Warum Kultur als Staatsziel die Kultur schwierig macht

Von Gudula Geuther |
Seit 1981 wird diskutiert, ob Kultur als Staatsziel festgeschrieben werden soll. Dafür sprach sich unter anderem auch die Enquetekommission des Bundestages aus. Eine Expertenanhörung im Bundestag sollte heute mehr Klärung bringen. Doch auch hier gab es scheinbar keinen Konsens der Gegner und Befürworter einer Gesetzesänderung.
Einig waren sich Gutachter, Kultur- und Rechtspolitiker in der heutigen Anhörung in einem Punkt: Alle beteuerten, wie sehr ihnen die Kultur am Herzen liege. Was der Satz "Der Staat schützt und fördert die Kultur" in der Verfassung aber bringen kann, ob er überhaupt Auswirkungen hat, ob er hilft oder schadet - darüber herrschte Uneinigkeit. Die FDP-Fraktion hatte das seit Jahrzehnten umstrittene Thema mit einem Gesetzentwurf wiederbelebt.

Klar wäre bei einer solchen so genannten Staatszielbestimmung: Konkrete Ansprüche könnte daraus weder eine Oper oder ein Museum, noch ein Theaterbesucher daraus ableiten. Die Befürworter erhoffen sich aber mittelbar eine Stärkung der Kultur. So der Mainzer Staatsrechtslehrer Friedhelm Hufen:

"Mit dem Staatsziel Kultur haben Sie noch keinen Titel in irgendeinem Haushalt. Aber es ist auch zum Ausdruck gekommen, dass alle Diskussionen um Kultur oder sonstige Ziele, die der Staat verfolgt, auch davon abhängen, wie wichtig und wie gewichtig diese Dinge auf Verfassungsebene sind. Sie haben keine unmittelbare Anspruchswirkung, aber sie haben eine Wirkung eben als Ziel. Die Formulierung 'schützt und fördert' ist ein Auftrag, ist ein Pflegeauftrag für die Kultur, und da gibt es auch ganz andere Kräfte in dieser Gesellschaft, die ihre Ziele haben, aber die Künstler und Kulturschaffenden werden hier in diesem Sinne gestärkt."

Wie eine solche Stärkung sich allerdings konkret niederschlagen könnte, darüber gingen die Meinungen auseinander. Erfahrungen mit den Staatszielbestimmungen, die es jetzt schon im Grundgesetz gibt, sind unterschiedlich. Während vor allem das Sozialstaatsgebot zu einer umfangreichen und detaillierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geführt hat, blieb der vor wenigen Jahren aufgenommene Tierschutz weitgehend folgenlos.

Kritiker sehen Gefahren in beiden Entwicklungen: Ein Satz im Grundgesetz, der keine fühlbaren Auswirkungen hat, führe zu einer Entwertung der Verfassung.

Die meisten Gutachter hielten es aber durchaus für möglich, dass die Rechtsprechung einem solchen Satz nach und nach doch Auswirkungen beimessen würde. Hufens Göttinger Kollege Christoph Möllers fürchtet, dass damit Gerichte statt politischer Entscheidungsträger über Stellenwert und Inhalt des Kulturbegriffs befinden würden. Zum Beispiel wenn ein Gemeinderat ein Theater schließen wolle, um eine Kindertagesstätte finanzieren zu können.

"Es wurde darauf hingewiesen, dass die Gemeinden viel weniger Geld für Kultur aufbringen als früher. Nun ist die Frage, wie reagiert man darauf? Ich finde, man muss darauf offensiv reagieren, indem man Politik macht und sagt Kultur ist wichtig, wir brauchen mehr Geld und wir müssen Mehrheiten dafür finden. Ich finde nicht, man kann hingehen und sagen, wir sind und stehen unter Sachzwang, wir haben keine andere Wahl, weil es steht im Grundgesetz. Das ist ein bisschen so die Folge einer Grundgesetzänderung. Politiker stehlen sich eigentlich aus ihrer Verantwortung für Kultur Argumente zu finden, Leuten Kultur plausibel zu machen, und einer Mehrheit klar zu machen, dass Kultur für alle wichtig ist, indem sie sagen: Steht im Grundgesetz und wir gucken mal, was die Gerichte davon übriglassen."

Mit der zusätzlichen Schwierigkeit, dass der Begriff der Kultur wenig Konturen aufweise und nicht bei Goethe oder Mozart ende.

"Wir haben eine Vielzahl von Kulturförderungen im Grundgesetz. Wir reden über Kunst, Wissenschaft, Arbeit, Erziehung und Schule, über Religion. Das sind alles Dinge, die zu einem Kulturbegriff gehören. In dem Moment, wo man Kultur im Grundgesetz festschreibt, relativiert man diese Dinge gegenüber einem allgemeinen Kulturbegriff und es wird einfach passieren, dass sich jeder auf diesen Kulturbegriff berufen kann, insbesondere Unternehmen: Unternehmenskultur, Konsumkultur, Popkultur - die Kommerzialisierung von Kultur, die durch die bisherigen Begrifflichkeiten im Grundgesetz ein Stück weit zurückgedrängt wurde, wird dadurch eigentlich verstetigt."

Der frühere Politiker und Münchner Verfassungsrechtsexperte Rupert Scholz sah darin zwar keine Schwierigkeit. Er betonte aber, mit Staatszielen in der Verfassung müsse man sehr vorsichtig umgehen. Die Gesellschaft müsse sich nicht vollständig in der Verfassung widerspiegeln. Die Kultur sei eine Voraussetzung des Staates und der Verfassung - regeln müsse man sie deshalb nicht. Wenn also die Kultur im Grundgesetz stehen sollte, müsse klar sein, dass es keine Staatskultur gebe, dass der Staat selbst kein Kulturschaffender, sondern kulturpolitisch neutral sei.

Vor allem von Rechtspolitikern kam die Frage nach der Rolle des Bundes in der Kultur. Immerhin habe man sich gerade bemüht, mit der Föderalismusreform die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern klarer zu verteilen. Kultur sei nun einmal Ländersache. Ein Staatsziel in der Bundesverfassung könnte da für Verwirrung sorgen.

Scholz verneinte das. Das Grundgesetz binde Länder und Gemeinden ebenso wie den Bund. Die Kultur in der Verfassung würde an der Kompetenzverteilung nichts ändern. Die Länder scheinen das aber zumindest in der Vergangenheit anders gesehen zu haben: Dass nach der Wiedervereinigung das Staatsziel Kultur nicht ins Grundgesetz kam, lag an den Ländern - aus Sorge um die eigenen Kompetenzen.

Der FDP-Antrag bezieht sich nur auf die Kultur. Der Rechtsausschuss diskutierte aber gleichzeitig über ein Staatsziel Sport. Der Generalsekretär des deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, schöpfte daraus Hoffnung. Am Rand der Ausschusssitzung sagte er:

"In vielen Gesprächen wurde klar, dass man die notwendige Mehrheit nicht alleine für die Kultur bekommen wird, aber möglicherweise im Doppelpack, Staatsziel Sport und sTaatsziel Kultur. Sicherlich gibt es einen Unterschied zwischen Kultur und Sport, auch was die Wertigkeit angeht, aber ich sage auch ganz klar: Es schadet dem Staatsziel Kultur überhaupt nicht, wenn es auch ein Staatsziel Sport gibt."

Dem konkreten Antrag misst Zimmermann derzeit gleichwohl keine großen Chancen bei. Schon weil er mit der FDP von der Opposition komme. Es sei dann aber Aufgabe der Regierungskoalition, sich des Themas anzunehmen. Allerdings müsste einer Verfassungsänderung auch der Bundesrat mit Zweidrittel-Mehrheit zustimmen - und damit letztlich doch wieder die Länder.