Was hilft gegen Jugendgewalt?

Warnschussarrest, Erziehungscamps, verschärftes Jugendstrafrecht – der Wahlkampf in Hessen hat die Diskussion über den Umgang mit gewaltbereiten Jugendlichen einmal mehr angefacht.
Der Tonfall zwischen den Parteien verschärft sich, da bleibt wenig Platz für Differenzierung. Doch die ist dringend notwendig, sagt Hand Scholten. Der Pädagoge und Direktor des Jugendhilfezentrums „Raphaelshaus“ in Dormagen lebt und arbeitet seit 30 Jahren mit jenen Jugendlichen, über die derzeit so heftig gestritten wird: schwer Erziehbare, Gewaltbereite, Schläger, Schulverweigerer.

„Wir greifen ein, wenn alle anderen Instrumente der Erziehung versagt haben. Wir sind oft die letzte Station der Jugendhilfe.“

Aktuell werden im „Raphaelshaus“ rund 300 Kinder und Jugendliche betreut, sie besuchen die integrierte Schule, Intensivgruppen für Mädchen und Jungen, leben gemeinsam in betreuten Wohngruppen, bekommen eine Berufsausbildung.

„Zunächst verabscheuen wir die Tat, aber wir sehen immer auch den Menschen, der zum Täter geworden ist. Bei der Verurteilung der Tat gibt es auch keine Kompromisse. Aber jeder hat auch eine Geschichte hinter sich, die ist reinzuholen in die Beurteilung des Menschen.“

Mit Kuschelpädagogik, so der Vater dreier Kinder, der mit seiner Familie auf dem Heimgelände lebt, habe dies nichts zu tun:"Es ist eine gute Balance zwischen Konsequenz und Wertschätzung. Das eine bedingt das andere: Wertschätzung ohne Konsequenz ist Kuschelpädagogik. Und Konsequenz ohne Wertschätzung ist Drill. Es gibt bei uns einen klaren und sicheren Tagesablauf, Regeln, dass man sich in einem Stufensystem hocharbeiten kann.“

30 Prozent der gewaltbereiten Jugendlichen im „Raphaelshaus“ sind nichtdeutscher Herkunft. Die Forderung nach schnellerer Abschiebung weist Hans Scholten ebenso zurück, wie die Frage, warum überhaupt so viel Geld in die Betreuung junger gewaltbereiter Migranten fließen muss.

„Weil wir sonst morgen und übermorgen Angst haben müssen. Die Investition lohnt sich. Und wir müssen uns fragen: Wann wird ein Ausländer zum Inländer? Wann hat er eine Legitimation, dass wir als Gesellschaft für ihn einstehen? Wenn jemand hier seine Jugend verbracht hat, hier in die Schule gegangen ist, dann ist es unmoralisch, ihn in ein Land auszuweisen, dass er vielleicht gerade mal aus dem Urlaub kennt. Diese Toleranz hat auch Grenzen: Wenn jemand eine kriminelle Tat begeht und kommt von außen, dann muss er raus. Aber, wenn er hier einen Sozialisationsprozess durchlaufen hat, dann haben wir nicht das Recht, ihn abzuschieben.“

Von einer Verschärfung des Jugendstrafrechts hält der Pädagoge nichts, das bestehende Recht sei flexibel, es müsse nur konsequent ausgeschöpft und Straftäter schneller verurteilt werden.

Sein Motto: „Wir lassen Kinder um Gottes Willen nicht zum Teufel gehen“.

„Was tun gegen Jugendgewalt?“ Darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute gemeinsam mit dem Direktor des „Raphaelshauses“ Hans Scholten. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800/22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Informationen im Internet:
www.raphaelshaus.de