Warum Verfassungen "cool" sind
"Verfassungen sind cool", lautet der schneidige erste Satz in "Das Grundgesetz", einem weiteren Buch zum 60-jährigen Verfassungsjubiläum. Doch der Hamburger Publizist Peter Zolling will sich nicht per Jugendslang anbiedern. Er schreibt vielmehr in klarer Diktion und mit großer Achtung über den Text, der die Bundesrepublik seit 1949 im Innersten zusammenhält.
Peter Zolling ergreift "Partei für das Grundgesetz", er will dem Werk "die Ehre erweisen". Das ist so üblich zum 60-jährigen Geburtstag der Verfassung. Sie ist als Textgrundlage der Bundesrepublik unter Demokraten unumstritten, auch wenn außer Artikel 1, Satz 1 ("Die Würde des Menschen ist unantastbar") keine Formulierung flächendeckend populär wurde.
Indem Zolling sein Buch als Einführung deklariert, verpflichtet er sich zu grundsätzlichen und voraussetzungsfreien Ausführungen. Gleichzeitig zielt er aufs Systematische des Grundgesetzes ("Unsere Verfassung - … was sie ist"), weshalb er dem Gedankenfluss mehr als dem Erzählfluss vertraut.
Die Standpunkte der Alliierten, die Arbeit des Verfassungsausschusses auf Herrenchiemsee (1948) und des Parlamentarischen Rats in Bonn (1948/49), die Reibereien zwischen Konrad Adenauer von der CDU und seinem sozialdemokratischen Kontrahenten Carlo Schmid, die gesamte Entstehung des Grundgesetzes vor dem brenzligen Nachkriegs-Hintergrund wird durch Stimmen und Positionen überblicksartig nachvollziehbar.
Imaginäres Miterleben jedoch, wie es historische Reportagen ermöglichen, intendiert Zolling nicht. Die Sachprobleme - Föderalismus, Stellung des Bundespräsidenten, Orientierung an der Menschenwürde usw. - werden gut ausgeleuchtet, Geist und Charakter der Autoren schon weniger. Das Drama des grundlegenden Wandels im deutschen Staatsverständnis – dass nämlich ab sofort der Staat für die Menschen da ist und nicht umgekehrt - ist bloß zu erahnen.
Nach weniger als der Hälfte des Buchs beginnt Zolling mit der Exegese der Grundrechte, die in den Artikeln 1 bis 19 GG niedergelegt sind. Er nennt sie völlig zu Recht "das Herz und die Krone der Verfassung". In den Auslegungen verbindet Zolling historische, philosophische und staatsrechtliche Einordnungen mit knappen Berichten zur Rechtspraxis insbesondere am Bundesverfassungsgericht.
Dabei wiederholt er viele Argumente mehrmals, senkt den Anspruch der Erklärungen teils bis auf Unterstufenniveau und schreibt oft Floskeln wie "wir können uns nicht mit allen Einzelheiten auseinandersetzen" oder "man muss immer genau hinschauen". An solchen Stellen hätte ein strafferes Lektorat viel Gutes bewirkt. Zolling erledigt seinen Job geflissentlich, aber er findet zu keinem packenden Stil, um seine stets durchschimmernde Leidenschaft für das Grundgesetz auf die Leser zu übertragen.
Während Zolling sein Buch schrieb, brach im Herbst 2008 die globale Finanzkrise aus – weshalb er sie oft heranzieht, um das Menschen-, Welt- und Wirtschaftsbild des Grundgesetzes zu erhellen. Bei allen politischen Konkretisierungen der Verfassungsvorgaben gibt sich Zolling als Liberaler zu erkennen, der trotz des internationalen Terrorismus gegen den drohenden Überwachungsstaat kämpft. "Neigt sich die Blütezeit der Demokratie tatsächlich dem Ende zu?" heißt die überproportional große Schlussfrage, die Zolling zunächst mit einem kurzen Blick auf den Hoffnungsträger Barack Obama verneint.
Die Hiesigen tröstet er mit einem Verweis auf das bewährte Grundgesetz: "Ein Kompass, der Wege zur Verbesserung von Staat und Gesellschaft weist. Damit man für die Zukunft gut gewappnet ist." Zollings bekenntnishaftes Eintreten für die Verfassung ist löblich. Sein Buch wird jedoch mangels politischen und rhetorischen Feuers kaum einen Staatsbürger in einen Verfassungspatrioten verwandeln.
Rezensiert von Arno Orzessek
Das Grundgesetz. Unsere Verfassung – wie sie entstand und was sie ist
von Peter Zolling, Carl Hanser Verlag, 199 Seiten, 14,90 Euro
Indem Zolling sein Buch als Einführung deklariert, verpflichtet er sich zu grundsätzlichen und voraussetzungsfreien Ausführungen. Gleichzeitig zielt er aufs Systematische des Grundgesetzes ("Unsere Verfassung - … was sie ist"), weshalb er dem Gedankenfluss mehr als dem Erzählfluss vertraut.
Die Standpunkte der Alliierten, die Arbeit des Verfassungsausschusses auf Herrenchiemsee (1948) und des Parlamentarischen Rats in Bonn (1948/49), die Reibereien zwischen Konrad Adenauer von der CDU und seinem sozialdemokratischen Kontrahenten Carlo Schmid, die gesamte Entstehung des Grundgesetzes vor dem brenzligen Nachkriegs-Hintergrund wird durch Stimmen und Positionen überblicksartig nachvollziehbar.
Imaginäres Miterleben jedoch, wie es historische Reportagen ermöglichen, intendiert Zolling nicht. Die Sachprobleme - Föderalismus, Stellung des Bundespräsidenten, Orientierung an der Menschenwürde usw. - werden gut ausgeleuchtet, Geist und Charakter der Autoren schon weniger. Das Drama des grundlegenden Wandels im deutschen Staatsverständnis – dass nämlich ab sofort der Staat für die Menschen da ist und nicht umgekehrt - ist bloß zu erahnen.
Nach weniger als der Hälfte des Buchs beginnt Zolling mit der Exegese der Grundrechte, die in den Artikeln 1 bis 19 GG niedergelegt sind. Er nennt sie völlig zu Recht "das Herz und die Krone der Verfassung". In den Auslegungen verbindet Zolling historische, philosophische und staatsrechtliche Einordnungen mit knappen Berichten zur Rechtspraxis insbesondere am Bundesverfassungsgericht.
Dabei wiederholt er viele Argumente mehrmals, senkt den Anspruch der Erklärungen teils bis auf Unterstufenniveau und schreibt oft Floskeln wie "wir können uns nicht mit allen Einzelheiten auseinandersetzen" oder "man muss immer genau hinschauen". An solchen Stellen hätte ein strafferes Lektorat viel Gutes bewirkt. Zolling erledigt seinen Job geflissentlich, aber er findet zu keinem packenden Stil, um seine stets durchschimmernde Leidenschaft für das Grundgesetz auf die Leser zu übertragen.
Während Zolling sein Buch schrieb, brach im Herbst 2008 die globale Finanzkrise aus – weshalb er sie oft heranzieht, um das Menschen-, Welt- und Wirtschaftsbild des Grundgesetzes zu erhellen. Bei allen politischen Konkretisierungen der Verfassungsvorgaben gibt sich Zolling als Liberaler zu erkennen, der trotz des internationalen Terrorismus gegen den drohenden Überwachungsstaat kämpft. "Neigt sich die Blütezeit der Demokratie tatsächlich dem Ende zu?" heißt die überproportional große Schlussfrage, die Zolling zunächst mit einem kurzen Blick auf den Hoffnungsträger Barack Obama verneint.
Die Hiesigen tröstet er mit einem Verweis auf das bewährte Grundgesetz: "Ein Kompass, der Wege zur Verbesserung von Staat und Gesellschaft weist. Damit man für die Zukunft gut gewappnet ist." Zollings bekenntnishaftes Eintreten für die Verfassung ist löblich. Sein Buch wird jedoch mangels politischen und rhetorischen Feuers kaum einen Staatsbürger in einen Verfassungspatrioten verwandeln.
Rezensiert von Arno Orzessek
Das Grundgesetz. Unsere Verfassung – wie sie entstand und was sie ist
von Peter Zolling, Carl Hanser Verlag, 199 Seiten, 14,90 Euro