Warum die Buchmesse auch große Politik ist

Von Kolja Mensing · 08.10.2013
Zwischen E-Books und Internethandel: In Frankfurt ist die Buchmesse eröffnet worden. Rund 7300 Aussteller aus mehr als 100 Ländern präsentieren ihre Neuerscheinungen. Gastland ist in diesem Jahr Brasilien. Und es geht auch um Politik.
So lauter Beifall ist selten auf einer Eröffnungsfeier der Buchmesse: Er gilt dem brasilianischen Schriftsteller Luiz Ruffato, der eine mitreißende - und zugleich ziemlich wütende Rede gehalten hat: Ruffato prangert die krassen politischen und sozialen Missstände in seinem Heimatland an: Brasilien, sagt er, das sei eben nicht nur Karneval, Capoeira und Fußball, sondern auch Armut, Kinderprostitution - und systematische Missachtung von Menschenrechten. Und was sagt der deutsche Außenminister?

Westerwelle: "Rein geografisch sind Brasilien und Deutschland weit voneinander entfernt ..."

Mit diesen Worten meldet sich Guido Westerwelle - der Gerade-noch-Außenminister der Bundesrepublik in Frankfurt zu Wort – und erklärt fröhlich:

"... wenn es aber um Werte geht, sind wir nächste Nachbarn."

Das ist natürlich ein Schlag ins Gesicht - nicht nur für Luiz Ruffato, sondern für alle Brasilianer, die seit Monaten in den Städten auf die Straße gehen, um für ein besseres, ein würdigeres Leben zu kämpfen. Doch Guido Westerwelle geht es bei seinem Auftritt während der Eröffnungsfeier um etwas anderes: Er sucht demonstrativ die Nähe zur aufstrebenden Macht Brasilien, wirbt für noch engere wirtschaftliche Zusammenarbeit - und schmeichelt den anwesenden brasilianischen Politikern mit der Forderung, Lateinamerika, ja vielleicht sogar Brasilien zu einem Platz im Sicherheitsrat der Vereinten Nation zu verhelfen. Die Frankfurter Buchmesse – das ist eben auch immer große Politik. Das weiß natürlich auch Gottfried Honnefelder, der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.

Honnefelder: "Wie jede Kultur braucht auch die Kultur des Wissens Wertschätzung und Schutz."

So hebt Honnefelder im gewohnt pastoralen Tonfall an - und ermahnt ex cathedra die deutschen Politiker, die Kultur vor den teuflischen Versuchungen des freien Marktes zu beschützen.

Diskussion über die Buchpreisbindung
Honnefelder: "In der Buchkultur wurde dazu unter anderem das Instrument der Buchpreisbindung geschaffen. Wird sie im Rahmen der anstehenden Freihandelsverhandlungen der EU-Kommission mit den Vereinigten Staaten auf Drängen der großen Internetanbieter wie Amazon, Apple oder Google geopfert werden, steht die anonyme, ganz und gar manipulierbare Macht des Geldes über den Geist an. Das Ende der stationären Buchhandlung wäre eingeläutet."

Die Buchpreisbindung darf nicht fallen - das ist Honnefelders Credo, mit dem er sich in diesen Tagen übrigens aus seinem Amt verabschiedet: Nach langen Jahren wird er gleich nach der Buchmesse nun den Posten des Vorstehers des Börsenvereins abgeben - an seinen Nachfolger, den Tübinger Buchhändler Heinrich Riethmüller. Aber vorher malt er halt noch einmal so richtig den Teufel an die Wand und warnt vor dem digitalen Tanz ums Goldene Kalb:

Honnefelder: "Akteure wie Google, Amazon und Co. sind an Inhalten nur so weit interessiert, als sie ihrem Geschäft als Werbeträger nützen. Jeder Kartellgesetzgebung spottend haben sie den Markt so okkupiert, dass jene Vielfalt und Binnenkonkurrenz kaum noch vorhanden ist, die den Markt zum Instrument der freien Entfaltung des Menschen und seiner Ziele macht."

Aber: Ob die Politik überhaupt noch in der Lage ist, einen Schutzzaun um vermeintlich engagierte Verlage und ach-so-ambitionierte Buchhandlungen zu ziehen? Und: Ob die Politik das überhaupt will? Peter Feldmann - SPD - und Oberbürgermeister von Frankfurt ist durchaus vorsichtig in seinen Formulierungen, wenn es darum geht, Kulturakteure unter Artenschutz zu stellen:

Feldmann: "Wir müssen uns unterhalten über die Frage, wie stark die Politik die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit bestimmen soll oder auch noch bestimmen kann."

Und Volker Bouffier, Ministerpräsident von Hessen - und dazu ein CDU-Mann - sagt zum Thema "Freihandelsabkommen und Buchpreisbindung" sehr deutlich:

"Die Politik im weitesten Sinne kann eine Entwicklung nicht zum Ende führen oder sie einfach abstoppen, weil sie Risiken beinhaltet. Wir können und müssen schützen, wir müssen helfen, aber die Herausforderung, zum Positiven zu verändern, das ist erst einmal Aufgabe der Branche selbst!"

Und dazu hat die Branche jetzt tatsächlich Gelegenheit: Die Frankfurter Buchmesse hat sich in den letzten Jahren verändert - hier werden nicht nur Lizenzen verkauft, hier wird auch mit Ideen gehandelt. Über 150 Start-Ups, die nach besseren Lösungen für elektronisches Publizieren oder digitales Lesen suchen, werden sich hier in den nächsten Tagen vorstellen.

Und darunter übrigens auch das junge brasilianische Unternehmen "Widbook", das Leser und Schriftsteller auf einer Social-Reading-Plattform zusammenbringen will. Literatur für alle, das könnte zumindest ein kleiner Hoffnungsschimmer sein – auch das hatte Luiz Ruffato in seiner Rede hier in Frankfurt deutlich gemacht.


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