Warten bis der Arzt kommt

Gäste: Dr. Carsten Gieseking, Allgemeinmediziner und Landarzt und Wolfram–Arnim Candidus, Präsident der Deutschen Gesellschaft für versicherte und Patienten |
Der Landarzt: In Fernsehserien wird er romantisiert, im wahren Leben stirbt er aus. Bundesweit wollen sich immer weniger Ärzte in den ländlichen Regionen niederlassen. 60 Prozent der Hausärzte sind 50 Jahre oder älter, 20 Prozent stehen kurz vor dem Ruhestand, viele finden keinen Nachfolger für ihre Praxis.
Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler will dem Ärztemangel mit erleichterten Studienbedingungen beikommen. Unter anderem mit der Abschaffung des Numerus Clausus für das Medizinstudium und einer "Landarzt-Quote": Bewerber, die sich bereit erklären, in unterversorgte Regionen zu gehen, sollen bei der Studienplatzvergabe bevorzugt werden.

"Wir haben genügend Ärzte, aber wir verteilen sie falsch und wir beschäftigen sie mit den falschen Dingen", sagt Wolfram-Arnim Candidus. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten kennt das Gesundheitssystem seit mehr als vier Jahrzehnten. Er lebt in Heidelberg, "dort wird man von Ärzten gejagt. Der Odenwald dagegen trocknet aus, was die Ärzte anbetrifft."

Er plädiert für eine klare Bedarfsanalyse, wie viele und welche Art von Ärzten wo nötig sind.

"In Städten wie Frankfurt kann man klar ermitteln, wie viele Leute können herzkrank werden, wie viele benötigen eine neue Hüfte? Und dann kann man prozentual festlegen, welchen Bedarf man an Fachärzten hat."

Für ländliche Regionen schlägt er ein "Medizinmobil" vor, einen Bus, der die Dörfer anfährt und in dem Ärzte sitzen, die die Wehwehchen der Bewohner analysieren können. Dieser Bus könne gleichzeitig auch Pflege- und Altenheime anfahren.

Mithilfe der Telemedizin könne die Nachsorge einer Operation per Bildschirm auch vom Hausarzt auf dem Land erledigt werden kann. Das spare Kosten, stärke die Hausärzte und erspare den Patienten lange Wege.

Wie kann man dem Stadt-Land-Gefälle bei den Ärzten entgegenwirken?
Diese Frage beschäftigt auch Dr. Carsten Gieseking. Der Allgemeinmediziner hat seine Landarztpraxis 1992 im niedersächsischen Mülden eröffnet.

Er ist einer von drei Ärzten – für 5800 Einwohner. Im Vergleich: In einer durchschnittlichen niedersächsischen Stadt kommt ein Arzt auf 240 potentielle Patienten. Die Reformvorschläge des Gesundheitsministers sieht er kritisch:

"Bewerber gibt es zur genüge. Wenn, dann muss man den ärztlichen Beruf hier attraktiver machen. Viele gehen ins Ausland oder in die Wirtschaft. Was den NC anbetrifft: Ich finde es von der Idee her absolut gescheit, aber relativ unpraktikabel."

Wer solle denn die Qualifikation eines Bewerbers abschätzen? Seine Forderung:

"Man muss den Hausarztberuf attraktiver machen, und es muss zu einer Entbürokratisierung kommen. Und der Beruf muss finanziell attraktiver werden. Solange ein Kardiologe mehr verdient, als ein Hausarzt, werden sich kaum Ärzte dafür entschließen."
Außerdem müssten Medizinstudenten mehr Einblick in die Allgemeinmedizin bekommen - bei den jungen Ärzten gebe es zu viel Unwissenheit und Vorbehalte. Er selbst sucht seit einem halben Jahr nach einem dritten Kollegen – bislang ohne Erfolg.

Der 48-jährige Vater von drei Kindern ist mit Leib und Seele Landarzt:

"Weil der Beruf befriedigend ist, wenn man es mag, den Nachbarn und den Hund des Nachbarn zu kennen. Mir macht es Spaß, das Umfeld meiner Patienten zu kennen. Mich grüßt jeder, mich kennt jeder, man ist mittendrin."


Warten bis der Arzt kommt – Mangelware Landarzt – darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit Dr. Carsten Gieseking und Wolfram-Arnim Candidus. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 / 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Informationen im Internet:
Über Dr. Carsten Gieseking
Über die Deutsche Gesellschaft für Versicherte und Patienten (DGVP)