Was ist das Deutsche (noch) wert?

Von Peter Kiefer |
Am kommenden Montag, am 26. September, findet unter der Schirmherrschaft des Europarates und der Europäischen Union der Europäische Tag der Sprachen statt. Es ist ein Tag, der uns auf die Bedeutung des Sprachenlernens hinweisen soll – nicht nur für die Jugend sondern für jedes Alter. Und es geht um die Sprachen selbst. Wie sieht es da mit unserer Muttersprache aus? Tatsache ist, dass Deutsch im Internet mit 13 Prozent weltweit unterrepräsentiert ist. Und sonst?
Adelhöfer: „In Korea ist es so, dass Deutsch n ganz tollen Ruf hat. Sie finden dort an öffentlichen Plätzen häufig deutsche Bezeichnungen in koreanischer Sprache, zum Teil auch in lateinischer Sprache. Da steht dann halt „Liebe“ oder „Neuschwanstein“ einfach so holterdiepolter und dann denken Sie, hoppla, was ist denn das eigentlich? "

Erhart: „Im Falle der Asiaten ist ja der interessante Effekt, dass es da viele, vor allem Japaner gibt, die in einer Runde, in der alle aufgefordert werden, mal in fröhlicher Atmosphäre ein Liedchen zu singen, mal eben ein deutsches Volkslied mit allen Strophen singen können. "

Adelhöfer: „Da wird man blass vor Neid, dass man da nicht mitsingen kann.“

Ist den Deutschen die eigene Sprache nicht ganz geheuer? Zumindest glauben viele zu wissen, dass sie „schwer“ ist, eine Trutzburg voll stacheliger Regeln, und dass sie einen „harten“, jedenfalls wenig angenehmen Klang hat.

Nitch: „An der Ostküste, wo ich wohne, gibt es sehr wenig junge Leute, die Deutsch lernen und ich würde sagen, dass die meisten glauben, dass Deutsch eine besonders hässliche Sprache ist. "

Michael, Anfang zwanzig, begründet das Vorurteil seiner amerikanischen Landsleute damit, dass diese, wenn sie ein deutsches Wort lesen, es wie ein englisches aussprechen und glauben, es sei nicht mundgerecht. Auch Abis Erfahrungen mit dem Deutschen sind zwiespältig.

Haley: „Wenn man mich in England fragt, was ich studiert habe, und dann sag ich: Deutsch, Germanistik, dann kuckt jeder ein bisschen komisch. Ich glaube, viele Leute verstehen nicht, warum jemand Deutsch lernen will. Ja, ich weiß auch nicht, warum ich Deutsch lernen wollte, aber es gefällt mir. Es ist vielleicht ein bisschen hart, aber nicht härter als Englisch, glaube ich, nicht hässlich. "

Nitch: „Heute haben wir in der Klasse vom Mord gesprochen. Wir haben das Wort „erschießen“ gelernt. Es ist ein bisschen deprimierend. Und es gibt auch „schießen“. Auf Englisch gibt (es) solche Unterschiede weniger. Und das find ich irgendwie schön, dass das Wort „verfahren“ dieselbe Basis als das Wort „fahren“ hat, weil, auf Englisch muss man das total anders ausdrücken. Ich glaube, dass die Sprache reicher ist, weil man mehr mit ähnlichen Wörtern spielen kann, was man nicht so gut auf Englisch tun kann.“

Haley: „Mein Lieblingswort auf Deutsch ist „Wiederaufbereitungsanlage“. (Lacht.) Es gibt 26 Buchstaben, ja, und das finde ich merkwürdig.“

Oder wollte sie sagen: „bemerkenswert“? Aber warum soll das Deutsche nicht auch eine merkwürdige, womöglich eine merkwürdig schöne Sprache sein?

Šteger: „Ich finde doch hier im Gasthaus, am Kiosk sehr viel von einem Gottfried Benn...“

...verrät der junge slowenische Lyriker Aleš Šteger. Von Benn und auch von anderen deutschen Autoren, die er vorher nur aus Büchern gekannt hat.

Šteger: „Und auch der Witz, das Schlagfertige, das klingt dann, wenn man das aus den Mündern von Unbekannten auf der Straße zu hören bekommt, dann schlägt das um, dann bringt es das Gedicht wieder zurück.“

Aleš Šteger erzählt, dass er Deutsch beim Anschauen von Fernsehserien gelernt hat. Sein Opa konnte ein paar Brocken sprechen und er, der kleine Junge, saß neben ihm auf der Couch und hat zunächst vor allem den Klang und den Fluss dieser Sprache für sich entdeckt.

Šteger: „Ich hab's intuitiv gelernt, und wo ich dann die Logik irgendwie ausbreiten musste, dann fehlte mir die Logik. Ich mag eigentlich die Idee, dass in einer jeden Sprache auch viel Chaos dahintersteht, und die Deutschen geben sich ja sehr viel Mühe dieses Chaos aus der Sprache rauszuhalten, aber ganz gelingt's ihnen nicht und das macht das Deutsche auch so reizbar... nee, nee, reizvoll.“

In jedem Fall schafft es Anreize. Zum Beispiel solche Wörter zu bilden wie...

Haley: „Wiederaufbereitungsanlage.“

Zugegeben, eher ein Reizwort, zugleich aber auch eine jener eigentümlichen Wortschöpfungen, die diese Sprache unverwechselbar, manchmal unübersetzbar machen. „Fingerspitzengefühl“, „Gratwanderung“, „Weltschmerz“ oder „Schadenfreude“ wären andere Beispiele dieser Art. Oder so ein Unikum, das die Sprachwissenschaftlerin Gisela Klann-Delius nennt.

Klann-Delius: „Na, die Sollbruchstelle ist wieder mal ein Wort, über das man sich wunderbar freuen kann. Dann macht man sofort assoziative Reihen auf, was bricht, und man ist beim Bruchband und diesen ganzen Scheußlichkeiten. Ich hatte mal ne arme Staatsexamenskandidatin, die ich über Morphologie des Deutschen zu prüfen hatte – da geht es immer um die Frage, wie kann man aus einfachen Wörtern komplexe Wörter bilden – und da hab ich ihr ein Wort vorgegeben, hab gesagt, nun erklären Sie mir mal das Wort „Streuselkuchen“, und dann hat sie tief gerätselt und sagte, ja, ja, Kuchen mit Streusel. Dann sagte ich, ja wie sieht's aus mit „Hundekuchen“, da setzte sie an zu sagen „Kuchen mit Hund“, und das war natürlich der absolute Brüller.“

Vielleicht aber auch ein Ausdruck dafür, dass das Deutsche dem schnellen Sprachbenutzer einige Stolpersteine in den Weg legt und seine Qualitäten in etwas andersartigen Rhythmen entfaltet.

Klann-Delius: „Also erst mal die Qualität, die ich sehr schätze: ständig die wunderbarsten Schachtelsätze produzieren zu können. "

Immanuel Kant: „Die Vorstellungen der Gegenstände mögen noch so ungleichartig, sie mögen selbst Vernunftvorstellungen sein, so ist doch das Gefühl der Lust, wodurch jene doch eigentlich nur den Bestimmungsgrund des Willens ausmachen, das Vergnügen, das man davor erwartet, welches die Tätigkeit zur Hervorbringung des Objekts antreibt, nicht allein so fern von einerlei Art, dass es jederzeit... "

Klann-Delius: „Ist nicht grade hörerfreundlich, aber wenn man's denn mag, kann man in dem Gerüst der deutschen Syntax herumklettern wie n Kind auf diesen Kletterspinnen, die man auf Spielplätzen findet.“

Kant: „...bloß empirisch erkannt werden kann, sondern auch so fern, als er eine und dieselbe Lebenskraft, die sich im Begehrungsvermögen äußert, affiziert, gleichwohl in dieser Beziehung von jedem anderen Bestimmungsgrunde in nichts, als dem Grade, verschieden sein kann.“

Behufs aller weiteren Vernunftgeschäfte mag man die Schriften des hier zitierten Immanuel Kant studieren und darin – wer weiß? – am Ende noch die kindliche Lust an der deutschen Sprache entdecken. Aber das Deutsche ist keineswegs nur, wie es im Buche seiner Dichter und Denker steht.

Lässt sich eine Sprache unter Strafe stellen? Die öffentliche ganz bestimmt. Bekannt ist die so genannte Loi Toubon in Frankreich, ein Gesetz, das beispielsweise den Gebrauch englischer Werbesprüche mit Acht und Bann belegt. Ähnliche Verordnungen existieren in Polen und neuerdings auch in Rumänien.

Klann-Delius: „Statistisch gesehen, gibt es eine Einschätzung, dass der Anteil an Anglizismen und Amerikanismen im deutschen Wortschatz bei 4% liegt. Da wär ich, ehrlich gesagt, noch überhaupt nicht beunruhigt. Wir wissen auch, dass das Deutsche – und andere Sprachen auch – immer Anleihen bei anderen Sprachen gemacht haben. Früher haben wir noch Billets gekauft und gingen auf den Perron, dass ist dann durch gewisse merkwürdige Eindeutschungstendenzen Anfang des letzten Jahrhunderts dem Bahnsteig gewichen und dem Fahrschein. "

Und Letzterer inzwischen wohl dem „Ticket“. Aber welche Schlüsse lassen sich daraus schon ziehen außer dem, dass die Sprache in Bewegung, dass sie auf ihre Weise, und das heißt: entgegen aller Reglementierungen, lebendig ist.

Klann-Delius: „Wenn wir uns ankucken – und das hat was mit dem großen Magen der Sprache zu tun – wie klasse diese ganzen Fremdwörter eingedeutscht werden... Also wir surfen im Internet und es wird gebrowst, das sind ja alles Formen, wo wir unsere grammatischen Einheiten kombinieren mit den Wortstämmen, die aus dem Englischen kommen. "

Genau wie wir's vormals mit dem Lateinischen und später auch dem Französischen gemacht haben. Der Unterschied ist nur, dass die oft gescholtenen Anglizismen bislang nur tropfenweise Eingang in den Kanon der etablierten Fremdwörter finden, dass offenbar noch eine Schamgrenze gezogen wird.

Klann-Delius: „Ich hätte da überhaupt keine Panik, ganz im Gegensatz zu vielen, die darauf etwas panisch reagieren.“

Das so genannte Wörterbuch der überflüssigen Anglizismen, das bei abstract beginnt und mit zero tolerance endet, verzeichnet allerdings nicht weniger als viertausend Einträge. Dabei stehen nicht nur Wörter am Pranger wie „Recycling“, „Meeting“, „Kids“, „Drinks“ oder schlichte Ausrufe wie „Wow!“ oder „Sorry!“, sondern auch Eingedeutschtes. Das bekannte „Sinn machen“ etwa, das man von to make sense abgelauscht hat, oder etwas „ist der Punkt“, obwohl das Deutsche da noch unterwegs ist und sagt: Darum geht es. Selbst auf der Landkarte verschiebt sich der Nahe in den Mittleren Osten, weil im Englischen von Middle East die Rede ist, wenn Staaten wie Syrien oder Palästina gemeint sind. Wird die deutsche Mutter- allmählich zu einer Stiefmuttersprache?

Šteger: „Überhaupt nicht, ich begrüße das. Die Sprache ist ja ein permanentes Geben und Nehmen. Ich bin absolut kein Purist, was die Sprache betrifft.“

Dennoch muss man den Duden nicht wie eine Gesetzestafel vor sich hertragen, um festzustellen, dass die Deutschen im Nehmen geradezu hyperaktiv geworden sind. Man denke an die bekannten Scheinanglizismen à la „Handy“ oder „Service Point“, bei denen selbst ein Engländer oder Amerikaner ins Grübeln käme, weil er sie von zu Hause gar nicht kennt.

Klann-Delius: „Natürlicherweise ist es lästig, wenn irgendwelche Schnösel im Fernsehen glauben, sie kommen besonders gut rüber, nicht nur mit der durchgegelten Frisur, sondern auch mit ner durchgegelten amerikanischen Redeweise. Aber ich denke, jeder der bei Trost ist, findet das nur affig.“

Mal so gesehen: Sind wir noch bei Trost? Oder sind wir's umso mehr, als wir nicht mehr vor unserer Sprache stramm stehen? Sie nicht länger in Dirndl und Wams zwängen?

Der Schritt aus der bleiernen Zeit der Nachkriegsjahrzehnte hin zu Mulitikulti und Weltoffenheit im Sinne eines Anything goes...

...birgt – so könnte man umgekehrt glauben – wiederum die Gefahr einer Vernachlässigung der eigenen Kultur. Ist der Individualismus am Ende ein Motor für das Verlottern der Sprache?

Klann-Delius: „Ich würde fast glauben, wenn es denn so wäre, dass es dazu führen müsste, dass man noch sehr viel stärker an der jeweiligen Sprache poliert und blitzt und blinkt, Facetten einschleift und seine Individualität hervorkehrt, um sie dann aber mit anderen zu teilen.“

Auch dass die Blumenkinder von einst...

Klann-Delius: „...dass die in irgendeiner Weise eine Art Topfblumensprache entwickelt hätten oder auch sprachlich mit den hölzernen Stricknadeln vor sich hinklappern...“

...hält Gisela Klann-Delius für unsinnig.

Klann-Delius: „Die europäische Sprachenpolitik zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie grad nicht multikultiselig ist, sondern sagt, jede Sprache oder sprachliche Gruppierung, die eine eigene Sprache hat, soll die bitteschön bewahren und soll sie nicht zugunsten einer leichten esperantoartigen, anglifizierten Umgangssprache aufgeben, weil wir wissen, dass Sprache und persönliche Identität miteinander verbunden sind.“

Grolig: „Was mir auffällt: Es sprechen sehr viel mehr Personen im Ausland, mit denen man in Kontakt kommt, Deutsch, als man zunächst glaubt.“

Wilfried Grolig leitet die Abteilung für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik im Auswärtigen Amt.

Grolig: „So viele Leute haben Deutsch gelernt und da muss man sich fragen, ob wir Deutsche, wenn wir uns im Ausland aufhalten, ob wir da nicht einen Fehler machen, wenn wir sofort ohne Not auf Englisch oder Französisch rekurrieren, um uns verständlich zu machen.“

Weit mehr als fünf Millionen Menschen alleine im Kernbereich der Europäischen Union lernen Deutsch und es scheint, als sei man in diesem Europa besser aufgehoben, als gelegentlich angenommen wird. Auf politischer Ebene gibt es freilich noch Blockaden. Erinnert sei an den Vorsitz Finnlands 1999 im EU-Ministerrat, als man für die informellen Treffen neben dem Finnischen nur Englisch und Französisch als Arbeitssprachen zulassen wollte, obwohl der Anteil der deutschen Muttersprachler in der EU mit 24 Prozent bei Weitem den der Franzosen oder Engländer übersteigt. Erst durch den darauf erfolgenden Boykott der Länder Deutschland und Österreich war man bereit einzulenken und die entsprechenden Dolmetscherkabinen aufzustellen. Derlei Auseinandersetzungen haben aber eher einen symbolischen Wert. Der Wettbewerb der Sprachen findet auf einer anderen Ebene statt.

Kurzer Rückblick. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs verliert das Russische als Verkehrssprache im mittelost- und südosteuropäischen Raum fast über Nacht seine Bedeutung. Das Englische tritt an seine Stelle und mit ihm – noch für kurze Zeit auf Augenhöhe – das Deutsche. Gerade diese Sprache baut eine Brücke in den unmittelbar angrenzenden Westen. In der Eile müssen überall Sprachlehrer rekrutiert werden, aber...

Grolig: „Die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik besitzt ganz lange Wellenbewegungen und es lässt sich nicht umsteuern wie'n schnelles Motorboot, sondern eher wie ein ganz großes Schiff. Es braucht eine gewisse Zeit, bis es den neuen Kurs einschlagen kann.“

Um dann wohl die eine oder andere Chance verpasst zu haben. Hinzu kommt das, was die derzeitige Präsidentin des Goethe-Instituts, Jutta Limbach, als ein Versäumnis „aus respektablen Gründen“ genannt hat. Man wollte den vermeintlichen Moloch des vereinigten Deutschland im Prozess der europäischen Integration nicht durch eine aggressive Sprachenpolitik noch gefährlicher erscheinen lassen, als er in den 90er Jahren manchen wohl erschienen ist. Und wenn Aleš Šteger für sein Land Slowenien feststellt...

Šteger: „Ich glaube die deutsche Sprache hat extrem viel eingebüßt. "

...dann gilt dies sicher auch anderswo. Dabei sind gerade Bewohner kleinerer Länder darauf angewiesen, Fremdsprachen zu lernen, um sich mit Europa und der Welt verständigen zu können. Am Beispiel der Slowenen sei angemerkt, dass sie dem Deutschen positiv, zumindest vorurteilsfrei begegnen.

Šteger: „Es gibt Statistiken, die besagen, dass man anfangs der 80er noch genauso viele literarische Bücher in der deutschen Sprache gekauft hat wie englische. Und das Verhältnis ist jetzt vielleicht eins zu zwanzig.“

Grolig: „Also der Wettbewerb ist da. Und Fakt ist natürlich, dass Deutsch sich im Wettbewerb sieht mit Englisch. Wenn man Sprache versteht als etwas, was das Fenster zu einer neuen Kultur aufstößt, dann ist Englisch nur bedingt ein Konkurrent.“

Šteger: „Man begnügt sich sehr schnell mit einem sehr oberflächlichen, einem ABC-Englisch. Wohingegen man beim Deutschen... auf das Deutsche ist man ja meistens nicht angewiesen... Diejenigen, die es erlernen, lernen es auch ein bisschen gründlicher.“

Wer Deutsch lernt, jedenfalls eine andere Fremdsprache als besagtes ABC-Englisch, muss, wenn er nicht nur Small Talk betreiben möchte, eine Einstellung zu dieser Sprache entwickeln, sich auf eine andere Mentalität einlassen.

Grolig: „Wir unternehmen zum Beispiel im Moment eine sehr große Kampagne in Frankreich, um Franzosen dafür zu gewinnen, junge Franzosen, Deutsch zu lernen. Umgekehrt bemüht sich Frankreich in Deutschland mehr Deutsche davon zu überzeugen, dass es sinnvoll ist Französisch zu lernen.“

Denn wie anders sollen zwei dominierende Staaten in Europa sich weiter miteinander austauschen? Nur wieder auf Englisch? Das Sprachenregime der Europäischen Union verwaltet eine Palette von 22 Sprachen. Aber, um nur ein Beispiel zu nennen, EU-weite Ausschreibungen für Unternehmen in den beteiligten Ländern sind auf Englisch oder Französisch abgefasst. Vor allem auf mittelständische Firmen kommen damit unnötige Mehrkosten zu.

Grolig: „Deshalb ist es eine stehende Forderung von uns, dass auch EU-Dokumente rechtzeitig und schnell ins Deutsche übersetzt werden, damit man Zugang hat. Bei der Werbung für die deutsche Sprache müssen wir andere Assoziationen auslösen wie nur das Scherenschnittprofil von Goethe oder Schiller. Ein wichtiges Element für den Erfolg unserer Werbebemühungen ist einfach aufzuzeigen, dass die deutsche Sprache zu was nutze ist.“

Nutze wozu? Allein in den letztjährigen Beitrittsländern der EU lernen viereinhalb Millionen Menschen Deutsch, über acht Millionen sind es in der GUS. Ein wesentliches Anliegen dafür ist die Hoffnung, mit dem Erwerb der Sprache die Karriereleiter in einem deutschen Unternehmen besteigen zu können. Aber funktioniert das überhaupt?

Erhart: „Zunächst mal, würd ich sagen, nein.“

Auf Christof E. Erharts Visitenkarte steht „Leiter Corporate Communication“. Man muss es erst einmal ins Deutsche übersetzen: Unternehmenssprecher. Und er spricht für einen so genannten Global Player, den Berliner Pharma-Konzern Schering.

Erhart: „Es mag den Einstieg erleichtern, wer Sprachen außerhalb der Muttersprache und des Englischen zusätzlich beherrscht, aber da ist für den Koreaner, der jetzt bei uns einsteigen will, Deutsch auch nicht wichtiger als Französisch oder Spanisch oder ne andere Sprache es wäre.“

Damit könnte man die Angelegenheit bereits abhaken: Deutsch hat, um im Bild zu bleiben, abgewirtschaftet. Selbst im eigenen Land. In den Manageretagen wird Englisch gesprochen, bestimmte Bereiche des Unternehmens Schering, selbst im Urberliner Stadtteil Wedding, tragen englische Bezeichnungen.

Erhart: „Natürlich spielt die Kultur unseres Unternehmens, die ja gewachsen ist über'n langen Zeitraum und aus einem deutschen Umfeld heraus gewachsen ist, im Miteinander und auch im Auftritt eine gewisse Rolle, zugleich ist für uns aber auch ganz wichtig, dass wir im internationalen Umfeld nicht den Eindruck erwecken, dass wir, ich nenn das mal, eine Leitkultur hätten.“

Das Herz ist deutsch, der Verstand hingegen englisch?

Erhart: „Ich glaube, man muss unterscheiden in der Frage, welches ist das technische Vehikel, über das in der Wirtschaft, im Management Gedankenaustausch, Entscheidungsfindung, Planung betrieben wird. Ich denke, da hat das Englische den anderen Sprachen ein Stück weit den Rang abgelaufen. Es wird sehr schwierig sein das Rad zurückzudrehen.
Wir haben sehr viele Teams, die multikulturell zusammengesetzt sind, in denen verschiedene Sprachen und Kulturräume zusammenkommen und für die es möglicherweise sogar hinderlich wäre, wenn der Eindruck entstünde, es gäbe nur eine Sprachwelt, eine Kulturwelt, die befördert wird.“

Lediglich wo der technische Nutzen gering zu sein scheint, hat sich das Englische noch nicht allzu weit vorgearbeitet, etwa in einem begrenzten Bereich des Wissenschaftsbetriebs, wie den philologischen Fächern oder auch der Archäologie. Hier besitzt das Deutsche nach wie vor einen hohen Stellenwert. Zu Zeiten eines Sigmund Freud oder Albert Einstein war es sogar die dominante Wissenschaftssprache in der Welt! Aber wer würde heute noch daran denken einen weltweiten Trend gewaltsam umkehren zu wollen? Gisela Klann-Delius schildert mit ihren Eindrücken von einem Berliner Kongress, der Psycholinguistiker aus aller Welt versammelt hatte, ein ebenso amüsantes wie zweifelhaftes Beispiel für den Status quo eines alles dominierenden Englisch.

Klann-Delius: „Gestern hatte ich einen Vortrag einer Französin gehört, die hat zwar Englisch gesprochen, aber mit einer derart klaren französischen Intonation: Das Wissenschaftsenglisch ist ja stark durchsetzt mit lateinischen Ausdrücken, dass man fast nur noch französische Wörter hört. Es gibt dann so ganz lustige Lücken, dass jemand sagt: Wie heißt'n das, eins nach dem andern? plötzlich auf Deutsch. Es hat auch was ganz Kooperatives. Also ich find es eher belustigend und erheiternd, weil eben zwei Drittel der Leute in der gleichen Situation stehen. Wie sehr auch very wooden this English might be, es ist halt ne Möglichkeit sich rasch miteinander zu verständigen.“

Wer hingegen Deutsch als Fremdsprache wählt, wählt – Kultur?

Adelhöfer: „"Neuschwanstein“, „Mercedes Benz“, „Boris Becker“, das ist in den Köpfen drin.“

Matthias Adelhöfer ist Lehrer und Koordinator der Sprachkurse am Goethe-Institut in Berlin. Er hat langjährige Auslandserfahrungen in Japan und Korea gesammelt und er ist, wenn man so will, dauernd am Puls der Sprache.

Adelhöfer: „Man geht als Lehrer praktisch den ganzen Tag herum und schaut, so, was kann ich für die nächste Klasse, oder wenn ich Lehrbuchautor bin sogar, für mein nächstes Lehrbuch verwerten. Und da legt man sich dann Sammelmäppchen an, also das gehört alles mit dazu. Es wird versucht ein ganz frisches, auch ein bisschen überraschendes, vielleicht auch n freches Deutschlandbild zu präsentieren. Als ich jetzt in Japan war, hatten wir natürlich auch damit zu ringen, das alte Deutschlandbild zu verlassen. Das wird im Moment unterstützt durch eine Aktion, das Deutschlandjahr in Japan, und im Vorfeld haben wir dann neue Werbeprospekte für Sprachkurse in Japan gemacht, wo ein ganz junger Japaner abgebildet war und eine ganz junge Japanerin. Die junge Japanerin streckte ihrem Freund die Zunge raus; das war auf den ersten Blick n bisschen anzüglich, aber es war auf jeden Fall, wie man auf Englisch sagt, sehr eye-catching, und es hat auch n ziemlichen Erfolg gebracht. Neben dem Poster stand da noch: Ja, es geht auf die Fußballweltmeisterschaft zu, ich bin schon in Deutschland, ich lerne schon Deutsch – und wann kommst du?“

Adelhöfer: „Warum die Koreaner Deutsch lernen? Das Image des Deutschen ist ja ganz stark geprägt durch den Begriff der Kulturnation, dass eben deutsche Komponisten sehr bekannt sind, deutsche Dichter weniger. Ehemals war Deutsch dort wichtig für die Sprache der Juristen, also das ganze Gesetzessystem, auch in Japan, wurde mehr oder weniger übernommen. Das wirkt immer noch nach, selbst wenn es jetzt über hundert Jahre her ist.“

Mathias Adelhöfer erinnert sich an einen Kurs, den er in Seoul gegeben hat, als seinen Studenten ein bestimmtes Thema auf den Nägeln brannte.

Adelhöfer: „Wie ist es denn, das Verhältnis der Geschlechter? Wie ist es mit diesen Lebensabschnittsgefährten, wie ist es mit diesen sonderbaren Patchworkfamilien und diesen ganzen Geschichten? Ist es wirklich so, dass die Kinder zum Teil mit sechzehn Jahren ausziehen von zu Hause, sich ne eigene Wohnung suchen, die die Eltern finanzieren müssen? Und die sitzen in den Klassen und kriegen den Kiefer nicht mehr zu. (Lacht.) "

Und sie werden irgendwann vielleicht einmal dieses Land besuchen, werden sogar eine Weile bleiben und eigene Erfahrungen machen mit diesem besonderen deutschen Wort und seinem Wert, mit „Lebensabschnittsgefährte“. Außerdem ist da etwas, das ebenfalls überraschen mag und das sogar britische mit koreanischen Studenten verbindet.

Haley: „Ich glaube, man kann direkter sein mit Deutsch. In Englisch sagt man immer „vielleicht“ oder etwas, aber in Deutsch sagt man direkt, was man will. Das ist nicht unhöflich.“

Adelhöfer: „Man traut sich plötzlich Dinge, die man sich in seiner Muttersprache nicht auszudrücken trauen würde. Es gibt keine Tabus, keine Tabuassoziationen.“

Deutsch macht frei? Man reibt sich ein wenig die Augen und weiß nicht recht, ob man zur vermeintlichen Härte dieser Sprache nicht auch noch eine gewisse Grobschlächtigkeit hinzurechnen soll. Oder das gerade Gegenteil: Leichtigkeit.

Adelhöfer: „Das ist etwas, was man erst im Ausland merkt, glaub ich, welche, auch emotionale, Qualität die deutsche Sprache hat, das merkt man erst, wenn man längere Zeit im Ausland ist und ganz besonders, wenn man permanent die Sprache hinterfragt, dann kommt man in den Genuss zu fragen: Wie drücken wir's eigentlich aus auf Deutsch und welche Färbung, welche Nuancen hat das für uns, und möglicherweise springt das auf Ausländer über, dieser Funke?“

Šteger: „Vor allem wie ich auf Slowenisch schreibe, hat sich durch diese Erfahrung irgendwie verändert. Die Erfahrung der deutschen Sprache hat mein Slowenisch beeinflusst. Wenn ich jetzt schreibe, ich denke nicht, wie klingt das auf Deutsch, aber trotzdem gibt's da... mhm... man denkt nicht dreimal, man denkt fünfmal über eine Formulierung nach und das kommt dadurch.“

Aleš Šteger hat einzelne seiner Gedichte mit der Hilfe eines deutschen Lyrikers selbst ins Deutsche übersetzt.

Šteger: „Ich musste dann Wort für Wort erzählen, was jetzt hinter den Worten im Slowenischen steckt, welche Assoziation das eröffnet, wie der poetische Fluss eigentlich funktioniert, wie die Atemzüge sind, was für Details, was für Anspielungen. Und meine Erfahrung war, dass ich mich nur zu einem ganz gewissen Grad mitteilen konnte. Es gibt eine Leerstelle zwischen der einen und der anderen Sprache. Es gibt einen Abgrund, wo man nicht rüber kann und wo man nur Andeutungen geben kann und nur hoffen kann, dass der andere sie sich einverleibt und dann in seiner Sprache, auch Tonmodus wiedergibt.“

Die Assoziationen, die das Deutsche als Fremdsprache weckt, verbinden sich natürlich mit den Wörtern, aber sie gehen zugleich über diese hinaus.

Šteger: „Ich kann mich daran erinnern, dass sehr viele deutsche Wörter in Witzen vorkamen oder in Songs von slowenischen Bands, ganz groteske Schlager. Irgendwie waren da so Wörter, als wären das kleine Öffnungen in die andere Kultur.“

Adelhöfer: „"Zweisamkeit“, „Zeitlupe“, „Fernweh“, „Lebenslust“. Nicht zuletzt das Wort „Heimat“. Versuchen Sie mal „Heimat“ auf Englisch, Französisch oder sonstwie auszudrücken, da kommen Sie doch wieder zu „Heimat“ zurück.“

Und außerdem kann man, einmal ganz galaktisch, ins Grübeln darüber geraten, wie groß doch diese deutsche Heimat ist.

Grolig: „Wenn man sich Europa anschaut, würde man, wenn jemand von dem Mars käme, würde hier landen, würde sich die demografischen Verhältnisse hier in Europa anschauen und würde sich die Sprachverhältnisse anschauen und fragen, wie viel Millionen Europäer sprechen Deutsch als Muttersprache, wie viel Millionen sprechen Englisch, Spanisch, Italienisch, Portugiesisch usw. – jemand vom Mars käme nicht darauf, dass es nicht Deutsch ist, die die am meisten gesprochene Sprache ist.“

Aber welche Folgerungen würde ein statistisch beflissener Marsmensch daraus ziehen? Am Ende gar kriegerische?

Šteger: „Die Rolle des Deutschen wird sich noch vermindern, weil die Präsenz der Sprache mit ökonomischer Macht verbunden ist, auch mit bewusstem Imperialismus, und Deutschland, wie ich das sehe, ist viel weniger imperialistisch wie andere Großmächte.“

Und ist nicht das, wenn es so ist, am Ende ganz sympathisch?