Warum unsere Winter wieder kälter werden

Dörthe Harndorf im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 26.02.2013
Die kalten Temperaturen der vergangenen Winter sind nichts im Vergleich zu den 60er-Jahren, sagt Dörthe Harndorf vom Alfred Wegner Institut in Potsdam. Im Mittel haben sich die Temperaturen aller Jahreszeiten seither deutlich erhöht. Dass es trotzdem so kalt ist, liegt unter anderem an der arktischen Eisschmelze.
Korbinian Frenzel: Auch wenn es jetzt endlich ein bisschen wärmer wird – der Winter hatte es mal wieder in sich, so wie auch die Winter in den Jahren davor, die allesamt deutlich kälter waren als noch in den 90ern. Wie kann das sein? Wie kann das sein auf einer Erde, die sich ja nun seit mehr als 20 Jahren Sorgen darüber macht, dass sich die Atmosphäre aufheizt, dass es also eigentlich überall wärmer wird? – Eiskalte Winter in Zeiten der Erderwärmung, das ist ein Widerspruch, der natürlich auch Wissenschaftler umtreibt. Das Alfred Wegner Institut in Potsdam hat sich damit befasst und eine Studie veröffentlicht. Ich habe darüber mit einer der Autoren, mit Dörthe Harndorf gesprochen. Meine erste Frage war die, ob es wirklich der Mensch ist, der da seine Hand im Spiel hat, oder ob es nicht einfach vielleicht die Kapriolen der Natur sind? Gerade ältere Menschen erzählen ja gerne von kalten Wintern früher.

Dörthe Harndorf: Zunächst mal ist ja die menschliche Erinnerung so eine ein bisschen heikle Angelegenheit. Was aber wir ja zum Glück haben sind relativ verlässliche Daten von zum Beispiel der bodennahen Temperatur, und wenn man sich die jetzt mal anschaut für das europäische Gebiet, dann sieht man schon, dass wir in den 60er-Jahren eine Häufung von kalten Wintern hatten und in den 90ern relativ selten kalte Winter in Mitteleuropa und Nordeuropa, und in den letzten zehn Jahren sehen wir wieder des öfteren kalte Winter, allerdings nicht so kalt und nicht so häufig wie in den 60er-Jahren.

Frenzel: Jetzt sagen Sie, diese kalten Winter hängen mit der Erderwärmung zusammen. Das klingt ja erst mal nach einem Widerspruch?

Harndorf: Das klingt nach einem Widerspruch, kann auch nicht in dieser Kausalität so eins zu eins stehen bleiben. Also wir sehen natürlich, wenn wir uns die globale Mitteltemperatur angucken, in allen Jahreszeiten eine Erhöhung. Speziell im Winter für Europa wird die jeweilige Witterung zu einem großen Teil durch ein dominantes großräumiges Strömungsmuster bestimmt, und dieses ist das Muster der nordatlantischen Schwingung. Das kann man sich vorstellen als eine Luftdruckschaukel zwischen dem Azorenhoch und dem Islandtief.

Mal verharrt sie eher in einer Phase, das nennen wir die negative Phase, dann gibt es Jahre, wo diese Schaukel eher in der positiven Phase ist, wie es in den 90er-Jahren überwiegend war, und diese positive Phase muss man sich so vorstellen, dass die Westwindströmung, die wir ja meistens haben, verstärkt ist. Das heißt, es kommt verstärkt warme Atlantikluft zu uns. Das sind dann diese Jahre mit den milden Wintern. Und was wir jetzt gefunden haben ist, dass die Abnahme des arktischen Meereises, die ja ganz eindeutig durch die Erwärmung verursacht ist, dazu führen kann, dass diese negative Phase unserer nordatlantischen Luftdruckschaukel häufiger als normal auftritt.

Frenzel: Das heißt, diese negative Phase, ich übersetze mal, kältere Winter, die dadurch auftreten, dass auf der Nordhalbkugel das Eis abschmilzt. Welche Länder, welche Regionen sind denn davon vor allem betroffen?

Harndorf: Nord- und Mitteleuropa stehen vor allem unter dem Einfluss dieser Luftdruckschaukel über dem Nordatlantik. Diese Luftdruckschaukel ist ein Teil einer größeren Luftdruckschaukel, die die ganze Arktis und die mittleren Breiten der ganzen Nordhalbkugel umfasst und die dann arktische Schwingung heißt, und deshalb sind von dieser arktischen Schwingung nicht nur wir in Europa beeinflusst, sondern auch Teile des nordamerikanischen Kontinents.

Frenzel: Und dann nur durch niedrigere Temperaturen, kältere Winter, oder auch durch andere Phänomene?

Harndorf: Wenn jetzt diese Luftdruckschaukel in dieser negativen Phase ist, dann sind es hauptsächlich die Temperaturen, aber auch zum Teil der Niederschlag, der beeinflusst wird. Dieser Zusammenhang mit dem arktischen Meereis ist natürlich nur ein Einfluss unter mehreren und bietet aber nach dem, was wir bis jetzt wissen, ein gewisses Potenzial vielleicht zumindest auf der saisonalen Skala für Vorhersagbarkeit.

Frenzel: Lassen Sie mich noch mal eine grundsätzliche Frage aufgreifen, die ja immer wieder auch von den USA zu uns rüberkommt und die so lauten könnte: Wenn wir gerade erleben, dass es gar nicht wärmer wird, also sprich eine Serie kalter Winter, dann könnte man ja eigentlich zu dem naheliegenden Schluss kommen, vielleicht gibt es so etwas wie einen Klimawandel gar nicht. Ist das komplett von der Hand zu weisen, solche Theorien?

Harndorf: Ja. Wir haben halt eine Überlagerung von natürlicher Variabilität des Klimasystems und von dem Einfluss, den der Mensch auf das Klima ausübt, und dieser Einfluss ist nicht von der Hand zu weisen. Wir beobachten die letzten zehn Jahre, dass die Erhöhung nicht mehr weitergeht, aber wir haben ein hohes Temperaturniveau im Vergleich zum Beispiel zu den 60ern oder 70er-Jahren erreicht. Nichts desto trotz kann man natürlich sagen, dass das Klimasystem so komplex ist und so empfindlich, dass es auf jeden Fall gut ist, nicht zusätzlich auf dieses System einzuwirken, und dass alle Maßnahmen zur CO2-Reduktion natürlich sehr sinnvoll sind.

Frenzel: Die Rückkehr der harten Winter - dieses Phänomen haben Klimaforscher am Alfred Wegner Institut in Potsdam näher untersucht. Mitautorin der Studie ist Dörthe Harndorf. Herzlichen Dank, Frau Harndorf, für das Gespräch.

Harndorf: Ja gerne.


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