Was den Qualitätsjournalismus bedroht

Von Hajo Schumacher · 15.03.2006
Dann wollen wir mal den Smoking rausholen, das Hemd mit der breiten Brust bügeln, die Fliege umfummeln und den Schaumwein kaltstellen. Denn heute ist es wieder soweit. Die Branche der Medienschaffenden erfährt, dass sie gut ist: Die diesjährigen Grimme-Preise werden bekannt gegeben.
Es ist ein Fest des Qualitätsjournalismus: Qualitätsjournalisten in der Jury befinden über Beiträge von Qualitätsjournalisten, und Qualitätsjournalisten berichten darüber in den Medienteilen der Qualitätszeitungen, auf dass zahlreiche Qualitätsjournalisten bei der Preisverleihung in der Medienmetropole Marl erscheinen. Wir sind schon tolle Hechte, wir Qualitätsjournalisten, versichern wir uns da alle, und klopfen uns auf die Schulter.

Qualität, wohin das Auge blickt. Wenn es doch nur so einfach wäre mit der Medienbranche. Natürlich gibt es jedes Jahr Spitzenleistungen, und nicht wenige, keine Frage. Doch der nicht ganz ohne Selbstverliebtheit entfachte Qualitätsrausch bei Grimme & Co. hat einen kleinen Schönheitsfehler. Es sind vielfach die gleichen Leute, Juroren, Programmdirektoren, Intendanten, Produzenten, die für das immer gleiche Publikum ihre Qualität produzieren.

Qualitätsjournalismus heißt eben auch: Ein televisionäres Bildungsbürgertum sendet da für sich selbst, um schließlich mit sich selbst darüber zu plaudern und sich gegenseitig dafür hoch zu loben. So bleiben die Guten unter sich und werden womöglich immer noch ein bisschen besser.

Gegen Elite ist nichts einzuwenden. Aber Fakt ist auch: In der Breite wird es immer dünner. Der deutsche Journalismus leidet nicht an zuviel Qualität, sondern steckt in seiner größten Krise nach dem Krieg. Eine Branche, die sich immer für automatisch expandierend hielt, hat in den letzten Jahren tausende von Stellen abgebaut. Redaktionen sind ausgedünnt, Kollegen müssen mit geringsten Mitteln immer mehr Plätze füllen. Die Grenze von Journalismus und PR ist ein breiter breiiger Fluss geworden.

Was den Qualitätsjournalismus wohl am meisten bedroht: Die Ausbildung wird kontinuierlich zurückgefahren. Zwar gibt es die paar guten Verlage und Sender – das Deutschlandradio gehört dazu – und eine Handvoll ordentlicher Journalistenschulen. Aber das war es dann auch. An den Universitäten wird überwiegend Journalismus zusammen mit PR gelehrt, für eine junge indifferente Kundschaft, die später mal "irgendwas mit Medien" machen will.

Ob diese jungen Leute ihrem demokratischen Auftrag als vierte Gewalt, als Instanz für Kontrolle, Kritik und Analyse nachkommen, bleibt zu bezweifeln. Zumal die Gegenseite aufrüstet. In Berlin arbeiten inzwischen mehr Journalisten für Marketing- und PR-Agenturen als für echte Medien. Und die Mietmäuler sind nicht mal die schlechtesten; es gibt keinen Grund, wie früher, herablassend auf PR-Leute herabzuschauen.

Dazu eine bizarre Begebenheit, kaum zwei Monate alt. Da saß eine Runde zusammen, richtige Journalisten und PR-Kräfte. Sagt ein PR-Mann: "Ihr Journalisten seid auch nicht mehr, was ihr mal wart." Entgegnet der Journalist: "Besser als ihr PR-Fuzzis allemal." Sagt der PR-Mann: "Von wegen. Wenn wir unsere bezahlten Texte für die Pharmaindustrie oder sonst wen früher den Zeitungen angeboten haben, dann haben die Redakteure gefragt: Von wem ist das? Und dann haben sie abgelehnt. Heute fragt keiner mehr, sondern die Redakteure sagen nur: Danke - und sind froh, das sie etwas Kostenloses haben, womit sie ihre Seite füllen können."

Soweit ist es also schon: PR-Kräfte mahnen Journalisten zu mehr Sorgfalt. Mit Qualitätsjournalismus hat das nichts zu tun, aber mit dem alltäglichen Journalismus, der im Zweifel weit mehr Menschen erreicht als die Spitzenprodukte mit dem Grimme-Siegel.

Man kann es sich leichtmachen wie der elitäre Berufsverband "Netzwerk Recherche" und die Verantwortung allein bei den Journalisten abladen. Man kann aber auch die ökonomischen Realitäten zur Kenntnis nehmen. Und die sind es vielfach, die die Qualität diktieren. Wenn Regionalzeitungen ganze Redaktionen 'outsourcen', wenn Korrektorate geschlossen, Experten abgeschafft und immer mehr Aufgaben auf immer weniger Schultern verteilt werden, wenn in Fernsehen und Radio das Selbstfahrerstudio Standard wird, wenn Reporter bald mit Kamera und Mikrofon, mit Block und Bleistift, mit I-Pod und L-AN-Anschluß losziehen, um gleichzeitig Beiträge für Fernsehen, Radio, Zeitung und Internet zu liefern, dann werden wir merken, dass die Berichterstattung schlicht schlechter wird, Grimme-Preis hin oder her. Eine starke Gesellschaft aber kann sich schwache Medien nicht leisten.

Was kann man dagegen tun? Zuerst einmal eines: Diese Krise zur Kenntnis nehmen und sich nicht in trügerischem Selbstlob verlieren. Denn wir haben nicht nur Qualitätsjournalismus in Deutschland, sondern auch ein gewaltiges Qualitätsproblem.


Hajo Schumacher, Journalist: Nach Abschluss der Münchner Journalistenschule schrieb Hajo Schumacher für die "Süddeutsche Zeitung". Dann arbeitete er rund zehn Jahre beim "Spiegel", zuletzt als stellvertretender Leiter des Berliner Büros und stellvertretender Ressortleiter Deutsche Politik. Anfang 2001 wurde Hajo Schumacher Chefredakteur von "Max". Nach seinem Ausscheiden arbeitet er jetzt als freier Journalist.