Was Deutschland fehlt, sind Menschen
Deutschland steuert auf eine überaltete Gesellschaft zu. Diese Entwicklung ist Herwig Birg zufolge nicht mehr abzuwenden - mit all ihren katastrophalen Konsequenzen. In seinem Buch "Die ausgefallene Generation" prangert der Demograph aus Bielefeld die deutsche Gesetzgebung an, die Kinderlosigkeit fördert - und das Problem beschleunigt.
Seit es sie gibt, gilt die Bevölkerungswissenschaft als eine traurige Kunst. So hat sie schon ihr Vorkämpfer, der Brite Malthus, beschrieben, und so erscheint sie auch im neuen Buch von Herwig Birg, dem Bielefelder Demographen. Er blickt mit Sorge in die Zukunft, weil Deutschland gleich dreimal einen traurigen Rekord hält. In keinem anderen Volk der Welt ist die Zahl der zeitlebens kinderlos bleibenden Frauen höher als bei uns. In keinem anderen Land hat der dramatische Geburtenrückgang früher eingesetzt als hier. Und nirgendwo sonst macht man sich über die Möglichkeiten, den im eigenen Land fehlenden Nachwuchs durch Zuwanderung von außen wettzumachen, gefährlichere Illusionen als bei uns. Deutschland, meint Birg, sei weltoffener und einwanderungsfreudiger als alle anderen Staaten, wolle das aber partout nicht wahrhaben.
In dieser Realitätsverweigerung erkennt Birg das eigentliche Hindernis, an dem seine und seiner Kollegen Mahnungen und Warnungen immer wieder zerschellen, seit Jahren schon. Die Deutschen weigerten sich, den Absturz in die demographische Bedeutungslosigkeit, der längst im Gange sei und Jahr für Jahr an Tempo gewinne, zur Kenntnis zu nehmen. Sie hören lieber auf die Quacksalber und Gesundbeter, die ihnen vorgaukeln, in einem schrumpfenden und alternden Volk ließe sich genauso gut leben wie bisher, vielleicht sogar noch etwas besser. Nichts charakterisiere die Einstellung einer Gesellschaft zu den existenziellen Problemen ihrer Zukunft treffender als diejenigen Ziele, die nicht einmal diskutiert, geschweige denn aktiv verfolgt würden. Birg schreibt:
"Deutschland konkurriert im internationalen ökonomischen Wettbewerb nur noch um die rangtieferen Plätze. Die für die Sicherung des Wohlstands unabdingbaren, ehrgeizigen Ziele wurden in der Politik stillschweigend aufgegeben, sie kommen im politischen Diskurs und in den Gutachten, die von Wissenschaftlern für Politiker angefertigt werden, nicht mehr vor."
Eine übergroße Koalition aus Sozialpolitikern, Gerontologen und Status-quo-verliebten 68ern will sich ihr Recht auf ungetrübten Gegenwartsgenuss nicht nehmen lassen. Wenn sich der fatale Zirkel aus Bevölkerungsrückgang und heilloser Überalterung mit allen seinen bedrückenden Konsequenzen nicht länger ignorieren lässt, genügt der routinierte Hinweis auf das Dritte Reich, um das gefährliche Thema vom Tisch zu wischen. Man will das Chaos, das da auf die nächsten und übernächsten Generationen zukommt, nicht wahrhaben. Bundesfamilienministerin Renate Schmidt war immerhin ehrlich, als sie in aller Offenheit bekannte, die Frage, ob die Deutschen ausstürben oder nicht, sei ihr verhältnismäßig wurscht, sie stelle sich für sie an allerletzter Stelle.
Birg wird nicht müde zu betonen, dass das Problem nicht eigentlich die Schrumpfung sei, sondern die damit unweigerlich verbundene Überalterung. Und auch die nur deshalb, weil phantasie- und verantwortungslose Sozialpolitiker dafür gesorgt haben, dass in Deutschland diejenigen Leute von Kindern profitieren, die selbst keine haben. Sein Urteil klingt vernichtend:
"Durch die große Rentenreform von 1957 wurden die Ansprüche auf Altersversorgung kollektiviert, aber die zur Erfüllung der Ansprüche notwendigen generativen Leistungen in der Form der Erziehung künftiger Beitragszahler den Familien aufgebürdet – eine nach meinem Dafürhalten verfassungswidrige Reform, die den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung verletzt, indem sie die Gruppe der Kinderlosen privilegiert."
Mit der hohen Treffsicherheit, die Bevölkerungsprognosen eigen ist, lässt sich schon heute sagen, dass es zur Mitte des Jahrhunderts in Deutschland weniger unter 20-Jährige als über 80-Jährige geben wird. Den mit Abstand größten Anteil werden dann die Menschen stellen, die 60 Jahre und älter sind: womit die Seniorenrepublik Deutschland endlich am Ziel wäre. Ohne brutale Einschnitte in das soziale Netz wird sich eine auch nur bescheidensten Ansprüchen genügende Versorgung dann nicht mehr aufrechterhalten lassen. Wie diese Einschnitte aussehen und wen sie treffen werden, hat Friedrich von Hayek angedeutet, als er voraussagte, dass der dann fällige Verteilungskampf nicht durch Solidaritätsappelle entschieden werde, sondern dadurch, dass die Jungen die Polizei stellen und das Militär; die Ärzte übrigens auch.
Was nötig wäre, um solche Zustände nicht eintreten zu lassen, liegt auf der Hand: man hätte Schluss zu machen mit der Transferausbeutung der Familien oder, was auf dasselbe hinausläuft, mit der faktischen Subvention von Kinderlosigkeit. In mehr als einem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht diesen Weg vorgezeichnet und die Politiker gemahnt, ihn endlich zu betreten, bis heute vergeblich. Birg schreibt dazu:
"Durch unser umlagefinanziertes System werden Menschen ohne Kinder in verfassungswidriger Weise bevorzugt, weil sie, so das Gericht, die gleichen Versorgungsansprüche wie Menschen mit Kindern erwerben, obwohl sie nur den monetären, nicht aber den vom Gericht so genannten generativen Beitrag in Form der Erziehung künftiger Beitragszahler leisten - die entscheidende Voraussetzung für das Funktionieren der umlagefinanzierten Pflegeversicherung."
Nicht nur der Pflegeversicherung, wäre hier hinzuzufügen; denn Renten- und Krankenversicherung arbeiten nach demselben, ungerechten und ruinösen Prinzip. Sämtliche Zweige des ganz zu Unrecht immer noch sozial genannten Zwangsversicherungssystems leben von der Umverteilung von Jung zu Alt. Sie beuten aus, was sie zu schonen, zu pflegen und zu fördern hätten. Deswegen stehen sie allesamt vor derselben, aussichtslosen Lage.
Was fehlt, sind Menschen. Für die nämlich gibt es keinen Ersatz, für alles andere schon. Hält man sich an die amtlichen Verlautbarungen, dann ist der Staat für alles Mögliche zuständig, für die Erziehung und den Unterricht, für Ausbildung und Bildung; dass man nur ausbilden und bilden, erziehen und unterrichten kann, was schon da ist, will er jedoch um keinen Preis der Welt einsehen. Birg macht das klar, indem er schreibt:
"Auch die Einwanderer Deutschlands müssen zunächst irgendwo geboren worden sein, bevor sie zuwandern und hier Probleme lösen können. Dass unser Land glaubt, seine Zukunft darauf bauen zu können, dass es die von anderen Ländern mit Kosten und Mühen gewonnenen Früchte erntet – darüber gibt es hierzulande nicht den geringsten Ansatz einer öffentlichen Reflexion. Wir sehen uns im Wettbewerb um die Besten der anderen Länder und verstehen nicht, dass wir mit unseren Ansprüchen eine neue Art des Kolonialismus betreiben."
Nach alledem ist es kein Wunder, dass die Bilanz, mit der Birg sein neues Buch abschließt, traurig ist, sein Ausblick in die Zukunft nicht sehr hoffnungsvoll. Durch den Ausfall einer ganzen Generation ist es, wie er sich plastisch ausdrückt, in Deutschland nicht etwa fünf Minuten vor, sondern 30 Jahre nach Zwölf. Deutschland, so sein hartes Resümee, habe von seinem Recht auf Nichtwissen in exzessiver Weise Gebrauch gemacht und werde dafür teuer bezahlen müssen.
Herwig Birg: Die ausgefallene Generation. Was die Demographie über unsere Zukunft sagt
Verlag C.H. Beck, München 2005
16,90 Euro
In dieser Realitätsverweigerung erkennt Birg das eigentliche Hindernis, an dem seine und seiner Kollegen Mahnungen und Warnungen immer wieder zerschellen, seit Jahren schon. Die Deutschen weigerten sich, den Absturz in die demographische Bedeutungslosigkeit, der längst im Gange sei und Jahr für Jahr an Tempo gewinne, zur Kenntnis zu nehmen. Sie hören lieber auf die Quacksalber und Gesundbeter, die ihnen vorgaukeln, in einem schrumpfenden und alternden Volk ließe sich genauso gut leben wie bisher, vielleicht sogar noch etwas besser. Nichts charakterisiere die Einstellung einer Gesellschaft zu den existenziellen Problemen ihrer Zukunft treffender als diejenigen Ziele, die nicht einmal diskutiert, geschweige denn aktiv verfolgt würden. Birg schreibt:
"Deutschland konkurriert im internationalen ökonomischen Wettbewerb nur noch um die rangtieferen Plätze. Die für die Sicherung des Wohlstands unabdingbaren, ehrgeizigen Ziele wurden in der Politik stillschweigend aufgegeben, sie kommen im politischen Diskurs und in den Gutachten, die von Wissenschaftlern für Politiker angefertigt werden, nicht mehr vor."
Eine übergroße Koalition aus Sozialpolitikern, Gerontologen und Status-quo-verliebten 68ern will sich ihr Recht auf ungetrübten Gegenwartsgenuss nicht nehmen lassen. Wenn sich der fatale Zirkel aus Bevölkerungsrückgang und heilloser Überalterung mit allen seinen bedrückenden Konsequenzen nicht länger ignorieren lässt, genügt der routinierte Hinweis auf das Dritte Reich, um das gefährliche Thema vom Tisch zu wischen. Man will das Chaos, das da auf die nächsten und übernächsten Generationen zukommt, nicht wahrhaben. Bundesfamilienministerin Renate Schmidt war immerhin ehrlich, als sie in aller Offenheit bekannte, die Frage, ob die Deutschen ausstürben oder nicht, sei ihr verhältnismäßig wurscht, sie stelle sich für sie an allerletzter Stelle.
Birg wird nicht müde zu betonen, dass das Problem nicht eigentlich die Schrumpfung sei, sondern die damit unweigerlich verbundene Überalterung. Und auch die nur deshalb, weil phantasie- und verantwortungslose Sozialpolitiker dafür gesorgt haben, dass in Deutschland diejenigen Leute von Kindern profitieren, die selbst keine haben. Sein Urteil klingt vernichtend:
"Durch die große Rentenreform von 1957 wurden die Ansprüche auf Altersversorgung kollektiviert, aber die zur Erfüllung der Ansprüche notwendigen generativen Leistungen in der Form der Erziehung künftiger Beitragszahler den Familien aufgebürdet – eine nach meinem Dafürhalten verfassungswidrige Reform, die den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung verletzt, indem sie die Gruppe der Kinderlosen privilegiert."
Mit der hohen Treffsicherheit, die Bevölkerungsprognosen eigen ist, lässt sich schon heute sagen, dass es zur Mitte des Jahrhunderts in Deutschland weniger unter 20-Jährige als über 80-Jährige geben wird. Den mit Abstand größten Anteil werden dann die Menschen stellen, die 60 Jahre und älter sind: womit die Seniorenrepublik Deutschland endlich am Ziel wäre. Ohne brutale Einschnitte in das soziale Netz wird sich eine auch nur bescheidensten Ansprüchen genügende Versorgung dann nicht mehr aufrechterhalten lassen. Wie diese Einschnitte aussehen und wen sie treffen werden, hat Friedrich von Hayek angedeutet, als er voraussagte, dass der dann fällige Verteilungskampf nicht durch Solidaritätsappelle entschieden werde, sondern dadurch, dass die Jungen die Polizei stellen und das Militär; die Ärzte übrigens auch.
Was nötig wäre, um solche Zustände nicht eintreten zu lassen, liegt auf der Hand: man hätte Schluss zu machen mit der Transferausbeutung der Familien oder, was auf dasselbe hinausläuft, mit der faktischen Subvention von Kinderlosigkeit. In mehr als einem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht diesen Weg vorgezeichnet und die Politiker gemahnt, ihn endlich zu betreten, bis heute vergeblich. Birg schreibt dazu:
"Durch unser umlagefinanziertes System werden Menschen ohne Kinder in verfassungswidriger Weise bevorzugt, weil sie, so das Gericht, die gleichen Versorgungsansprüche wie Menschen mit Kindern erwerben, obwohl sie nur den monetären, nicht aber den vom Gericht so genannten generativen Beitrag in Form der Erziehung künftiger Beitragszahler leisten - die entscheidende Voraussetzung für das Funktionieren der umlagefinanzierten Pflegeversicherung."
Nicht nur der Pflegeversicherung, wäre hier hinzuzufügen; denn Renten- und Krankenversicherung arbeiten nach demselben, ungerechten und ruinösen Prinzip. Sämtliche Zweige des ganz zu Unrecht immer noch sozial genannten Zwangsversicherungssystems leben von der Umverteilung von Jung zu Alt. Sie beuten aus, was sie zu schonen, zu pflegen und zu fördern hätten. Deswegen stehen sie allesamt vor derselben, aussichtslosen Lage.
Was fehlt, sind Menschen. Für die nämlich gibt es keinen Ersatz, für alles andere schon. Hält man sich an die amtlichen Verlautbarungen, dann ist der Staat für alles Mögliche zuständig, für die Erziehung und den Unterricht, für Ausbildung und Bildung; dass man nur ausbilden und bilden, erziehen und unterrichten kann, was schon da ist, will er jedoch um keinen Preis der Welt einsehen. Birg macht das klar, indem er schreibt:
"Auch die Einwanderer Deutschlands müssen zunächst irgendwo geboren worden sein, bevor sie zuwandern und hier Probleme lösen können. Dass unser Land glaubt, seine Zukunft darauf bauen zu können, dass es die von anderen Ländern mit Kosten und Mühen gewonnenen Früchte erntet – darüber gibt es hierzulande nicht den geringsten Ansatz einer öffentlichen Reflexion. Wir sehen uns im Wettbewerb um die Besten der anderen Länder und verstehen nicht, dass wir mit unseren Ansprüchen eine neue Art des Kolonialismus betreiben."
Nach alledem ist es kein Wunder, dass die Bilanz, mit der Birg sein neues Buch abschließt, traurig ist, sein Ausblick in die Zukunft nicht sehr hoffnungsvoll. Durch den Ausfall einer ganzen Generation ist es, wie er sich plastisch ausdrückt, in Deutschland nicht etwa fünf Minuten vor, sondern 30 Jahre nach Zwölf. Deutschland, so sein hartes Resümee, habe von seinem Recht auf Nichtwissen in exzessiver Weise Gebrauch gemacht und werde dafür teuer bezahlen müssen.
Herwig Birg: Die ausgefallene Generation. Was die Demographie über unsere Zukunft sagt
Verlag C.H. Beck, München 2005
16,90 Euro