Was der Terrorismus lehren könnte - und was nicht gelernt wird
Die Beinahe-Katastrophe über dem Atlantik, die von britischen Flughäfen aus geplant war und nur mit viel Glück vermieden worden ist, sollte ein brennender Anlass zu Fragen sein. Die Verschärfung unserer Sicherheitsapparate, die zum Selbstschutz des Staates ohnehin geboten war und uns dem unvorstellbaren Unheil entkommen ließ, ist noch keine Antwort.
In allen übrigen Dingen haben wir die Zügel schleifen lassen - und sind in unserer vergnügungssüchtigen Bequemlichkeit geblieben. Verbesserte Sicherheitskontrolle, verdichteter Schutz von Leib und Eigentum - viel mehr ist uns nicht eingefallen. Dazu das ohnmächtige Gerede von Integration und Glaubenstoleranz - überflüssiges Gewäsch, das die Terroristen nur mit Hohn überschütten können, man kann sie verstehen. Das war nicht das Thema, das sie damals in New York und dann in London aufgeschlagen hatten. Sie wissen seit zwei Jahrhunderten, wie viel Heuchelei und Feigheit in unsere Humanismuspredigten eingepackt ist. Und sie, die bedingungslos Gläubigen, verachten mit Recht die Doppelzüngigkeit von Leuten, die ihre Heiligen Schriften nicht lesen und nicht befolgen - und zugleich von ihren hohen Werten tönen.
Nein, wir haben aus dem elften September keine Lehren gezogen. Gewiss, es war richtig, den Amerikaner nicht in die Koalition der Willigen zu folgen. Das gebot den Franzosen und den Deutschen ihre praktische Vernunft. Aber es genügte nicht, mit selbstzufriedener Bescheidenheit zu sagen: Dies ist nicht unser Krieg, lasst diese Amerikaner, die immer wieder ihr Gedächtnis verlieren, doch machen, sie werden es schon sehen. Denn mit ihrer Verweigerung haben die Europäer auch schon eine doppelte moralische Verpflichtung übernommen. Zum ersten, der amerikanischen Regierung energischer in den Arm zu fallen. Ihre Generalität hatte ursprünglich ja selber abgeraten. Zum Zweiten die Botschaft der Terroristen genau zu lesen - und ein Beispiel zu geben, vieles anders zu machen. Mit dem elften September sollte ja nicht nur das arrogante und selbstsüchtige Imperium getroffen werden, der ganze Westen war gemeint. Die Europäer scheuen mit guten Gründen das Wort vom Weltbürgerkrieg. Es war im Kalten Krieg von konservativen Ideologen strapaziert, missbraucht worden. Es ist ein Wort der Selbstverblendung, und es ist auch heute vernünftig, sich nicht darauf einzulassen.
Aber es liegt, wie wir soeben wieder erfahren konnten, über diesem Planeten eine totale Bedrohung, von der sich niemand ausschliessen kann. Mag auch der Herd dieses Schwelbrandes irgendwo in der islamischen Welt liegen, er ist dort nicht auszulöschen. Die israelischen Regierungen haben das in den vergangenen sechzig Jahren bis heute nicht begriffen, sie waren vielmehr zufrieden damit, dass dieses Problem, das schon nach der europäischen Katastrophe ein Weltproblem war, in Palästina abgestellt werden konnte. Der israelisch-arabische Konflikt musste nicht direkt den Terror auslösen, aber er nährt ihn fortwährend. So auch die tödlich Bedrohung, der die Europäer und mit ihnen die Amerikaner in diesem August noch einmal entkommen sind.
Auch mit einer klügeren Außenpolitik und einem ehrlicheren Umgang mit der islamischen Welt allein ist dem Terrorismus nicht vorzubeugen. Wenn dieser sich in immer erneuten Zuckungen entzünden lässt und seine diffuse Gewalttätigkeit beweist, so kann er Amerika und Israel damit immer wieder zu neuen Gewaltreaktionen reizen. Sie gehören selber mit zum Syndrom. Ebenso wie die Westeuropäer, die sich nur heraushalten wollen, aber nicht mehr. Sie sollen selber demonstrieren, so ein strategisches Ziel von Al Quaida, wie aggressiv und wie gewalttätig ihre Kultur ist. Wer genauer hinschaut, kann wissen, dass unser anscheinend so harmloser Massentourismus, mit dem wir doch nur in der Armutszone Arbeitsplätze schaffen wollen, eine Überwältigung darstellt und voll gesogen ist mit Verachtung. Das verspürt man im gesamten Orient, und das verschafft dem Terrorismus ständigen Nachschub. Und so ist es ja auch: Wenn Muslimbrüder auf dem Nil Vergnügungsschiffe beschießen, so bangen in Europa die Sonnenrentner erst einmal um ihre schönen Reiseziele, die Tourismusindustrie und die ägyptische Regierung zittern mit. Und diese Regierung, treuer Verbündeter der USA im Nahen Osten, geht noch brutaler vor - wovon die übrige Welt kaum etwas zu erfahren braucht.
Der globale Terrorangriff, dem die Europäer soeben entgangen sind, könnte sie wenigstens dazu bringen, nachzurechnen, was passiert wäre, wenn… Wenn sie das wiederum vermeiden und vor den möglichen Folgen die Augen verschließen, so offenbaren sie damit ihre Einfallslosigkeit in dieser Welt der umfassenden Bedrohung. Damit bleibt der Terror, wenn er sich auf einen starken Glauben stützt, allemal der Stärkere.
Claus Koch, in München geboren, studierte Philosophie, Ökonomie und Geisteswissenschaften und war zunächst in einem Wirtschaftsverlag tätig. Seit 1959 arbeitet er als freier Journalist für Presse und Rundfunk, seit 2003 gestaltet er den Mediendienst "Der neue Phosphorus". In den sechziger Jahren redigierte Koch die Monatszeitschrift "atomzeitalter", später war er Mitherausgeber und Redakteur der Zeitschrift für Sozialwissenschaft "Leviathan" und Mitarbeiter mehrerer sozialwissenschaftlichen Forschungsprojekte. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen "Ende der Natürlichkeit - Streitschrift zur Biotechnik und Biomoral", "Die Gier des Marktes - Die Ohnmacht des Staates im Kampf der Weltwirtschaft" und "Das Ende des Selbstbetrugs - Europa braucht eine Verfassung".
Nein, wir haben aus dem elften September keine Lehren gezogen. Gewiss, es war richtig, den Amerikaner nicht in die Koalition der Willigen zu folgen. Das gebot den Franzosen und den Deutschen ihre praktische Vernunft. Aber es genügte nicht, mit selbstzufriedener Bescheidenheit zu sagen: Dies ist nicht unser Krieg, lasst diese Amerikaner, die immer wieder ihr Gedächtnis verlieren, doch machen, sie werden es schon sehen. Denn mit ihrer Verweigerung haben die Europäer auch schon eine doppelte moralische Verpflichtung übernommen. Zum ersten, der amerikanischen Regierung energischer in den Arm zu fallen. Ihre Generalität hatte ursprünglich ja selber abgeraten. Zum Zweiten die Botschaft der Terroristen genau zu lesen - und ein Beispiel zu geben, vieles anders zu machen. Mit dem elften September sollte ja nicht nur das arrogante und selbstsüchtige Imperium getroffen werden, der ganze Westen war gemeint. Die Europäer scheuen mit guten Gründen das Wort vom Weltbürgerkrieg. Es war im Kalten Krieg von konservativen Ideologen strapaziert, missbraucht worden. Es ist ein Wort der Selbstverblendung, und es ist auch heute vernünftig, sich nicht darauf einzulassen.
Aber es liegt, wie wir soeben wieder erfahren konnten, über diesem Planeten eine totale Bedrohung, von der sich niemand ausschliessen kann. Mag auch der Herd dieses Schwelbrandes irgendwo in der islamischen Welt liegen, er ist dort nicht auszulöschen. Die israelischen Regierungen haben das in den vergangenen sechzig Jahren bis heute nicht begriffen, sie waren vielmehr zufrieden damit, dass dieses Problem, das schon nach der europäischen Katastrophe ein Weltproblem war, in Palästina abgestellt werden konnte. Der israelisch-arabische Konflikt musste nicht direkt den Terror auslösen, aber er nährt ihn fortwährend. So auch die tödlich Bedrohung, der die Europäer und mit ihnen die Amerikaner in diesem August noch einmal entkommen sind.
Auch mit einer klügeren Außenpolitik und einem ehrlicheren Umgang mit der islamischen Welt allein ist dem Terrorismus nicht vorzubeugen. Wenn dieser sich in immer erneuten Zuckungen entzünden lässt und seine diffuse Gewalttätigkeit beweist, so kann er Amerika und Israel damit immer wieder zu neuen Gewaltreaktionen reizen. Sie gehören selber mit zum Syndrom. Ebenso wie die Westeuropäer, die sich nur heraushalten wollen, aber nicht mehr. Sie sollen selber demonstrieren, so ein strategisches Ziel von Al Quaida, wie aggressiv und wie gewalttätig ihre Kultur ist. Wer genauer hinschaut, kann wissen, dass unser anscheinend so harmloser Massentourismus, mit dem wir doch nur in der Armutszone Arbeitsplätze schaffen wollen, eine Überwältigung darstellt und voll gesogen ist mit Verachtung. Das verspürt man im gesamten Orient, und das verschafft dem Terrorismus ständigen Nachschub. Und so ist es ja auch: Wenn Muslimbrüder auf dem Nil Vergnügungsschiffe beschießen, so bangen in Europa die Sonnenrentner erst einmal um ihre schönen Reiseziele, die Tourismusindustrie und die ägyptische Regierung zittern mit. Und diese Regierung, treuer Verbündeter der USA im Nahen Osten, geht noch brutaler vor - wovon die übrige Welt kaum etwas zu erfahren braucht.
Der globale Terrorangriff, dem die Europäer soeben entgangen sind, könnte sie wenigstens dazu bringen, nachzurechnen, was passiert wäre, wenn… Wenn sie das wiederum vermeiden und vor den möglichen Folgen die Augen verschließen, so offenbaren sie damit ihre Einfallslosigkeit in dieser Welt der umfassenden Bedrohung. Damit bleibt der Terror, wenn er sich auf einen starken Glauben stützt, allemal der Stärkere.
Claus Koch, in München geboren, studierte Philosophie, Ökonomie und Geisteswissenschaften und war zunächst in einem Wirtschaftsverlag tätig. Seit 1959 arbeitet er als freier Journalist für Presse und Rundfunk, seit 2003 gestaltet er den Mediendienst "Der neue Phosphorus". In den sechziger Jahren redigierte Koch die Monatszeitschrift "atomzeitalter", später war er Mitherausgeber und Redakteur der Zeitschrift für Sozialwissenschaft "Leviathan" und Mitarbeiter mehrerer sozialwissenschaftlichen Forschungsprojekte. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen "Ende der Natürlichkeit - Streitschrift zur Biotechnik und Biomoral", "Die Gier des Marktes - Die Ohnmacht des Staates im Kampf der Weltwirtschaft" und "Das Ende des Selbstbetrugs - Europa braucht eine Verfassung".