"Was ich in meinem Theater mache, kommt vielen in die Quere"

Von Barbara Lehmann |
Die Schikanen gegen Rosa Malsagowa, die Chefregisseurin des Theaters im inguschetischen Nasran, begannen bereits im Frühjahr 2004. Damals inszenierte der Berliner Regisseur Peter Krüger Brechts "Mutter Courage" an ihrem Haus. Zensurmaßnahmen und Schikanen begleiteten die Proben bis zur Premiere. Zweimal nur konnte die Aufführung gezeigt werden.
Rosa Malsagowa: "Ich bin nicht aus freien Stücken aus meinem Theater weg. Ich musste gehen. Meine ideologischen und politischen Ansichten entsprechen nicht der offiziellen Linie. In den letzten Jahren ist es immer schwieriger und gefährlicher geworden, heute haben selbst die gebildetsten und besten Menschen keine Arbeit. Fast alle Künstler sind emigriert. Was mich morgen erwartet, weiß ich nicht. Ich habe keinerlei Wünsche. Ein Licht am Ende des Tunnels kann ich nicht erkennen."

Die Schikanen gegen Rosa Malsagowa, die Chefregisseurin des Nasraner Theaters, begannen bereits im Frühjahr 2004. Damals inszenierte der Berliner Regisseur Peter Krüger Brechts "Mutter Courage" an ihrem Haus, mit einer eigens für diese Produktion zusammengestellten tschetschenisch-inguschetischen Truppe. Hauptdarstellerin der Courage war Sura Radujewa, die ehemalige Ehefrau von Achmed Sakajew, dem nach London geflohenen Außenminister der tschetschenischen Untergrundregierung Itschkeria. Zensurmaßnahmen und Schikanen begleiteten die Proben bis zur Premiere. Zweimal nur konnte die Aufführung gezeigt werden. Und nach der Geiselnahme von Beslan zerschlug es die Truppe in alle Winde.

"Die Kanonen schweigen, wenn die Musen singen. Heute werden die Musen nicht mehr gebraucht, weder in Tschetschenien noch in Inguschetien. Der Kaukasus ist ein blutiger Klumpen, den die Machthaber im Kreml dazu benutzen, ihre Macht zu bewahren. Doch als Staatsbürger und Künstler sollte man versuchen, die Wahrheit zu sagen, so bitter sie auch sein mag. Das, was ich in meinem Theater mache, kommt vielen in die Quere. Wer den Mund aufmacht, wird in die Opposition gedrängt, an den Rand der Gesellschaft. Sofort bekommt man soziale und politische Probleme.

Auch die Kinder müssen darunter leiden. Am 21.12.2004 sind mitten in der Nacht drei Männer in mein Haus eingedrungen. Sie haben mir gedroht, wenn ich am nächsten Tag eine bestimmte Veranstaltung machen würde, nicht nur mit mir, sondern mit meinen Kindern abzurechnen. Mein ältester Sohn war damals dreizehn, die anderen Söhne elf und neun. Auch das ist für diesen Staat inzwischen zur Norm geworden: Frauen und Kinder fertigzumachen. Es hat sich herausgestellt, dass es ganz einfach ist, Anna Politkowskaja zu töten. Ein Schuss und aus, basta. So kann man die Wahrheit, Ehrlichkeit und Anstand vernichten."

Im Anschluss an die "Mutter Courage" galt Rosa der moskautreuen inguschetischen Regierung als persona non grata. Dabei ist ihr Onkel Premierminister der Kaukausrepublik, doch als Erfüllungsgehilfe Moskaus kann er ihr nicht helfen. Veranstaltungen des Hauses wurden kurzfristig abgesetzt. Aus Dokumentarfilmen hat man sie und andere in Ungnade gefallenen Persönlichkeiten des politischen und kulturellen Lebens kurzerhand herausgeschnitten. Selbst vor ihren eigenen Premieren erhielten eher ihr Bühnentechniker als sie, die Regisseurin, die Möglichkeit zum Interview. In ihrer letzten Inszenierung eines Revolutionsstückes wirft ein Dorfbewohner einem zaristischen Würdenträgers die zaristische Flagge vor die Füße – selbst diese Szene wurde ihr verboten.

"Vierzehn Jahre lang müssen wir nun diesen Wahnsinn der ‚Einführung der konstitutionellen Ordnung’ ertragen. Ich habe in Grosny gelebt, dort war unser Haus, dort habe ich studiert, mich verliebt, geheiratet, mit meinem Mann am Theater gearbeitet. Der Krieg begann schleichend, unmerklich. Plötzlich, von einem Tag auf den anderen waren wir vogelfrei, mussten fliehen, in die absolute Ungewissheit hinein. Einmal bin ich durch einen Bezirk gegangen, wo blutjunge russische Uniformierte neben ihrem Panzer standen. Sie waren betrunken, lachten und schrieen: ‚Ey, guckt nur, Leute, da kommt ein Weibsbild angelaufen.’

Ich war im siebten Monat schwanger und bin hingefallen. Vergessen kann man das nicht, der Schmerz kann mit der Zeit höchstens verblassen. Die Geschichte wiederholt sich immer wieder: die Kolonialkriege des 19.Jahrhunderts, die Grausamkeiten unter General Jermolow. Die Deportation der Tschetschenen und Inguschen nach Kasachstan unter Stalin, der Krieg heute. Bloss wollen die Machthaber im Kreml nicht wahrhaben, dass es bislang keinem gelungen ist, den Kaukasus zu bändigen und zu unterwerfen."

Seit 1977, also fast dreißig Jahre, arbeitet Rosa Malsagowa im Theater. Zunächst als Schauspielerin in Grosny mit ihrem Mann, einem Puppenspieler, später als Regisseurin. Als im August 96 die tschetschenischen Seperatisten Grosny zurückerobern können, befinden sich Rosa und ihr Mann in Nasran. Er fährt nach Grosny zurück, um die übrige Familie rauszuholen. Rosa sieht ihn nie wieder. Anderthalb Jahre lang sucht sie ihn, schließlich findet sie in ihn in einem Kühlhaus in Rostow am Don unter hunderten von anderen Leichen. Seine Überreste muss sie für zweieinhalbtausend Rubel kaufen, das Zehnfache ihres Monatsgehaltes von 225 Rubel.

"Keiner hört auf die Propheten der Schrecken des Krieges. Die Geschichte hat uns nichts gelehrt, wir wiederholen ständig die gleichen Fehler. Der Mensch ist nicht nur dafür geboren, um zu sterben und Leid zu ertragen, sondern um glücklich zu sein. Tragödien und Schmerzen hat meine Heimat bis zur Neige ausgekostet. Leider gibt es keine Hoffnung, dass das jemals enden wird. Ich bin wie Tausende andere auch vor dem Krieg aus Grosny nach Nasran geflohen. Inzwischen gibt es auch dort Säuberungen, täglich verschwinden Menschen. "

Moskau verkündet, der Krieg im Kaukasus sei beendet. Doch die Berichte von Augenzeugen wie Rosa, die auf die staatlichen Zensurmaßnahmen keine Rücksicht mehr nehmen wollen, sprechen eine andere Sprache. Der Krieg ist auf den ganzen Kaukasus übergegriffen. Das an Tschetschenien angrenzende Inguschetien verzeichnet inzwischen mehr kriegerische Handlungen als Tschetschenien selber. Moskau hat seine Truppen in Inguschetien verstärkt und neue militärische Stützpunkte eingerichtet. Säuberungen, Hausdurchsuchungen, Folter für die, die sich nicht fügen, sind an der Tagesordnung. Weil Rosas Freundin Anna Politkowskaja die Schranke der Zensur durchbrach und darüber berichtete, wurde sie ermordet.

"Anna Politkowskaja war eine der anständigsten Bürger dieses Landes. Sie war vor allem eine ehrliche Journalistin. Welche konkreten Auftraggeber hinter dem Mord standen, werden wir wahrscheinlich nie erfahren. Das wird das Geheimnis derer bleiben, die sich zu diesem Schritt entschlossen haben. Sie war vielen lästig. Aus ihren Lippen kam zuviel grausame Wahrheit. Schuld an ihrem Tod ist der russische Staat. Man kann Präsident Putin, seinen tschetschenischen Statthalter Ramsan Kadyrow oder den von ihm eingesetzten inguschetischen Präsienten Sasikow nennen, und all die anderen, die miteinander verbunden sind.

Das Putin-Regime ist verbrecherisch und blutig. Die Diktatur des Proletariats von 1917 dauert an. Sie hat heute bloß andere Ausdrucksformen. Es ist kein Proletariat mehr, das für den Sieg des Kommunismus kämpft, sondern eine kleine Elite, die nicht nur den Kaukasus, sondern das Land im Würgegriff hält. Russland hat aufgehört zu existieren: es ist zerstört - seit langem."

Erst kürzlich brachte ein Tropfen das Fass zum Überlaufen: Rosa zeigte in Nasran im größeren Kollegenkreis den von Peter Krüger erstellten Theaterfilm über die "Mutter Courage" und machte einige kritische Bemerkungen. Gleich darauf wurde sie denunziert, ihr Haus durchsucht, es folgte die Entlassung. Rosa erlitt einen Herzanfall und wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Auf Einladung des Internationalen Theaterinstitutes ist sie nun für kurze Zeit in Deutschland. Ihre Kinder sind in Nasran zurückgeblieben, verwaist wie auch ihr Theater.

"Europa blüht und gedeiht, es lebt sein eigenes Leben. Von der Masse ist nicht viel zu erwarten. Puschkin hat es am Ende seines Dramas ‚Boris Godunow’ großartig beschrieben: Das Volk bleibt stumm. Eine andere Sache ist, wenn die politischen Eliten schweigen. Einzig als die Bilder der schrecklichen Geiselnahme von Beslan um die Welt gingen, haben alle aufgeschrien. In Tschetschenien wurden Tausende von Kindern täglich umgebracht, doch darüber haben die Presse und der Westen kein Wort verloren. Die Rechtfertigung dazu lautete, man wolle sich nicht ein in die inneren Angelegenheiten Russlands einmischen.

Inzwischen aber ist der Konflikt mit Tausenden von Flüchtlingen auch in den Westen übergeschwappt und für alle sichtbar geworden. Wenn ich dazu schweige, dass in meiner Nähe Verbrechen passieren, mache ich mich ebenso schuldig wie diejenigen, die Verbrechen begehen. Doch einem Menschen, dem es gut geht, steht augenscheinlich nicht der Sinn danach, dass in Nigeria, im Sudan oder Irak Menschen umgebracht werden. Aber was ist, wenn morgen auch dein Sohn dorthin geschickt wird? Erst wenn es einen persönlich betrifft, versteht man, dass diese Tragödien niemals zugelassen werden dürfen."