht beantworten lässt, meint Arnd Pollmann.
Wie geht es Ihnen? Wie war ihr Tag bislang so? Warum tragen Sie eigentlich keine Maske? Und warum daddeln Sie ständig am Handy herum, wenn ich mit Ihnen spreche?
Fragen können riskante Kommunikationsakte sein. Man kann sich mit einer Frage nicht nur als unwissend oder naiv, sondern auch als störend aufdringlich erweisen. Die befragte Person gerät in die Klemme: Sollte ich dieser Frage nicht besser ausweichen? Darf ich lügen? Man weiß ja nie, worauf man sich einlässt.
Falls es schnell gehen muss
Beginnen wir mit der Frage, was überhaupt eine Frage ist. Das ist die Meta-Frage, und die kürzest mögliche Antwort hat ihrerseits mit dem Antworten zu tun. Denn Fragen sind Sprechakte, die eine Antwort provozieren.
Natürlich kann diese Antwort ausbleiben oder durch eine Gegenfrage ersetzt werden. Aber dann entzieht man sich. Das Fragen selbst hat eine Sogwirkung: Wer fragt, will häufig nicht bloß eine sachliche Information, sondern eine Beziehung aufbauen oder intensivieren. Und dieser Sog entsteht besonders dann, wenn es sich um eine gute Frage handelt. Was aber sind gute Fragen?
Es kommt ersichtlich auf den Kontext an. Wer auf dem Weg zum Bahnhof eine wildfremde Person nach dem schnellstmöglichen Weg fragt und diesen umgehend gewiesen bekommt, hat vermutlich genau die richtige Frage gestellt. Man spricht hier von einer „geschlossenen“ Frage, weil es schnell gehen muss. Auch wer sich erkundigt - „Schmeckt es dir?" -, erwartet selten eine ausufernde Gastrokritik.
An dieser Stelle jedoch soll es um Konversationen gehen, um Interviews, Beziehungsanbahnungen, philosophische Workshops. Dort sind gute Fragen meist „offene“ Fragen, die gerade nicht zu raschen, eindeutigen Antworten führen nach dem Motto: ja, nein, hier entlang!
Kindliche Unbekümmertheit
Manchmal merkt man allerdings erst beim zweiten Hinhören, dass es sich um eine gute Frage handelt: Haben Zebras weiße oder schwarze Streifen? Wann ist nie? Papa, wo war ich, als ich noch nicht auf der Welt war? Warum darf man Mücken töten, Katzen nicht?
Und auch die Frage, was eine gute Frage ist, ist übrigens eine ziemlich gute Frage.
Gute Fragen haben oft etwas Kindliches. Sie zeugen von Staunen, Verwunderung, Neugierde, von fehlender Zensur, Unangepasstheit und Kreativität. Aber bisweilen auch von Übermut, Trotz und nervtötender Hartnäckigkeit: Warum? Warum? Warum?
Wer diese Strapazen kindlicher Konsultationen kennt, weiß: Fragen sind besonders dann gute Fragen, wenn sie bei der befragten Person genau das verursachen, was auch die fragende Person zu ihrer Frage motiviert haben mag: Staunen, Zögern, Ratlosigkeit.
Und dieses Fragen kann ansteckend sein, indem nun plötzlich auch die Gegenseite ins Staunen, Schwanken und Zögern gerät, in Erregung, Spekulation oder Zwiespalt.
Einladung zum endlosen Palaver
Gute Fragen führen zu vorerst unbefriedigenden Auskünften, die zu weiteren guten Fragen einladen und damit zu immer neuen Erfahrungen des Staunens oder der Befremdung. Sie laden ein zu einem tendenziell endlosen Palaver – auch wenn man dazu leider viel zu selten Zeit hat.
Gute Fragen motivieren zu mutigen Hypothesen, schöpferischer Spekulation, zum Bruch mit Dogmen und Denkschablonen. Und womöglich bringen sie die Befragten damit – nach Art der Sokratischen Hebammenkunst – ein zweites Mal „zur Welt“.
Übrigens wird – umgekehrt – aus einer Frage nicht schon dadurch eine schlechte Frage, dass ein Gegenüber genervt abbricht und schimpft: „Frag‘ nicht so blöd!“ Diese Gereiztheit der befragten Person – ob erziehungsberechtigt oder Fußball-Millionär – mag schlicht ein Indiz dafür sein, dass sie nicht zugeben will, mit ihrem Latein am Ende zu sein.
Manchmal zeigt sich eben die Qualität, aber auch das Riskante einer guten Frage darin, dass sie einen wunden Punkt trifft.