Warum unsere Sprache verschlampt

Von Wolfgang Herles · 04.06.2008
Die deutsche Sprache verschludere nicht durch Jargon oder Denglisch, sie werde vielmehr von denen vernachlässigt, die Verantwortung für sie trügen, meint Wolfgang Herles, Leiter des ZDF-Kulturmagazins "aspekte". In der ersten Reihe der Politiker - ob Bundespräsident, Kanzlerin oder Oppositionsführer - sei niemand mit Sprachgefühl vertreten.
"Hat Deutsch eine Zukunft?", fragt Jutta Limbach, die ehemalige Präsidentin des Goethe-Instituts und des Bundesverfassungsgerichts. Sie belebt mit ihrem kleinen Buch eine große, wenn auch und gewiss nicht neue Debatte. Das ist verdienstvoll. Limbachs politisch überaus korrekte Einerseits-Andererseits-Erörterung reduziert freilich die Problematik auf das Vordringen des Englischen, als ob dies die einzige Bedrohung für das Deutsche sei. Sie wittert "Sprachverrat". Im Übrigen, behauptet Frau Limbach, habe das Deutsche kein Qualitätsproblem. Alles "Verfallsgerede" sei sinnloses Gejammer. Damit aber redet die Autorin schön und lenkt ab von den wahren Feinden unserer Sprache.

Das Englische gehört nicht zu ihnen. Das Deutsche wird auch nicht dadurch zur "Folkloresprache", wie Frau Limbach befürchtet, dass deutsche Wissenschaftler nur noch in Englisch lehren und publizieren.

Der Siegeszug des Englischen als globalem Verständigungsmittel ist nun einmal nicht aufzuhalten. Besser müsste man sagen: Einer Art des Englischen. Davon nimmt übrigens das Hoch-Englisch den größten Schaden. Es wird ihm ergehen wie einst dem Lateinischen, das im Mittelalter verhunzt worden ist. Ohne eine moderne Lingua franca kann auch die Europäische Union auf Dauer nicht zu einer Gesellschaft zusammenwachsen. Das werden am Ende sogar die Franzosen einsehen müssen.

Das Einsickern englischer Wörter und Sprachformen steht auf einem anderen Blatt. Es kann und sollte nicht verboten werden. Sprache entzieht sich staatlicher Reglementierung. Sie ist lebendig, ständig im Fluss, und sie ist frei. Wo sie es nicht ist, sind es auch die Menschen nicht.

Bedeutend größer als die englische Gefahr ist die Geringschätzung, die das Deutsche durch Deutsche selbst erfährt. Unsere Sprache verschlampt. Sie verschludert nicht durch die Jargons der Straße, nicht durch Kanakisch und nicht durch Denglisch. Vernachlässigt wird die Sprache von denen, die Verantwortung für sie tragen, ob sie wollen oder nicht, weil sie Vorbilder sind, im Guten wie im Schlechten.

Besonders grauenhaft ist die Sprache der Politik. Die Kunst der Rede ist verkommen, in den Parlamenten, in den Parteien, in den Talkshows. Vom Bundespräsidenten über die Kanzlerin bis zum Oppositionsführer: Zumindest in der ersten Reihe ist kein Spitzenpolitiker mit Sprachgefühl zu entdecken. (Und offenbar auch kein Ghostwriter.) Von Leidenschaft für Genauigkeit, Anschaulichkeit, Vielfalt, Eleganz, Sprachwitz, Frische keine Spur. Ja, wir müssen uns wehmütig an Helmut Schmidt, Franz Josef Strauß, Herbert Wehner, Richard von Weizsäcker und inzwischen auch an Joschka Fischer erinnern.

Es ist ein schlechter Witz, dass ausgerechnet Politiker glauben wollten, mit einer Rechtschreibreform das Deutsche voranbringen zu können. Sie haben sie versemmelt und ein Chaos in Schülerköpfen angerichtet.

Zugegeben: Ich sitze im Glashaus. Die Sprache der Medien ist kaum ein größerer Genuss als die Sprache der Politik. Die Unkultur der Talkshows führt dazu, dass nur noch unfrisiert dahergeschwafelt und -gequatscht wird. Trotz Akademisierung des Berufsstands ist auch die Sprache des Journalismus nicht besser geworden. Woran das liegt? Längst vorbei sind die Zeiten, in denen in den Rundfunksanstalten professionelle Sprachpfleger und in den Zeitungen Korrektoren beschäftigt worden sind. Selbst in den meisten Buchverlagen sind die Qualitätsstandards für gute Sprache gesunken. Die Verschlampung der Sprache macht auch vor den Kulturproduzenten nicht halt.

Woran das liegt? Es kommt nur noch auf Auflage und Quote an. Schnelligkeit schlägt Schönheit. Der Populismus siegt auch in den Medien. Nicht nur die Boulevardpresse schmeißt sich mit verkommener Sprache dem Publikum an den Hals. Bloß keinen Zuschauer, keinen Leser mit so etwas wie Stil überfordern!

Die Beliebtheit des Sprachkolumnisten Bastian Sick ist mit der Popularität von Fernsehköchen vergleichbar. Sie sind Entertainer. Und selbst die Überdosis von Kochshows hat nicht dazu geführt, dass die Deutschen besser kochen und sich qualitätsbewusster ernähren.

Vergessen wir nicht die Eliten der Wirtschaft. All die Spitzenverdiener! Sie reden, als hätten sie ihre Ausdruckskraft in den Unterrichtsfächern Werken und Technisch Zeichnen erworben. Sie sind gerade noch in der Lage, ihre Power-Point-Präsentationen zu betexten, ob auf Englisch oder Deutsch macht da keinen Unterschied mehr. Nur mitreißend Reden können sie nicht, weil Sprachgefühl offenbar nichts mehr ist, was für eine Karriere zwingend erforderlich scheint. Gutes Deutsch gilt offensichtlich schon an Elitehochschulen als ausgesprochen uncool. Das ist der Kern des Problems.

Wolfgang Herles, Publizist und Journalist, studierte Neuere deutsche Literatur, Geschichte und Psychologie in München. Nach seiner Promotion 1980 und dem Besuch der Deutschen Journalistenschule war er zunächst Korrespondent für den Bayerischen Rundfunk in Bonn und Redakteur des TV-Magazins "Report". Von 1987 an leitete er das ZDF-Studio Bonn und moderierte später auch die ZDF-Talkshow "Live". Er ist jetzt Leiter des ZDF-Kulturmagazins "aspekte".
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