"Was in jüdischem Besitz war, muss zurückgegeben werden"

Moderation: Jürgen König |
Die Forschung nach der Herkunft der Sammlungsbestände an deutschen Museen muss ein einen höheren Stellenwert bekommen. Das fordert der Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Martin Roth, im Zusammenhang mit dem Streit um die Rückgabe von NS-Raubkunst. Es sollte eindeutig geklärt werden, welche Werke im Besitz von Juden gewesen seien und nun an die Erben der Opfer zurückgegeben werden müssten, sagte er.
Jürgen König: Herr Roth, gehen wir die Sache der Reihe nach durch. Finden Sie auch, dass die Bundesregierung in einer prekären Lage steckt, die sie im Wesentlichen ihren Vorgängerregierungen verdankt?

Martin Roth: Ob es eine prekäre Lage ist, weiß ich nicht, Herr König. Aber dass wir auf alle Fälle schon längst hätten gemeinsam über dieses Thema reden sollen, das ist mit Sicherheit so. Ganz sicher.

König: Man fragt sich ja, warum die deutschen Museen, auch aus eigenem Interesse, sich so lange nicht im Geringsten dafür interessiert haben, woher ihre Bilder stammen.

Roth: Das stimmt nicht. Das ist einfach nicht wahr. Das sagt auch im Prinzip niemand. Und die Vorwürfe, die da immer wieder gegen einzelne Museumsleiter erhoben werden, sind auch im seltensten Fall richtig zutreffend. Oft genug ist es auch ein Redeverbot, das dann von weiter oben kommt.

Es gibt zwei Probleme in diesem Zusammenhang: Das eine ist, dass die Arbeit wirklich extrem aufwendig ist. Sie müssen sich einfach vorstellen, dass wir 100.000er Bestände haben, und diese Objekte alle eine eigene Biografie, mag ein falsches Wort sein, aber zumindest eine eigene Geschichte haben, die mühevoll rekonstruiert werden muss. Das ist kriminalistische Arbeit, gepaart mit viel wissenschaftlicher Kenntnis.

König: Aber es ist doch gar nicht vorzustellen, dass es in ganz Deutschland nur eine einzige fest angestellte Kunstwissenschaftlerin gibt, die die Herkunft der Bilder erforscht.

Roth: Es ist leider in der Tat so. Es gibt jemanden in Hamburg, Frau Haupt, die eine sehr gute Arbeit leistet, es gab in Köln eine Stelle, und wir haben in Dresden ein sehr großes Forschungsprojekt, weil wir uns wirklich versuchen zu beeilen. Wir haben von der Thyssen-Stiftung und von der Getty-Stiftung relativ viel Geld bekommen, um dieses durchzuführen, und trotzdem ist es eine extrem aufwendige Arbeit über Jahre hin.

König: Für Stefan Koldehoff war ja eben ganz klar, was die heutige Runde beschließen sollte: Die deutschen Museen, sagt er, müssten personell, sprich finanziell, in die Lage versetzt werden, von sich aus die Herkunft ihrer Bestände zu untersuchen. Werden Sie diese Forderung heute erheben?

Roth: Ja, wobei die Forderung eh’ im Raum steht. Also das ist im Prinzip nichts Neues. Man muss einfach, glaube ich, den verantwortlichen Kräften klar machen, dass man das nicht nebenher machen kann. Dann sind die Museumsbetriebe lahm gelegt. Also die Provenienzforschung, die sowieso im Ausland viel intensiver betrieben wird als in Deutschland, muss hier auch einen ganz anderen Stellenwert bekommen.

König: Was halten Sie von der Idee, das nationale Kunstgut in Deutschland als solches zu erfassen, also das nationale Kunstgut, das im Lande bleiben muss, als Zeichen des Gedächtnisses?

Roth: Das ist – da muss man jetzt aufpassen, wie man da argumentiert – eine ambivalente Geschichte. Man hatte oft in den letzten Wochen auch wieder gehört, dass etwas auf die so genannte Liste gesetzt wird. Das bedeutet, glaube ich, eher eine Art von hilfloser, schneller Reaktion, indem man einfach sagt, dann darf es Deutschland nicht verlassen. Aber das verändert ja an der Sache nichts, im Gegenteil. Wenn man das sozusagen auch mit unserer Geschichte in Verbindung setzt, ist das vielleicht nicht das allerklügste Argument. Aber ich verstehe trotzdem, wenn jemand so reagiert. Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt: Ich möchte einfach noch mal aus ganz persönlichem, eigenem Interesse, weil ich nicht missverstanden werden möchte, sagen, dass es ganz klar sein muss, was in jüdischem Besitzt war oder ist, muss zurück gegeben werden. Gar keine Frage. Vor allen Dingen, wenn es klar ist. Und es ist in vielen, vielen Fällen einfach klar. Wir haben allein in Dresden seit 1991 über 800 Objekte, Werke zurückgegeben. Nicht nur jüdische Besitz, insgesamt.

König: Über 800.

Roth: Über 800, ja. Das sind einfach Riesen-Zahlen, das ist …

König: … merkt man immer gar nicht so in der Öffentlichkeit.

Roth: Nein, nein, das ist einfach nicht spektakulär, darüber redet man nicht. Das ist Alltag. Aber wie gesagt, in den neuen Bundesländern ist es einfach auch noch sozusagen DDR-Vergangenheit. Da spielt diese Restitution auch noch mal eine andere Rolle. Also, was zurückgegeben werden muss, wird zurückgegeben. Wichtig sind einfach die strittigen Fälle, die müssen anders behandelt werden, da muss viel mehr Expertise eingeholt werden, viel mehr Sensibilität an den Tag gelegt werden.

Aber das dritte ist, dass wir uns, glaube ich, in Deutschland bewusst werden müssen, dass es durchaus so etwas gibt wie Patrimonium oder eine nationale Identität, die sich auf die Kultur bezieht - in einem europäischen Zusammenhang, bitte. Und darüber müssen wir uns einfach verständigen.

Wenn es Gemälde, Objekte, was auch immer gibt, die wir in Deutschland behalten wollen, dann müssen wir gemeinsam einfach Geld in die Hand nehmen, um dieses zurück zu kaufen, dass es an unseren Wänden in den Museen hängen bleibt. Anders würde es nicht gehen. Also es ist nicht die Frage, ob man zwangsweise ein Gemälde zurückbehält, sondern dann muss man einfach einen Gegenwert bieten. Und darüber müssen wir reden.

König: Der frühere Berliner Kultursenator Christoph Stölzl hat in unserem Programm Fristen für die Rückgabe von Kulturgütern gefordert. Er sagte: Man muss sagen, das Geschäft der Wiedergutmachung, auch der Klärung offener Vermögensfragen, muss irgendwann einmal beendet sein. Solche Fristen gibt es ja in den Niederlanden. Was halten Sie von der Idee?

Roth: Das ist ein ganz schwieriges Argument. Das betrifft ja vieles andere auch, Beutekunst auch. Ich bin da anderer Meinung. 1955 geboren und sozusagen nur mit Mühen das akzeptieren zu wollen, als ich erwachsen wurde, was die deutsche Geschichte anbelangt, geht es mir eigentlich bis heute so, dass ich denke, dass wir nachdem wir einfach die Täter sind, anders mit diesem Thema umgehen sollten. Es ist noch nicht einmal ein Menschenleben vorbei, eine Generation abgeschlossen seit dem Krieg, und deshalb sollte man nicht von solchen Fristen reden. Das ist was anderes, wenn es Holland macht oder andere Länder.

Ich würde was ganz anderes vorschlagen: Nämlich dass wir uns schleunigst mit den anderen europäischen Ländern verbünden. Das war vielleicht einer der größten Fehler auch mit eigenem Vorwurf: Ich war damals Museumspräsident, als wir die Erklärung in Deutschland sozusagen verbreitet haben. Wir hätten das auf europäischer Ebene machen sollen. Was meine Kollegen in Holland, in Frankreich, in England machen, ist zum Teil vorbildlich, aber es wäre einfach noch mal viel besser und intensiver, wenn wir uns immer quer geschaltet hätten.

König: Wird das jetzt passieren?

Roth: Ich werde es mit Sicherheit heute zur Sprache bringen. Ich denke, wir sollten da von uns aus die Initiative ergreifen, weil weder die Nazigewalt, noch die Fluchtwege auf Ländergrenzen beschränkt waren.

König: Alles zusammen genommen, Herr Roth: Was versprechen Sie sich von dem Treffen heute?

Roth: Ehrlich gesagt, vor allen Dingen mal …

König: … das klingt jetzt so, als wenn Sie sagen wollten, nicht viel.

Roth: Sie meinen, weil ich gerade so tief Luft geholt habe?

König: Ja, und wenn dann schon kommt: Ehrlich gesagt. Das kann eigentlich nur enden in den zwei Wörter, die ich …

Roth: Nein, aber ich bin lange genug jetzt in diesem Feld tätig um zu wissen, dass man sich von einem ersten Gespräch nicht allzu viele Lösungen erwarten darf. Ich finde wichtig, und das möchte ich wirklich ganz hoch anrechnen, dass das Gespräch überhaupt zustande kommt. Und wenn wir heute einen gemeinsamen Weg für die nächsten Monate festlegen, wie wir weiter dran arbeiten, dann ist das schon mal viel. Aber ich sage noch mal, die Kommunikation über dieses Thema ist momentan das allerwichtigste. Man sollte nicht allzu viele Ergebnisse von einem ersten Treffen erwarten.

König: Dann wünsche ich Ihnen, dass es ein ganz guter Tag werden möge. Vor dem Krisengipfel beim Kulturstaatsminister ein Gespräch mit Professor Martin Roth.