Warten auf die Rehabilitierung

Fast 60 Jahre mussten nach dem Zweiten Weltkrieg vergehen, bis alle Wehrmachtsdeserteure per Gesetz rehabilitiert wurden. Eine vergleichbare Regelung für diejenigen, die Kriegsverrat beginnen, wurde bislang nicht erlassen. Zwei Neuerscheinungen befassen sich mit den Themen Wehrmachtsdeserteure und Kriegsverrat und wie damit in Deutschland und Österreich umgegangen wird.
"Ehrlos für immer?" Fast schien es so, denn erst in jüngster Zeit konnte sich die jahrzehntelang stigmatisierte Gruppe der Deserteure der Deutschen Wehrmacht Gehör verschaffen. Ihrem Kampf um Rehabilitierung hat der österreichische Politikwissenschaftler Hannes Metzler sein Buch gewidmet. Es ist eine jener wissenschaftlichen Abhandlungen, bei denen die Fußnoten mitunter mehr Platz beanspruchen als der Seitentext. Doch gibt sie ein aufschlussreiches Spiegelbild davon, wie sich Länder und Menschen, die einst unter der Gewalt des NS-Regimes standen, mehr als 60 Jahre nach dem Kriegsende ihrer Vergangenheit stellen.

Wird der NS-Staat als Verbrecherregime angesehen und die Wehrmacht als dessen Werkzeug, muss jede Handlung dagegen als positiv, letztlich als Akt des Widerstandes anerkannt werden. Wird aber die Wehrmacht als gleichsam "ideologiefreies" Element im Unrechtssystem empfunden, liegt der Schluss nahe, dass Deserteure nicht zu rehabilitieren seien, weil Desertion in allen Staaten ein Straftatbestand ist.

Um diese verschiedenen Sichtweisen geht es letztlich in den jahrelangen Auseinandersetzungen in Deutschland und Österreich. Überall musste erst der Mythos der "sauberen Wehrmachtsjustiz" gebrochen werden. In Deutschland verlief die Debatte übersichtlicher als in Österreich. Mitte der 1980er Jahre nahmen sich die Grünen der Deserteure an, doch CDU/CSU und FDP sahen keine Notwendigkeit zum Handeln. 1998 wurde ein Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile beschlossen, die Deserteure wurden im letzten Moment davon ausgenommen. Erst unter der rot-grünen Bundesregierung wurde 2002 die pauschale Aufhebung aller Urteile beschlossen, eine Einzelfallprüfung war nicht mehr notwendig.

Der Situation in Österreich widmet der Autor die Hälfte seines Buches. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei den Grünen war er dort von Anfang an mit der Materie befasst. Es ist für den Leser wichtig zu wissen, dass der Autor Partei ist, so penibel er auch alle Aussagen mit Quellenangaben versieht.

Auch in Österreich begann die Diskussion um die Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure durch die Grünen in den 80ern. Immer wieder wurde das Thema im Justizausschuss durch Hinhalten der konservativen ÖVP vertagt. Als diese ab 2000 eine Koalition mit der rechtsnationalen FPÖ und später mit dem davon abgespaltenen BZÖ anführte, schien ein Gesetz, das Deserteuren zu ihrem Recht verhelfen solle, unmöglich. Es bedurfte des offiziellen Gedenkjahres 2005 – 50 Jahre nach Kriegsende – und gewaltiger Entgleisungen zweier rechtsnationaler Abgeordneter, von denen einer die Deserteure als "Kameradenmörder" bezeichnete, dass schließlich doch noch ein Gesetz zustande kam. Anders als in Deutschland wurde das Wort "Deserteure" allerdings nicht ausdrücklich verwendet – wohl ein Zugeständnis an FPÖ/BZÖ.

In einem Exkurs zeigt der Autor, wie in Luxemburg mit dem Thema umgegangen wird und belegt damit, dass man Wehrmachtsdeserteuren anders gegenübersteht, wenn man davon überzeugt ist, dass die deutsche Wehrmacht nicht die eigene Armee, sondern die eines Unrechtsstaates war.

Das zweite Buch trifft die Problematik schon im Titel: "Das letzte Tabu". Es geht um Kriegsverrat. Diesbezügliche Urteile wurden bisher weder in Deutschland noch in Österreich aufgehoben. Das überrascht, denn hier gilt das Argument der Rehabilitierungsgegner nicht mehr, das sie gegenüber den Deserteuren verwendet hatten: Man müsse im Einzelfall prüfen, warum jemand die Wehrmacht verlassen habe. Beim Verrat liegen die Dinge klar: Da wurde stets die Schwächung des Unrechtsstaates und die Befreiung der Heimat angestrebt, ein Handeln im Widerstand somit. Da aber scheint das Kontinuitätsdenken in Bezug auf das Dritte Reich noch immer zu stark zu sein, um diesen Schritt zu wagen. Den Hauptteil des Buches nehmen Militärurteile gegen Soldaten wegen Kriegsverrats ein, die sich heute erschütternd lesen. Einzelschicksale, die jedes für sich genommen Stoff für Romane abgeben würden.

Rezensiert von Stefan May

Hannes Metzler: Ehrlos für immer? Die Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure in Deutschland und Österreich
Mandelbaum Verlag, Wien 2007
219 Seiten, 19,90 Euro

Wolfram Wette und Detlev Vogel (Hg.): Das letzte Tabu. NS-Militärjustiz und Kriegsverrat
Aufbau Verlag, Berlin 200
511 Seiten, 24,95 Euro