Warum einer aus Glückstadt floh …

Von Petra Marchewka · 21.06.2013
Jimmy Ernst, der Sohn des berühmten Surrealisten Max Ernst, begann 1935 eine Lehre als Schriftsetzer in der Druckerei Augustin in Glückstadt. Von dort floh er aus Nazideutschland nach New York und wurde ein berühmter Maler. In Glückstadt blieb derweil die Druckerei fast unverändert erhalten.
Jürgen Bönig: "Jetzt gehen wir einfach die Treppe rauf ..."

Die Zeichen der Welt schlafen hinter rotem Backstein. In der alten Druckerei verwinkelte Gänge über Treppen aus Holz und Stein. In der Luft der Staub vergangener Epochen.

Jürgen Bönig: "… und dann begrüßen wir die Setzer hier, die erst mal gefegt haben und die Druckmaschine wieder in Gang gebracht haben."

Jürgen Bönig begeistert sich mit Leidenschaft für die Glückstädter Reste des Bleizeitalters.

"Sanskrit ist die Schublade hier, äthiopisch, das kennt man hier: griechisch, meroitisch, koptisch, also einige Sprachen, die noch gesprochen werden, javanisch ist da oben ..."

20 Jahre ist es her, dass der Wissenschaftler vom Hamburger "Museum der Arbeit" diesen Schatz in der ehemaligen Druckerei Augustin gehoben hat.

"Wir haben im Museum der Arbeit viel mit ehemaligen Buchdruckern zu tun, die bei uns arbeiten und das praktisch vorführen, und die haben alle erzählt, in ihrer Lehrzeit sind sie nach Glückstadt gefahren und haben die Fremdsprachensetzerei Augustin beguckt, weil das war was Besonderes. Das war das Berühmteste, was man in Norddeutschland haben konnte: Glückstadt, Augustin, Fremdsprachensetzerei."

Wie viele Betriebe war auch die Druckerei Augustin in den 70er-Jahren in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Fotosatz hatte den Bleisatz verdrängt. Neue Besitzer rüsteten technisch um und zogen in neue Räume. Die Reliquien der Bleizeit blieben einfach ungenutzt liegen, jahrzehntelang. Immerhin, freut sich Bönig, hat hier niemand, wie anderswo üblich, den Schrotthändler zum Abtransport bestellt.

"Jetzt kommen wir mal dahinten zu dem großen Kasten, da kann man sich vorstellen: arabische Schriftzeichen gibt es mehr, deshalb ist das ein sehr großer Setzkasten ..."

Der helle, weite Raum hat bodentiefe Fenster, von den Wänden bröckelt Putz. Grüne Stahlträger halten die Decke oben, lange Schrankfluchten voll alter Setzkästen sind von Neonröhren beschienen. Ein paar pensionierte Schriftsetzer und Buchdrucker vom Hamburger "Museum der Arbeit" basteln gerade an einem kleinen Gedichtband zu Ehren des berühmten Glückstädter Matjes.

Walter Fischer: "Das ist noch Handwerk, und Handwerk macht Spaß. Was hier an Schätzen rumliegt, das kann man gar nicht ermessen. Das ist unwahrscheinlich."

Im Sommer 1935 beginnt ein schüchterner, blonder Junge aus Köln genau hier, in der Glückstädter Druckerei Augustin in Schleswig-Holstein, seine Lehre zum Schriftsetzer.

Film "Zwiebelfische": "Das Handwerk, das ich lernte, war faszinierend ..."

Jimmy Ernst, Sohn des berühmten Surrealisten Max Ernst und der jüdischen Kunsthistorikerin Louise Straus, ist am 24. Juni 1935 gerade 15 Jahre alt geworden.

Film "Zwiebelfische": "... es war körperlich sehr anstrengend, neun Stunden lang vor den Setzkästen zu stehen und Bleitypen zu Texten zusammenzusetzen."

Beim Drucker Augustin, einem Freund der Familie, ist Jimmy vor den Nazis sicher und soll etwas fürs Leben lernen.

Film "Zwiebelfische": "Letter um Letter, Zeile auf Zeile. Lehrlinge durften sich nicht setzen, auch wenn es vorübergehend nichts zu tun gab."

Bau: "Die haben sich in Paris getroffen, Louise Straus und Augustin ..."

Von Köln ans Ende der Welt

Der Hamburger Filmemacher Christian Bau.

Bau: "... und es war klar, dass der Jimmy in Köln keine Lehrstelle fand, und dann der Augustin zu der Louise Straus, der Mutter von Jimmy Ernst, gesagt hat: Mensch, schick doch den Jungen einfach zu uns nach Glückstadt. Das ist am Ende der Welt und da wird der vielleicht was, lass ihn doch 'ne Lehre machen."

Christian Bau hat gemeinsam mit dem Künstler und Buchdrucker Artur Dieckhoff einen Film über Jimmys Glückstädter Jahre gedreht und ein Buch herausgebracht, mit Zitat-Passagen aus einer Jimmy Ernst-Autobiographie. "Zwiebelfische" haben die Hamburger Autoren Film und Buch genannt. "Zwiebelfische": So nennen Buchdrucker und Schriftsetzer einzelne, fälschlicherweise in einer anderen Schrift gedruckte Buchstaben in einem Text.

Bau: "Sein Gefühl, dass er fremd war, sich als ein Fremdkörper gefühlt hat, sich ausgestoßen gefühlt hat, deswegen war für uns der Begriff 'Zwiebelfische' auch, weil es ein Begriff aus der Druckerei ist, war es auch ein Begriff für uns für ihn in Glückstadt. Eigentlich wie ein Zwiebelfisch. Jemand, der falsch abgelegt ist, sich im falschen Fach befindet."

Jimmys Arbeitsplatz in der Druckerei Augustin ist der "chinesische Zirkel", neben- und übereinander gestapelte Setzkästen, angeordnet in Form eines Achtecks, bestückt mit chinesischen Schriftzeichen.

Film "Zwiebelfische": "Es war anspruchsvolle aber sehr befriedigende Arbeit, in einem Halbkreis von Setzkästen mit Tausenden chinesischer Schriftzeichen zu stehen, und genau die richtigen herauszupicken, unterteilt in geometrische Einheiten, genau nach Manuskript ..."

Als Heinrich Wilhelm Augustin 1912 die Anfrage erhalten hatte, ein Werk über "Ackerbau und Seidengewinnung in China" zu setzen, hatte er dafür 7200 chinesische Schriftzeichen beschafft. Als er dann aber 1926 das "Jahrbuch des Clubs chinesischer Studenten in Berlin" drucken soll, reichen die nicht mehr. Augustin besorgt weitere 12.000 Zeichen und erfindet, um sie alle unterbringen zu können, den chinesischen Zirkel.

Film "Zwiebelfische": "... das bedeutete, dass man jede einzelne Letter als ein ganz eigenes Bild betrachten musste. Einige Typen wurden für mich mehr als bloßes Handwerkszeug."

Die Zeichen sind je nach Aussehen verschiedenen Nummern zugeordnet, damit sie auch jemand wie Jimmy Ernst, der nicht chinesisch spricht, im Setzkasten finden und nach Druck wieder ins richtige Fach zurücklegen kann.

Berents: "Die Arbeit mit den Schriftzeichen, mit Hieroglyphen, mit chinesischen Lettern, das hat seine gesamte künstlerische Arbeit, seine Entwicklung später in New York beeinflusst ..."

Katharina Berents. Direktorin des Glückstädter Detlefsen-Museums.

Berents: "... es gibt eine ganze Reihe von Werken, die heißen zum Teil sogar 'hieroglyphic' oder 'Hieroglyphen', da kann man wirklich sehen, wie tief ihn diese Zeit hier beeindruckt hat."

Katharina Berents hat die Ausstellung "Zwiebelfische" in das Detlefsen-Museum von Glückstadt geholt. Noch bis September sind dort frühe Dokumente aus den Anfängen der Druckerei Augustin zu sehen, Originalmanuskripte und, als Herzstück, der chinesische Satzzirkel, Jimmys Arbeitsplatz.

Berents: "Es gibt eine hinreißende Fotografie von August Sander, wo er zusammen mit seiner Mutter Louise Straus zu sehen ist, da ist er zwölf Jahre, also, er war blond, vielleicht nicht ganz so blauäugig wie sein Vater, es war ein schmaler Mensch, ein sehr sensibler Mensch, und er hat eben auch, weil er eben so sensibel war, in der Natur wahrscheinlich auch Künstler war, hier sehr gelitten."

Bönig: "Diese Art der Bilder, die er macht, zeigt auch, dass er sehr genau ist und sehr präzise, und das hängt sicher auch damit zusammen, dass er dieses Schriftsetzerhandwerk gelernt hat."

Jürgen Bönig. Hamburger "Museum der Arbeit".

"... und man muss sich vorstellen: Aus einem Vorrat von 20.000 Zeichen soll ich jetzt ein chinesisches Zeichen erkennen an seiner Strichfolge und seiner Anordnung, das bewirkt genaues Hingucken."

Jimmys Eltern hatten sich früh getrennt: Der Surrealist Max Ernst lebte bereits seit 1922 in Paris, Louise Straus flüchtete 1933 dorthin, nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten. Scheidungskind Jimmy wuchs bei den Großeltern auf, mal bei der traditionell jüdischen Familie mütterlicherseits, mal bei der katholischen Familie des Vaters in Brühl.

Bau: "Das Verhältnis zu seinem Vater ..."

Der Filmemacher Christian Bau.

"... das hat ihn, glaube ich, bis ans Ende so geprägt, dass man wahrscheinlich nicht sagen kann, dass er wirklich glücklich war."

Auch später, als Jimmy längst als Maler in New York lebt, wird sich der berühmte Vater Max Ernst nicht sonderlich für Jimmys Kunst interessieren.

Bau: "Ich meine, der Max Ernst war dermaßen stark und kräftig und gutaussehend und charmant, ein unglaublicher Kerl, wenn du von so jemandem abgelehnt wirst oder glaubst, abgelehnt zu werden oder nicht akzeptiert zu werden, das ist, glaube ich, wirklich hart."

Jimmy Ernst, ein Zwiebelfisch. Auch innerhalb der eigenen Familie.

Ein Junge, dessen Mutter Jüdin ist, hat im Glückstadt der Nationalsozialisten keine Chance – es sei denn, er steht unter dem Schutz des mächtigen Druckereibesitzers. Heinrich Wilhelm Augustin, der vielleicht einflussreichste Glückstädter, beschäftigt in seiner Druckerei 138 Mitarbeiter und hat einen Monopolvertrag mit Hitlers Marine. Einerseits druckt er den Faschisten sämtliche Kriegsformulare, andererseits ist er offen für fremde Völker und Kulturen. Für Jimmy Ernst legt Augustin in Glückstadt immer wieder ein gutes Wort ein, wie der sich später in seiner Autobiografie erinnert.

Film "Zwiebelfische": "Eine Unterkunft zu finden, blieb eigentlich ein ständiges Problem. Wiederholt machten die Augustins ihren Einfluss geltend, um Hausbesitzer zu überreden, mich aufzunehmen, aber früher oder später kam irgendwer von der Partei oder den Behörden und erreichte, dass dieser Halbjude hinausgeworfen wurde."

Augustins eigener Sohn Johannes Jacob war 1932 in die Firma eingetreten und 1936 wegen seiner Homosexualität über Frankreich in die USA geflohen. Sein Vater Heinrich Wilhelm gilt zwar als deutschnational, ist aber zu intelligent und mit anderen Kulturen zu sehr vertraut, um ein Antisemit zu sein. Das belegt die Hinterlassenschaft der Druckerei bis heute.

Film "Zwiebelfische": "Am Interessantesten war, dass sie auch Bücher und Schriften vieler bekannter amerikanischer Anthropologen für den Vertrieb in den Vereinigten Staaten druckte und herausgab. Damals erkannte ich noch nicht die Ironie, dass die Schriften dieser Gelehrten sämtliche Rassetheorien der Nazis wissenschaftlich widerlegten. Und dass sie über dieselben Druckerpressen liefen, die auch Anforderungsformulare für Munition, diverse technische Gebrauchsanweisungen oder Instruktionen zum Gebrauch von Gasmasken für Hitlers Marine produzierten."

Jimmy Ernst vertieft sich ganz und gar in seine Arbeit, schottet sich ab von der Welt, innerlich und äußerlich. Der Filmemacher Christian Bau.

Bau: "Der war sicher unglücklich da in Glückstadt, dieser Jimmy, weil der kam da mit 15 hin, und wenn man auch diese Stadt heute sieht, ich meine, die ist ja nicht sehr einladend. Im Mai vielleicht, wenn man hinkommt und das Wetter ist schön und der Matjes schmeckt, aber sonst ... ich weiß es nicht."

Es regnet in Glückstadt. Stadtführerin Annett Kauz lotst die Gäste dennoch durch ihre Stadt.

Anett Kauz: "Wir gehen jetzt zum Marktplatz, zum historischen Zentrum von Glückstadt, da befindet sich das alte Rathaus und die Stadtkirche, also mit die ältesten Gebäude der Stadt."

In Glückstadt hat man schnell den Überblick.

Anett Kauz: "... man kann von hier aus, wenn man im Zentrum des Marktplatzes steht, auch sehr schön den besonderen Grundriss von Glückstadt sehen."

Dass Jimmy Ernst in Glückstadt vor den Nationalsozialisten versteckt wurde, hat sie auch erst kürzlich aus dem Museum erfahren. Eine Gedenktafel, die an seine traurige Existenz hier erinnert, vielleicht ein Stolperstein im Glückstädter Trottoir: So was gibt es hier nicht. Aber links an der Außenmauer der Stadtkirche ist ein Anker befestigt. Den haben wackere Glückstädter 1630 einem hamburgischen Kriegsschiff abgetrotzt, erzählt Sandra Kirbis von der Touristinformation.

Sandra Kirbis: "Die Glückstädter waren damals sehr stolz, denn sie haben diese Schlacht geschlagen, und der Anker hängt noch heute zur Erinnerung an der Kirche."

Christian IV., Glückstadts wichtigster Däne, König und Stadtgründer, hatte mit dieser Ansiedlung an der Elbe eine Konkurrenz zu Hamburg errichten wollen. "Dat schall glücken und dat mutt glücken, und denn schall se ok Glückstadt heten" – so oder so ähnlich soll er sich ausgedrückt haben.

Bönig: "Diese Stadt ist ja gegründet worden 1617 als eine nordische Hauptstadt von Christian IV. und hatte große Absichten, die Welt zu verändern, Toleranz zu pflegen."

Jürgen Bönig vom Hamburger "Museum der Arbeit".

Bönig: "... das ist dann nicht so richtig gelungen, und dann versandet der Hafen, und dann muss man sich vorstellen, dass um 1900 sicher die Frustration darüber, dass das alles nicht so ausgegangen ist, vorhanden war."

Der Traum von der Weltstadt: dahin.

Bönig: "Und dann kommt so ein verrückter Mensch wie Heinrich Wilhelm Augustin und sagt: Ich bringe Euch die ganze Welt in Zeichen wieder. Und das war natürlich ein erstaunlicher Vorgang, den auch alle Glückstädter Bürger sicher wahrgenommen haben."

Die Glückstädter Aufgeschlossenheit gegenüber den Völkern der Welt endet im Faschismus.

Berents: "Was ich so als diejenige, die Einblick in die Archive hier hat – ich bin unter anderem Archivleiterin der Stadt Glückstadt – kann ich schon sagen, dass Glückstadt ziemlich bald schon sehr auf der Seite der Nationalsozialisten war, dass es also viele Deutschnationale gab und sehr viele Hitleranhänger."

Unter der Obhut von Heinrich Wilhelm Augustin

Katharina Berents.
Berents: "... und insofern war das eine schwierige Wahl, 1935 nach Glückstadt zu kommen, um als Halbjude eine Ausbildung zu machen. Das ging wirklich nur unter der Obhut von Heinrich Wilhelm Augustin, nech."

Die Direktorin des Detlefsen-Museums ist selbst keine Glückstädterin. Das werde man auch nicht so leicht, sagt sie.

Berents: "Weil man immer zugezogen bleibt. Also dieses Gefühl des Fremden, das kann ich, wenn es jetzt wieder um die Person Jimmy Ernst geht, ganz gut nachvollziehen. Aber er hatte natürlich eine besonders schwere Situation, weil er im Grunde politisch schon nicht mehr geduldet war, weil wenn dann bekannt wurde, dass er sogenannter Halbjude war, dann wollte man ihn nicht mehr haben, und so hat er dann gelegentlich auch in den Hotels hier gewohnt, wir wissen, dass er auch im Hotel Raumann übernachtet hat, und dort haben wir ein Zimmer zu seinem Gedenken eingerichtet. Ein Schriftsetzerzimmer. Da kann man dann als Gast etwas von Jimmy Ernst erfahren."

Bau: "Es war schwer. Wir haben ja recherchiert in Glückstadt zu Jimmy Ernst, haben alles mögliche probiert, rauszukriegen, ob's noch Leute gibt, die sich an ihn erinnern, Arbeitskollegen oder Leute, bei denen er gewohnt hat oder so ..."

Der Filmemacher Christian Bau.

Bau: "... aber wir haben nicht einen einzigen Menschen getroffen, wir haben das über die Zeitung probiert, über Mundpropaganda, aufzurufen, dass sich Leute bei uns melden, aber kein Mensch."

Es wird immer schwieriger für Jimmy Ernst in Glückstadt. Und auch Heinrich Wilhelm Augustin muss immer größerem Druck der Nationalsozialisten standhalten, erinnert sich Jimmy Ernst in seiner Autobiographie.

Film "Zwiebelfische": "Ein paar örtliche Nazigrößen hatten gedroht, Heinrich Augustins Verträge mit der Marine zu lösen, wenn er mich nicht aus der Lehre entließe. Er weigerte sich."

Jimmy Ernst nimmt auf Anraten Augustins Verbindung zum amerikanischen Konsulat auf und bereitet seine Emigration in die USA vor.

Film "Zwiebelfische": "Ein paar Tage später hatte ich eine Verabredung bei der United States Lines in Hamburg. Ich werde Sie für den 3. Juni ab Le Havre eintragen. Die Manhattan ist ein schönes Schiff. Gute Reise."

Augustins Sohn hatte mittlerweile eine Dependance in New York eröffnet und besorgt die notwendigen Bürgschaften für ein amerikanisches Visum.

Film "Zwiebelfische": "Ich glaube, Heinrich Augustin hatte Tränen in den Augen, als er einen Scheck für die Schiffspassage ausschrieb. Doch dann meinte er: Und jetzt an die Arbeit. Du bist immer noch Lehrling hier."

Heinrich Wilhelm Augustin stirbt 1938 an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Lou Straus-Ernst, Jimmys Mutter, wird am 30. Juni 1944 nach Auschwitz deportiert. Max Ernst, sein Vater, stirbt 1976 in Paris. Jimmy Ernst selbst lebt und arbeitet als Künstler in New York, mit seiner Frau und zwei Kindern, wo er im Februar 1984 stirbt.

Film "Zwiebelfische": "Ich warf keinen langen Abschiedsblick auf mein Zimmer in Glückstadt. Nicht einmal auf Glückstadt selber, als der Augustinwagen mich und mein Gepäck zu dem kleinen Bahnhof brachte ..."

Der Bahnhof. Hier hatten Jimmy Ernsts Glückstädter Jahre begonnen. Und hier endeten
sie auch, im Mai 1938.

Film "Zwiebelfische": "...die Landschaft und die Städte meines Geburtslandes flogen an mir vorüber. Ob meiner Geburt war ich ein Fremder geworden. Aber ich flüchtete nicht in ein Exil. Vielleicht fuhr ich nach Hause."

Heute wirkt der Bahnhof von Glückstadt weder einladend noch anheimelnd. Ein Restaurant, geschlossen. Ein Wärterhäuschen, leer. Wer trotzdem aussteigt vertraut wohl darauf, dass hinter den Gleisen alles besser wird. Ein Glückstädter Museum rund um die Buchdruckkunst könnte dazu beitragen und helfen, die Erinnerung an die Druckerei Augustin und an Jimmy Ernst zu bewahren. Ein Konzept liegt in der Schublade, bis jetzt fehlt das Geld. Jürgen Bönig, Hamburger "Museum der Arbeit".

Bönig: "Die Welt wird verschieden erlebt, wir beschreiben sie verschieden, wir betexten sie verschieden, und wir müssen uns der Unterschiedlichkeit bewusst werden, wenn wir das übersetzen, und der Gewohnheiten, die sich darin ausdrücken. Das ist glaube ich das, was ein solches Museum 'Zeichen der Welt', 'Sichten der Welt' ausdrücken kann."

Jimmy Ernst wollte Glückstadt nie wiedersehen. Auch die deutsche Sprache hat er nie mehr gesprochen.

Bönig: "Er war ein Zwiebelfisch, er gehörte nicht in diese Gesellschaft, die haben ihn schlecht behandelt, sie haben ihn weghaben wollen, sie haben ihn beschimpft. Hatte keinen Grund zu sagen, Glückstadt, das mich nicht wollte, das mich vertrieben hat, ans Herz zu drücken. Aber der Inhalt, die verschiedenen Zeichen der Welt, die Unterschiedlichkeit, wie ich ein bedeutungsvolles Zeichen machen kann, das hat sein ganzes Leben weiter beeinflusst."