Was ich Dir noch sagen wollte (9)

"Du warst immer da, obwohl ich Dich nie kannte"

Holzkreuze mit einer stilisierten Blüte erinnern an die Toten
Holzkreuze erinnern an die Toten: "Es ist ziemlich traurig, dass ich dich nie erlebt habe und dass ich die Antworten auf diese Fragen nie bekommen werde." © James Harris / Unsplash
Von Carla · 20.01.2018
Ihr Großvater lebte nur noch in den vielen Erinnerungen − in Gedanken sprach sie ganz oft mit ihm. Erst 2017 erfuhr die Familie, dass er einige Jahre nach dem Krieg erschossen worden war.
Lieber Opa, ich bin unglaublich aufgeregt ... Jetzt kommen auch schon gleich die Tränen. Ich hab' in Gedanken, glaube ich, schon ganz oft mit dir gesprochen, aber eigentlich habe ich dich gar nicht richtig kennengelernt. Und ich glaube, das ist auch das Schwierige jetzt für mich: Worte zu finden.
Als du 1950 einfach nicht mehr von der Arbeit zurückkamst, war mein Vater elf Jahre. Und es ist auch so schwer ... Ich kann dir nicht einfach nur begegnen als mein Großvater, dem ich vielleicht mein Leben erzählen könnte, sondern da ist viel mehr Schmerz noch, der vielleicht gar nicht unbedingt meiner ist, aber der nach diesem Verschwinden sich angestaut hat bei den Menschen, die dich ja geliebt haben und dich unglaublich vermisst haben und nie wirklich wussten, was mit dir passiert ist und in dieser Ungewissheit gelebt haben.

Das alles kannte ich nur als eine Geschichte

Ich denke da an deine Frau, die immer glaubte, dass du irgendwie auch wieder zurückkommst, als die letzten Gefangenen aus Russland zurückkamen. Klar war irgendwann, dass du irgendwie nach Russland gekommen bist und dort vielleicht in einem Gefangenenlager warst. Irgendwann hat mein Papa beschlossen, dass er die DDR verlassen will und seine Mutter und seine Schwester auch zurücklassen würde. All das hab' ich gar nicht mitbekommen. Ich wurde dann 1989 im Westen geboren und kannte das alles nur als eine Geschichte und viele Erinnerungen an dich.

Aus unserer Serie "Was ich Dir noch sagen wollte". Hier alle Folgen im Überblick

Und trotzdem ich dich eigentlich gar nie kannte, warst du immer so da. Weihnachten wurde auch ein extra Gedeck aufgetischt, weil du ja doch plötzlich wieder da sein könntest. Erst 2017 erfuhren wir dann, was wirklich passiert war: Dass du einer Spionage beschuldigt wurdest für die Briten und deshalb von der Stasi an Russland ausgeliefert wurdest und dort auch erschossen wurdest, schon 1951. Aber trotzdem würde ich dich gerne fragen können: Weißt du eigentlich, was da passiert ist?
Weißt Du, in welche Gefahr du dich gebracht hast? Dass auf dem Spiel stand, was du nie wolltest. Dass du nicht deine Familie wieder verlassen wolltest. Ich möchte von dir wirklich wissen: Warst du dir dessen bewusst, dass du spioniert hast? Oder war es nur ein Gefallen für deinen Chef, dass du da noch Tests gemacht hast und ihm die überreicht hast und nicht wusstest, was damit passiert? Oder warst du dir bewusst, dass du Informationen aus russischen Firmen auslieferst an den britischen Geheimdienst? Wolltest du das? Oder ist das einfach alles nur so passiert, vielleicht auch aus einer Dummheit heraus?
Es sind so viele Fragen, die mich aber auch kritisch machen für das, was in der Welt passiert. Warum Menschenleben aufs Spiel gesetzt werden, Familien Verletzungen passieren.

Du warst auch Teil meines Lebens

Lieber Opa Herbert. Es ist ziemlich traurig, dass ich dich nie erlebt habe und dass ich die Antworten auf diese Fragen nie bekommen werde, weil selbst heute nicht gesagt wird: Ja, Herbert war ein Spion! Manchmal frage ich mich eben auch: Was ist da dann in dir vorgegangen, als du auf einmal festgenommen wurdest und vielleicht selber nicht verstehen konntest, was da gerade passiert. Ich bin ziemlich sicher, dass du da viel an deine Kinder gedacht hast, an deine Frau. Und vielleicht will ich dir auch sagen: Hey, wir denken immer wieder an dich. Und du warst auch immer Teil unseres Lebens.
Ja, lieber Opa Herbert, ich hätte dich oft gerne einfach hier bei mir. Dann würdest du auch meinen Stadtteil kennen und meine WG. Ich glaube nämlich, dass du ziemlich alt geworden wärst und ein toller Großvater geworden.

"Ich bin nicht tot, ich tausche nur die Räume, ich leb' in euch und geh' durch eure Träume" (Michelangelo)

In dieser Serie sprechen Menschen zu Verstorbenen. Zu ihren Eltern, Geschwistern, Kindern oder Freunden. Sie sagen ihnen die Dinge, die sie ihnen zu Lebzeiten nicht sagen konnten − aus den verschiedensten Gründen.

Die Autorin Margot Litten sprach zunächst Menschen auf Friedhöfen an. Doch schon bald meldeten sich die ersten Hörer, die selbst sehr bewegende Geschichten zu erzählen hatten. Es sind zu einem großen Teil ihre Botschaften, die in dieser Serie zu hören sind.

Hilfsangebote zur Suizidprophylaxe und bundesweite Beratungsmöglichkeiten finden Sie hier