Was das Coronavirus mit uns macht

Schutzwälle aus gehamstertem Klopapier

02:11 Minuten
Gestapelte Toilettenpapierrollen auf dem Heizkörper einer öffentlichen Toilette
Auf der Toilette sitzen und über Corona nachdenken. © imago images / Jochen Tack
Eine Glosse von Vladimir Balzer · 07.03.2020
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Wir Deutsche gelten als sehr vernünftig. Das Coronavirus ist gerade dabei, diesen Ruf zu ruinieren: Statt aufgeklärten Pragmatikern huschen Klopapier hortende Nervenbündel über die leerer werdenden Straßen. Und niemand nimmt sich mehr in den Arm! Eine Glosse.
Waren wir nicht gerade noch ein aufgeklärtes Land? Und waren wir nicht gerade noch stolz auf den deutschen Ingenieursgeist – auf die vielen Lösungen, die rational denkende Menschen hierzulande für uns finden? Meines Wissens war das bisher so. Wie heißt es immer so schön: zielorientiert denken. Was ganz sicher nicht zu diesem Geist gehört, ist, sich mehr Klopapier zu kaufen, als man in den nächsten zehn Jahren aufbrauchen kann. Warum tun Menschen das?
Warum in aller Welt horten Deutsche Toilettenpapier? Ausgerechnet den Hygieneartikel, der die schlechteste Hygiene verspricht! Ganz ehrlich – es gibt nichts ekligeres als Toilettenpapier. Ich will das jetzt nicht weiter vertiefen, aber ich kann nur sagen: Toilettenpapier macht nicht sauber. Also, jedenfalls nicht so sauber wie es sein sollte. Wie es wirklich hygienisch ist. Wie man wirklich Keime, Bakterien und, ja, Viren loskriegt.

Zweilagiger Recycling-Papier-Quatsch

Dazu braucht es nämlich warmes Wasser, so wie man es zum Beispiel in vielen asiatischen Ländern nutzt – und nicht zweilagigen, billigen Recycling-Papier-Quatsch. Die Klopapier-Hamsterei kann also kaum etwas mit besonderen Hygienebemühungen zu tun haben.
Die einzige brauchbare Erklärung für diesen Irrsinn ist der soziale Faktor von Klopapier. Man benutzt es auf dem Klo. Und wo ist der Ort, wo man noch weitestgehend ungestört allein sein kann, weit weg von Menschenansammlungen? Genau. Der stille Ort heißt nicht umsonst so. Eine intime Enklave gegen den Terror der Öffentlichkeit. Dort kann man lesen oder stumm vor sich hin gucken. Man darf popeln oder in die Handfläche niesen statt in die Armbeuge. Man darf für sich sein, ohne es begründen zu müssen. Und man steckt sich in diesem Moment vermutlich auch nicht an.

Wir fassen uns nicht mehr an!

So gesehen ist die Klopapier-Hamsterei auch wieder konsequent. Nur: Wo führt das hin? Wenn schon unbedeutende Kleinstveranstaltungen mit zehn Teilnehmern wichtigtuerisch (Corona, Corona, wir müssen zusammenhalten!) abgesagt werden, dann werden wir alle bald nur noch Inseln sein im großen Meer! Wir sehen uns nur noch von Ferne. Wir fassen uns nicht mehr an, wir reden nicht mehr miteinander. Wir sitzen nur noch da und gucken stumm vor uns hin. Beschützt von meterhohen Wänden aus gehamsterten Klopapier.
Und zerfressen von Angst und Misstrauen. Das wäre dann der Moment, wo wir den Laden hier zumachen können.
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