Warum "Die Räuber" doch ein gutes Stück ist
Angesichts der Bücherflut zum Thema Schiller im Jubiläumsjahr 2005 könnte man glauben, zum Dichter ist längst alles gesagt. Doch die eigentlichen Werke des Dichters finden trotz Jubelarien heute wenig Beachtung. Nicht so in Norbert Oellers Schiller-Buch: er liefert eine detaillierte und kompetente Auseinandersetzung und Analyse der Werke des Klassikers.
Es hat eben doch etwas zu bedeuten, wenn man ein "Klassiker" ist. Mögen die Dramen Büchners oder Kleists mehr Einblick in die zweifelhaften, düsteren Aspekte des Menschenlebens geben und dem heutigen Bewusstsein aus diesem Grund näher stehen, mögen uns die Gedichte Hölderlins heute eher der Inbegriff großer Lyrik sein als die oft etwas klappernden, sentenzenhaften Verse seines Vorbilds – kein anderer Autor, selbst Goethe nicht, wird dermaßen zum Anlass offizieller Feierlichkeit wie Schiller.
Es handelt sich längst nicht nur um einen Autor und seine Werke, sondern vor allem um eine unvergleichliche Wirkungsgeschichte von mehr als zwei Jahrhunderten, die auch uns noch in Zugzwang setzt.
So wird allerorten die Brisanz Schillers versichert. Und brisant erscheint im Jubiläumsjahr 2005 offenbar vor allem das Leben Schillers. "Den Dichter Schiller kennt man, der Mensch Schiller ist es, den es zu entdecken gilt", konnte man kürzlich in einer Buchankündigung lesen. Aber fällt inzwischen nicht gerade das Gegenteil ins Auge? Viel wird im Schillerjahr über den "Menschen" geschrieben; neben umfangreichen Biographien (in der Pole Position Rüdiger Safranski und Sigrid Damm) erscheinen zahlreiche Bücher, die sich einzelne, bisher mehr oder weniger vernachlässigte Aspekte des Schillerlebens vornehmen und zum Beispiel mit der Entdeckung aufwarten, dass der nachmals "unerschütterlich treue Ehemann" Schiller zuvor ein "leicht entflammbarer Liebhaber" gewesen sei.
Von den Werken Schillers ist dagegen vergleichsweise wenig die Rede. Eine Renaissance dieses Autors ist, allem Medien- und Veranstaltungsspektakel zum Trotz, nicht in Sicht. Für sein dramatisches Hauptwerk, die "Wallenstein"-Trilogie, interessiert sich auch im Jahr 2005 offenbar keine einzige bundesdeutsche Bühne.
Und wie sieht es mit den Neuerscheinungen auf dem Büchermarkt aus? Die einzige fundierte Gesamtdarstellung der Werke, die das Schiller-Jahr bringt, ist das Buch des renommierten Schiller-Experten Norbert Oellers mit dem Untertitel: "Elend der Geschichte. Glanz der Kunst". Wer mit manchen aktualisierenden Formeln Safranskis (Schiller als "Sartre des 18. Jahrhunderts") wenig anfangen kann, findet hier solide Information in historisierender Einbettung.
An deutlichen Thesen mangelt es dabei keineswegs: Dem klischeehaften Freiheitspathos und den überlieferten Vorurteilen – Schiller als "Moraltrompeter" (Nietzsche) oder "flacher Optimist" (Schopenhauer) – stellt Oellers den Geschichtspessimismus des Dramatikers und Theoretikers entgegen. Schillers Theaterstücke seien durchwirkt von Skepsis und führten geradezu den Beweis, dass sich moralische Freiheit und geschichtliches Handeln ausschließen. Nicht ohne Grund habe Hegel den "Wallenstein" als "Reich des Nichts und des Todes" bezeichnet.
Norbert Oellers ist seit 1978 Herausgeber der Schiller-Nationalausgabe – die Gefahr, dass da einer, der sich sein Leben lang mit Schiller beschäftigt hat, für zehn weitere Spezialisten schreibt, liegt nahe und wird doch glücklich vermieden. Oellers unverschnörkelte, gut lesbare Darstellung richtet sich nicht an Forscherkollegen, sondern an ein breites Publikum von Interessierten.
Auf achtzig Seiten wird zunächst Schillers Lebensgeschichte abgehandelt; die folgenden vierhundert widmen sich den Werkgattungen: der Lyrik, den philosophischen Schriften, den Erzählungen und, vor allem und am ausgiebigsten, den Dramen. Der Inhalt der Stücke wird pointiert zusammengefasst, ihr theoretischer und historischer Hintergrund knapp ausgeleuchtet.
Oellers ist durchaus nicht jede Zeile des Dichters heilig. Immer wieder stellt er die Werke auf den Prüfstand. Gelegentlich kommt er dann zu dem Schluss, dass dieses Gedicht oder jene Dramenszene nicht geglückt seien. Freimütig bekennt er, dass er "Maria Stuart", jenes musterhaft-klassische Exempeldrama des Deutschunterrichts, schwächer als andere Stücke findet, oder erörtert inhaltlich problematische Aspekte wie den Tyrannenmord durch den Einzeltäter Wilhelm Tell.
Dafür wirkt es dann umso überzeugender, wenn er Stärken hervorhebt und Geglücktes lobt, etwa das Langgedicht "Der Spaziergang". Oellers weiß eine entschiedene Antwort auf die Frage, warum die "Räuber" ein gutes Stück sind, obwohl sie doch, hinsichtlich Dramaturgie und Psychologie, eine "Unmöglichkeit" an die andere reihen.
Zur Historisierung gehört, dass Oellers ein viel geschmähtes Gedicht wie das "Lied von der Glocke" vor dem Hintergrund der fundamentalen Verunsicherung aller Verhältnisse durch die Französische Revolution und die nachfolgenden Kriegswirren liest. So erscheint das biedersinnige Preislied auf Bürgertugenden, die schon um 1800 stark gefährdet waren, in ganz anderem, unruhig flackerndem Licht.
Höhepunkt ist für Oellers der "Wallenstein" – die Tragödie des Idealismus, wie er in Max Piccolomini verkörpert wird; das Drama der "alles zermalmenden Geschichte". In Überlebensgröße zeige die Figur des Wallenstein, wie die Autonomie des handelnden Individuums in der anbrechenden Moderne zerfalle – auch heute noch ein brisantes Thema. Mit unprätentiöser Gelehrsamkeit widerspricht dieses Buch dem Eindruck, den man sonst angesichts der biographischen Bücherflut des Schillerjahrs haben könnte: dass Schiller sogar seine eigenen Werke überlebt hat.
Es handelt sich längst nicht nur um einen Autor und seine Werke, sondern vor allem um eine unvergleichliche Wirkungsgeschichte von mehr als zwei Jahrhunderten, die auch uns noch in Zugzwang setzt.
So wird allerorten die Brisanz Schillers versichert. Und brisant erscheint im Jubiläumsjahr 2005 offenbar vor allem das Leben Schillers. "Den Dichter Schiller kennt man, der Mensch Schiller ist es, den es zu entdecken gilt", konnte man kürzlich in einer Buchankündigung lesen. Aber fällt inzwischen nicht gerade das Gegenteil ins Auge? Viel wird im Schillerjahr über den "Menschen" geschrieben; neben umfangreichen Biographien (in der Pole Position Rüdiger Safranski und Sigrid Damm) erscheinen zahlreiche Bücher, die sich einzelne, bisher mehr oder weniger vernachlässigte Aspekte des Schillerlebens vornehmen und zum Beispiel mit der Entdeckung aufwarten, dass der nachmals "unerschütterlich treue Ehemann" Schiller zuvor ein "leicht entflammbarer Liebhaber" gewesen sei.
Von den Werken Schillers ist dagegen vergleichsweise wenig die Rede. Eine Renaissance dieses Autors ist, allem Medien- und Veranstaltungsspektakel zum Trotz, nicht in Sicht. Für sein dramatisches Hauptwerk, die "Wallenstein"-Trilogie, interessiert sich auch im Jahr 2005 offenbar keine einzige bundesdeutsche Bühne.
Und wie sieht es mit den Neuerscheinungen auf dem Büchermarkt aus? Die einzige fundierte Gesamtdarstellung der Werke, die das Schiller-Jahr bringt, ist das Buch des renommierten Schiller-Experten Norbert Oellers mit dem Untertitel: "Elend der Geschichte. Glanz der Kunst". Wer mit manchen aktualisierenden Formeln Safranskis (Schiller als "Sartre des 18. Jahrhunderts") wenig anfangen kann, findet hier solide Information in historisierender Einbettung.
An deutlichen Thesen mangelt es dabei keineswegs: Dem klischeehaften Freiheitspathos und den überlieferten Vorurteilen – Schiller als "Moraltrompeter" (Nietzsche) oder "flacher Optimist" (Schopenhauer) – stellt Oellers den Geschichtspessimismus des Dramatikers und Theoretikers entgegen. Schillers Theaterstücke seien durchwirkt von Skepsis und führten geradezu den Beweis, dass sich moralische Freiheit und geschichtliches Handeln ausschließen. Nicht ohne Grund habe Hegel den "Wallenstein" als "Reich des Nichts und des Todes" bezeichnet.
Norbert Oellers ist seit 1978 Herausgeber der Schiller-Nationalausgabe – die Gefahr, dass da einer, der sich sein Leben lang mit Schiller beschäftigt hat, für zehn weitere Spezialisten schreibt, liegt nahe und wird doch glücklich vermieden. Oellers unverschnörkelte, gut lesbare Darstellung richtet sich nicht an Forscherkollegen, sondern an ein breites Publikum von Interessierten.
Auf achtzig Seiten wird zunächst Schillers Lebensgeschichte abgehandelt; die folgenden vierhundert widmen sich den Werkgattungen: der Lyrik, den philosophischen Schriften, den Erzählungen und, vor allem und am ausgiebigsten, den Dramen. Der Inhalt der Stücke wird pointiert zusammengefasst, ihr theoretischer und historischer Hintergrund knapp ausgeleuchtet.
Oellers ist durchaus nicht jede Zeile des Dichters heilig. Immer wieder stellt er die Werke auf den Prüfstand. Gelegentlich kommt er dann zu dem Schluss, dass dieses Gedicht oder jene Dramenszene nicht geglückt seien. Freimütig bekennt er, dass er "Maria Stuart", jenes musterhaft-klassische Exempeldrama des Deutschunterrichts, schwächer als andere Stücke findet, oder erörtert inhaltlich problematische Aspekte wie den Tyrannenmord durch den Einzeltäter Wilhelm Tell.
Dafür wirkt es dann umso überzeugender, wenn er Stärken hervorhebt und Geglücktes lobt, etwa das Langgedicht "Der Spaziergang". Oellers weiß eine entschiedene Antwort auf die Frage, warum die "Räuber" ein gutes Stück sind, obwohl sie doch, hinsichtlich Dramaturgie und Psychologie, eine "Unmöglichkeit" an die andere reihen.
Zur Historisierung gehört, dass Oellers ein viel geschmähtes Gedicht wie das "Lied von der Glocke" vor dem Hintergrund der fundamentalen Verunsicherung aller Verhältnisse durch die Französische Revolution und die nachfolgenden Kriegswirren liest. So erscheint das biedersinnige Preislied auf Bürgertugenden, die schon um 1800 stark gefährdet waren, in ganz anderem, unruhig flackerndem Licht.
Höhepunkt ist für Oellers der "Wallenstein" – die Tragödie des Idealismus, wie er in Max Piccolomini verkörpert wird; das Drama der "alles zermalmenden Geschichte". In Überlebensgröße zeige die Figur des Wallenstein, wie die Autonomie des handelnden Individuums in der anbrechenden Moderne zerfalle – auch heute noch ein brisantes Thema. Mit unprätentiöser Gelehrsamkeit widerspricht dieses Buch dem Eindruck, den man sonst angesichts der biographischen Bücherflut des Schillerjahrs haben könnte: dass Schiller sogar seine eigenen Werke überlebt hat.