Was im Kopf passiert

17.02.2008
Das menschliche Gehirn ist zwar eines unserer wichtigsten doch zugleich auch rätselhaftesten Organe. Wie es funktioniert, welche Hirnbereiche für welche Wahrnehmung oder Tätigkeit zuständig sind, zeigen anschaulich die beiden Neurowissenschaftler Sandra Aamodt und Samuel Wang. So ganz nebenbei klären sie dabei einige populäre Irrtümer über unser Zentralorgan auf.
Sandra Aamodt und Samuel Wang, zwei in den USA bekannte Neurowissenschaftler, sind seit Jahrzehnten in der Hirnforschung tätig. Wang ist Professor an der Princeton Universität in New Jersey und hat für seine Bücher schon zahlreiche Auszeichnungen bekommen. Aamodt ist Chefredakteurin von "Nature Neuroscience", der führenden Zeitschrift der amerikanischen Hirnforschung. Die Originalausgabe des vorliegenden Buches ist Jahrgang 2008, bei Bloomsbury in New York erschienen. Wir können also davon ausgehen, dass dieses Buch uns die amerikanische Neurowissenschaft auf dem neuesten Stand der Forschung präsentiert.

Dieser " Führer durch die Welt unseres Gehirns" (Untertitel) ist tatsächlich wie ein Rundgang aufgebaut. Der Leser wird zunächst durch die einzelnen "Gehirn-Stübchen" geführt. Er erfährt, was sich in welcher Hirnregion abspielt. Fragen wie "Was passiert in der Großhirnrinde, wofür sind ihre einzelnen Lappen zuständig? Was geht im Hirnstamm vor sich, in der Amygdala, dem Hippokampus?" Alles ist einfach und unterhaltsam beschrieben. Nach der Lektüre hat auch der Laie eine klare räumliche Vorstellung von seinem Hirn und weiß, wo genau in diesem Organ Bilder, Gerüche, Gedanken und Gefühlszustände entstehen und wie die einzelne Hirnregionen miteinander verschaltet sind.

Ganz nebenbei räumen die Autoren mit einigen Mythen auf, welche die Fama in die Welt gesetzt hat, die vom wissenschaftlichen Standpunkt zwar absurd, aber dennoch schwer auszurotten sind. Zum Beispiel mit der gängigen Auffassung, der Mensch nutze durchschnittlich nur etwa zehn Prozent seiner Gehirn-Kapazität.

"Bei dieser Aussage stehen den Neurologen der ganzen Welt die Haare zu Berge. Der Mythos kam vor mehr als 100 Jahren in den Vereinigten Staaten auf und mittlerweile glaubt ihn selbst im fernen Brasilien fast die Hälfte der Bevölkerung".

In Wahrheit, so die Autoren, ist unser Hirn ein sehr effektiv arbeitendes Organ und wird immer zu hundert Prozent genutzt. So gut wie alle Teile sind unverzichtbar. Aber, so Aamodt und Wang, die Vorstellung von einer nur zehnprozentigen Hirn-Auslastung hat einen gewissen Reiz, darum hält sie sich auch so hartnäckig. Denn wenn jeder Mensch über rund 90 Prozent Reservekapazität verfügen würde, dann gäbe es lauter potenzielle Einsteine, die nur ein bisschen fleißiger werden müssten. Daran möchte die Welt natürlich gerne glauben.

Was ist "respektlos" an diesem Führer durch die Welt unseres Gehirns?
In erster Linie der Umgang der Autoren mit dem eigenen Wissen. So leicht und locker kann nur erzählen, wer souverän in der Materie steht und gerade darum in der Lage ist und sich auch traut, mit Leichtigkeit, Witz und in der Alltagssprache über Dinge zu reden, die genau genommen sehr kompliziert sind und wo die Wissenschaft mit jeder gewonnenen Erkenntnis feststellen muss, was sie alles nicht weiß.

Dieses Buch ist Populärwissenschaft im besten Sinn des Wortes. Die Autoren bekennen, dass sie während ihrer jahrzehntelangen Forschungsarbeit als Neurologen oft in Gespräche über das Gehirn verwickelt worden sind. Nicht nur von Kollegen, sondern im Alltag, beim Friseur zum Beispiel oder im Taxi.

Offensichtlich, so Aamondt, lässt kaum einen dieses Thema kalt, die Mehrheit der Menschen wüsste gern besser Bescheid über das, was unter ihrer Schädeldecke vor sich geht. Die Leute würden alle möglichen Fragen stellen, zum Beispiel: " Können Sie sich vorstellen, was bei meinem pubertierenden Sohn im Gehirn los ist? Er ist so verändert!" oder "Ich habe zu Hause eine weiße Maus. Die nippt gern mal an süßer Limonade. Cola mag sie zum Beispiel sehr, aber Cola light säuft sie nicht. Können Sie sich das erklären?" Solche und ähnliche Fragen werden in diesem Buch erörtert.

Was Mäuse betrifft: Dass sie Cola light nicht mögen, hat etwas mit den Geschmacks-Rezeptoren auf der Mäusezunge zutun. Die sind anders aufgebaut als die menschlichen. Der Mensch empfindet sowohl Zucker als auch Zucker-Austauschstoffe (zum Beispiel Aspartam) als süß. Für die Maus dagegen schmeckt nur Zucker süß, Aspartam dagegen nicht. Ergo: Maus mag keine Cola light, denn die schmeckt für sie nicht süß. Das ist genau wie bei den Ameisen, vermelden die Autoren. Ameisen stehen auch auf Cola und verschmähen Cola light.

Rezensiert von Susanne Mack

Sandra Aamodt, Samuel Wang: Welcome to your brain. Ein respektloser Führer durch die Welt unseres Gehirns
Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz
C. H. Beck Verlag München 2008.
288 Seiten. 19,90 Euro.