Was einen umstrittenen Schriftsteller bewegt

Peter Handke fast ungefiltert: In einer erstaunlich frischen Atmosphäre begegnen sich der Autor und der Lyriker, Kritiker und Freund Peter Hamm und berühren eine Vielzahl von Themen, die das literarische Werk Handkes, aber auch biographische und politische Aspekte betreffen. Hamms präzise Fragen entlocken dem medienscheuen Schriftsteller bereitwillig Äußerungen, spüren der Einsamkeit des Schreibenden nach sowie seiner radikalen Position dem Literaturbetrieb gegenüber.
Ein Bild aus Kindertagen blitzt auf: im Spiel wird ein Blatt Papier an die Brust gehalten und damit es nicht herunterfällt, gilt es solange zu laufen bis der Atem knapp wird. Der österreichische Autor Peter Handke, dem diese Erinnerung gehört, hat seine Gangart inzwischen gewechselt. Denn Handke ist ein Geher, der zugibt, einen beträchtlichen Teil seiner Reisen zu Fuß bewältigt zu haben. Jedes rennen, laufen, walken scheint ihm verdächtig.

Nur im Gehen ist das wirkliche Abenteuer begründet, "querfeldein durch die Städte durch, von der Vorstadt in die Stadt, zur großen Stadt wieder zu Fuß hinaus, in die Vorstadt, in die Steppe hinein". Das poetische Abenteuer des Schreibenden besteht hingegen darin, den eigenen Atem auf jenem Blatt Papier hörbar zu machen, das ihm noch immer an der Brust zu kleben scheint. Vielleicht ist das Gehen auch deshalb ein Grundmotiv in seinem literarischen Werk, ebenso wie das bewegte Schauen, bei dem sich der "Augenblickdenker" Handke freimacht von jeglicher Enge, um seinen Rhythmus im Schreiben zu finden.

Diesen Gedanken-, Sprach- und Schreibbewegungen nachzugehen, ist das Anliegen des Bandes Es leben die Illusionen, in dem Handke mit dem Lyriker, Kritiker und Freund Peter Hamm innige Zwiesprache hält. Hamm hatte zum 60. Geburtstag des 1942 geborenen Autors einen Film produziert, der auf dieser Abfolge von Gesprächen basiert. Doch aus Zeitgründen enthält er nur einen Teil des aufgezeichneten Materials. Mit dem vorliegenden Buch werden die ausgesparten Dialoge gewissermaßen nachgereicht.

In einer erstaunlich frischen Atmosphäre begegnen sich die Sprechenden auf gleicher Augenhöhe und berühren eine Vielzahl von Themen, die das literarische Werk Handkes, seine Arbeit als Übersetzer, aber auch biographische und politische Aspekte betreffen. Die freundschaftliche Nähe blockiert dabei keineswegs das offene Aufeinanderzugehen der Gesprächspartner durch falsche Rücksichtnahme. Vielmehr entlocken Hamms präzise Fragen dem medienscheuen Schriftsteller bereitwillig Äußerungen zu Österreich, Frankreich und Spanien, spüren der Einsamkeit des Schreibenden nach sowie seiner radikalen Position dem Literaturbetrieb gegenüber.

Auch Handkes Wortmeldungen zum Krieg in Jugoslawien, in denen er kompromisslos Serbien verteidigte, werden nicht ausgespart. Vielmehr bekräftigt er, dass dieses Jugoslawien den Entwurf zu einem Europa in sich trug, das mit dem heutigen "Geld- und Kapital- und Macht-Europa" nichts mehr zu tun hat.

Da Peter Handke nahezu ungefiltert zu Wort kommt und einmal nicht durch die Medien interpretiert wird, stellen die Gespräche eine Möglichkeit dar, sich einem Autor zu nähern, der zu den umstrittensten der Gegenwart gehört.

Rezensiert von Carola Wiemers


Peter Handke, Peter Hamm: Es leben die Illusionen. Gespräche in Chaville und anderswo
Wallstein Verlag, Göttingen 2006, 184 Seiten, 20 Euro