Was am Ende bleibt

07.05.2012
Josef Suk meinte wohl mit dem Titel seiner sinfonischen Dichtung "Zrání" oder "Reife" das individuelle menschliche Reifen. Diesem großen Orchesterwerk, das die Liebe zum zentralen Streben menschlicher Existenz erhebt, wird der morbide Charme von Ondřej Kukals "Das Lied eines wahnsinnig gewordenen Soldaten" nach einem Gedicht von Jakub Deml gegenübergestellt.
Als Schwiegersohn Antonin Dvořáks hatte der Prager Komponist Josef Suk beste Voraussetzungen, mit seiner Musik Aufmerksamkeit und Anerkennung zu finden. Und er erlebte eine Zeit, in der die sinfonische Musik die Hoffnungen einer ganzen Nation symbolisierte.

Kurz nach dem Ende des Habsburger Reiches, als Tschechien die Unabhängigkeit erlangte, stellte Suk in Prag sein großes Orchesterwerk "Zrání" vor. Übersetzen lässt sich der Titel der sinfonischen Dichtung mit "Reife" oder "Lebensreife". Der Komponist meinte wohl letzteres, also ein individuelles menschliches Reifen. Er hatte nicht das einer politischen Idee oder Staatlichkeit im Sinn, als er zugab, im Laufe seines Lebens erkannt zu haben, dass der wichtigste Wert die Liebe sei.

Auf jeden Fall hatte Suk mit diesem Stück ein hochkomplexes und dennoch genießbares Werk geschaffen, das nicht nur den Dirigenten der Uraufführung zu Begeisterungsstürmen hinriss: Dieser soll die Partitur in die Höhe gehalten und ausgerufen haben: "Ein zweites Vaterland!" (nach Smetanas epochemachendem Ma Vlast/Mein Vaterland).

Mit einem umstrittenen tschechischen Dichter hat sich der renommierte Gegenwartskomponist Ondřej Kukal beschäftigt. Als Begründer des böhmischen Surrealismus gilt der katholische Priester Jakub Deml. Mit seinen Gedichten und Romanen provozierte er gläubige Christen und Kommunisten gleichermaßen. Mit zunehmendem Alter neigte Deml aber zu antisemitischen und kruden Anschauungen und isolierte sich selbst von seiner Umwelt.

Das "Lied eines wahnsinnig gewordenen Soldaten" hat er selbst auf Deutsch geschrieben. In den 30er Jahren hatte er sich intensiv mit der Muttersprache eines seiner Großväter beschäftigt. Ondřej Kukal hat vor einigen Jahren nun das exzentrische Gedicht Demls für Bariton und Kammerorchester gesetzt und vor allem die darin vorhandenen umnebelten Bewusstseinsschichten des exzentrischen Außenseiters hörbar gemacht. In seinem morbiden Charme stellt dieses Orchesterlied eine gelungene Verbindung her zu Josef Suks großer sinfonischer Dichtung.

Das Sinfonieorchester des Tschechischen Rundfunks hat für dieses anspruchsvolle Programm eine der größten Nachwuchshoffnungen der einheimischen Dirigentenszene gewinnen können - Tomáš Hanus, der auch in Deutschland Anerkennung erworben hat, zum Beispiel mit seinen Auftritten in der Bayerischen Staatsoper.


Dvořák-Saal des Rudolfinums Prag
Aufnahme vom 30.4.12

Ondřej Kukal
"Das Lied eines wahnsinnig gewordenen Soldaten"
auf einen Text von Jakub Deml op. 19

Josef Suk
"Lebensreife"
Tondichtung op. 34

Roman Janál, Bariton
Kühn-Chor Prag (Frauen)
Radiosinfonieorchester Prag
Leitung: Tomáš Hanus