Warum Geiz überhaupt nicht geil ist

Rezensiert von Susanne Mack |
Wolllust, Völlerei und Hochmut - was nach altmodischen Urteilen der katholischen Kirche klingt, ist nach Ansicht von Heiko Ernst auch heute noch modern. Der Chefredakteur von "Psychologie heute" zeigt in seinem Buch "Wie der Teufel uns reitet", dass die sieben Todsünden ein zeitlos gültiger Katalog menschlicher Schwächen sind und als Handlungsanweisungen unsere Gesellschaft menschlicher machen können.
"Ich glaube an keinen Gott", das ist so ziemlich der erste Satz in diesem Buch. Der Autor hat zwar eine katholische Erziehung genossen, aber heute ist er ein gläubiger Atheist. Dennoch beschäftigt er sich mit den sieben Todsünden, da er sie für einen zeitlos gültigen Katalog allgemeiner menschlicher Schwächen und charakterloser Verhaltensweisen hält. Auf diese Weise beschädigen Menschen ihre eigene Seele und auch das menschliche Miteinander.

Das sind erstens der Hochmut (Arroganz, Überheblichkeit gegenüber anderen Menschen, auch anderen Völkern), zweitens: der Geiz, drittens: der Neid , viertens: der Zorn (nicht nur der gemeine Wutausbruch, auch Gewalttätigkeit in jeder Form), fünftens: die Wollust (seelenloser Sex) , sechstens: Völlerei (nicht nur beim Essen, sondern da ist die Raffgier gemeint, in allen ihren Spielarten) und schließlich die Trägheit (die Untätigkeit schlechthin, auch das Wegsehen, wenn andere Hilfe brauchen).

Das ist der klassische Sündenkatalog. Man muss weder an Gott noch an den Teufel glauben, schreibt der Autor, um festzustellen: Die Sünde lebt. Ein paar von den Todsünden sind inzwischen sogar zu gesellschaftlichen Ehren gekommen.

"Geiz ist geil!" - Unsere moderne Marktwirtschaft ist so beschaffen, schreibt der Autor, dass sie Verhaltensweisen, die früher zumindest als bedenklich galten, beklatscht und massenhaft fördert.

Den Hochmut zum Beispiel: "Weil ICH es mir wert bin". Und die Völlerei: "Weil es MIR zusteht", ist heute ein ganz normaler Standpunkt bei so manchem Sozialhilfeempfänger, der unberechtigt und ungeniert in die Staatskasse greift, genauso wie bei manchem Wirtschaftsboss, der genauso unberechtigt und genauso ungeniert die Firmenkasse plündert.

Heiko Ernst ist ein vollkommen unzeitgemäßer Denker, ein richtiger Moralist, nicht moralinsauer, aber mit einem klaren Standpunkt: Wo hört der Spaß auf und fängt die Todsünde an?

Der Autor meint, wenn unsere Gesellschaft menschlicher werden soll, dann möge sich jeder an die eigene Nase fassen und an seinem Charakter tatsächlich auch arbeiten. Denn die Beschaffenheit unserer Charaktere ist ein Phänomen von eminent politischer Relevanz.

Da mag jeder mit sich selbst ins Gericht gehen. Auf alle Fälle gibt es unzählige Beispiele von Charakterlosigkeit, schreibt Ernst, die man öffentlich besichtigen kann:

"Denken Sie an den Wettbetrug: Schiedsrichter Hoyzer bei Johannes B. Kerner, Hoyzer erklärt, dass er sich schämt, weil er Geld genommen hat fürs Falsch-Pfeiffen. Aber von echter Scham ist nichts zu spüren: Der smarte Hoyzer wirbt um Mitleid und Verständnis…"

Wer sich wirklich schämt, sagt Heiko Ernst, der geht nicht ins Fernsehen, eben, weil er sich schämt. Echte Scham und Wille zur Besserung sind dieser Gesellschaft abhanden gekommen. Das ist ihr eigentlicher Hochmut.

Das Buch liest sich wunderbar. Das ist Tiefgedachtes in einem flottem Feuilletonstil verfasst. Das gibt es in Deutschland nicht allzu oft: ein Lesevergnügen, das nachdenklich macht.

Heiko Ernst : Wie uns der Teufel reitet. Von der Aktualität der sieben Todsünden.
Ullstein Verlag 2006
272 Seiten. 18,00 Euro