Was die Europäer den Asiaten verdanken

Seefahrt im Mittelalter: Marco Polo kommt vielen da sofort in den Sinn. Doch Araber, Inder und Chinesen waren schon viel früher als die Europäer auf den Meeren unterwegs, Roderich Ptak beschreibt dies in seinem Werk „Die maritime Seidenstraße“. Die Europäer kopierten sogar arabische Schiffstypen, weil die eigenen Modelle nicht hochseetüchtig waren.
Im Jahr 1271 machte sich der venezianische Händler Marco Polo als erster Europäer zu einer langen Reise durch die Gebirge und Wüsten Asiens auf, um China zu erreichen und um von dort aus Seide direkt nach Europa zu importieren.

Unser Bild Asiens jener Zeit scheint bis heute geprägt zu sein von Marco Polos Beschreibung seines beschwerlichen Weges zu Fuß und auf Kamelen über jene steinige Seidenstrasse. Ein ganz anderes Bild des asiatischen Raumes zeichnet das Sachbuch des Sinologen Roderich Ptak, Professor an der Universität München, das jetzt erschienen ist.

Bei der maritimen Seidenstraße handelte es sich um jenen Seeweg, der China schon in vorkolonialer Zeit mit Europa verband, vom Roten Meer über das Arabische Meer, Indien, Sri Lanka und Singapur bis nach China.

Auf dem Indischen Ozean gab es schon zu Zeiten, in denen Europa noch nicht einmal davon träumte, Entdeckungen zur See machen, relativ hoch entwickelte Seefahrt beziehungsweise einen Seeweg. Über diesen gelangten die großen technischen und wissenschaftlichen Innovationen Asiens, wie zum Beispiel der Kompass, überhaupt erst nach Europa. Ohne die maritimen Innovationen Asiens hätte es keinen Columbus gegeben.

Mittlerweile wissen viele Historiker um die Existenz der maritimen Seidenstraße. Deren historische Wichtigkeit und Monopolstellung in der vorkolonialen Welt wird den meisten Historikern in ihren Dimensionen allerdings erst langsam klar.

Diesen Nachholbedarf aufzuarbeiten ist das nicht hoch genug zu lobende Anliegen von Autor Roderich Ptak. Leider ist „Die maritime Seidenstraße“ aus einer eher terrestrischen Perspektive geschrieben worden. Die besten Pointen verschenkt das Buch und vernachlässigt außerdem die globalen Dimensionen jenes asiatischen Technologietransfers, durch den Europa erst zu einer Weltmacht wurde.

Der Autor tut das, was er eigentlich mit seinem Buch kritisieren möchte, zum Teil zementiert er eine euro-zentristische Weltsicht. Da zeigt das Buch zum Beispiel die Abbildung eines arabischen Schiffes, einer Dhau. Der Autor sieht in diesem Schiffstyp europäische Einflüsse. Doch das ist falsch: Da Europa über keine hochseetüchtigen Schiffe verfügte, befahl der portugiesische Prinz „Heinrich, der Seefahrer“ im Jahr 1430, nur noch arabische Schiffe, also Dhaus zu kopieren, die von da an Karavellen genannt wurden.

Nichtsdestotrotz bleibt das Buch eine mit großer Akribie erarbeitete Beschreibung der geopolitischen Konstellationen und Veränderungen der Anrainer-Staaten des Indischen Ozeans über 3000 Jahre hinweg. Insofern ist es eine einmalige Arbeit und ein neues Standardwerk, auch wenn dabei China zu stark im Fokus steht.

Trotz der Mängel darf man glücklich sein, dass diese wissenschaftliche Arbeit überhaupt existiert. Zum ersten Mal wird in einem Buch die maritime Seidenstraße als eigenständiges Thema der Weltgeschichte wahrgenommen.

Es bleibt zu hoffen, dass „Die maritime Seidenstraße“ Diskussionen anregen wird und damit dieses so wichtige Thema endlich mehr Eingang in die Medien findet. „Die maritime Seidenstraße“ ist ein Buch, das ein Fachpublikum wie auch wirklich Asien begeisterte Laien interessieren wird.

Rezensiert von Lutz Bunk

Roderich Ptak: Die maritime Seidenstraße – Küstenräume, Seefahrt und Handel in vorkolonialer Zeit
C.H. Beck Verlag, München 2007, 368 Seiten, 24,90 Euro