Warten auf den Familiennachzug

"Das ist Psychoterror!"

Zwei geflüchtete Geschwister aus Syrien sitzen auf dem Bett in ihrer Unterkunft.
Hoffen auf den Nachzug der Eltern: Zwei geflüchtete Geschwister aus Syrien. © dpa / Michael Kappeler
Vanessa Vu im Gespräch mit Mirjam Kid · 01.08.2018
Was ist von der neuen Regelung zum Familiennachzug vorläufig geduldeter Flüchtlinge zu halten? Nicht viel, sagt unser Studiogast Vanessa Vu und bedauert, dass die Politik sich beim Asyl rückwärts bewege - Deutschland habe schon wesentlich liberalere Zeiten erlebt.
Die "Zeit-Online"-Journalistin Vanessa Vu verbrachte als Kind vietnamesischer Eltern die ersten Jahre ihrer Kindheit in einem bayrischen Asylbewerberheim. Sie kann also aus eigener Erfahrung gut nachempfinden, wie es heutigen Flüchtlingen geht, die auf ihren Bescheid warten und hoffen.
Sie vertritt deshalb eine klare Meinung, was die neue Regelung der Bundesregierung betrifft, künftig pro Monat 1000 Personen als Familienmitglieder vorläufig Geduldeter (die sogenannten "subsidiär Schutzbedürftigen") nachziehen zu lassen: Viele Flüchtlingsfamilien warteten schon "seit Monaten, seit Jahren darauf, dass es wieder weitergeht, dass sie wenigstens einen Hoffnungsschimmer darauf bekommen, ihre Familien nachholen zu können. Das wurde ja auch immer wieder verlegt - es ist ja nicht so, dass das nur einmal ausgesetzt wurde, sondern im Rahmen des ganzen Streits wurde die Frist immer weiter nach hinten verlegt. Und das ist Psychoterror."

Ein langwieriges Verfahren

Und: "12.000 Menschen im Jahr - das ist ein Witz." Schon jetzt würden die Auslandsvertretungen mit einem Vielfachen an Anträgen überflutet.
Die Journalistin Vanessa Vu
Die Journalistin Vanessa Vu.© Michael Heck für DIE ZEIT
Zum Hintergrund: Familiennachzug bezieht sich auf die Kernfamilie - auf Eltern oder minderjährige Kinder, die nachgeholt werden dürfen. Die neue Regelung bedeutet den Anfang eines langwierigen Verfahrens. Die Familienmitglieder, die aus Flüchtlingsunterkünften zum Beispiel im Libanon oder Jordanien nach Deutschland geholt werden sollen, müssen in diesen Ländern im Generalkonsulat einen Termin beantragen. Für den anschließenden Antrag auf Nachzug müssen Belege für die Verwandschaft wie Heirats- und Geburtsurkunden vorgelegt werden. In der Praxis ist das vermutlich die größte Hürde - denn gerade in der Fluchtsituation wird es nicht allen möglich sein, die geforderten Belege vorzuweisen.
Gesetzlich sei zwar vieles vereinfacht worden, seit sie selbst mit ihren Eltern in einem Asylbewerberheim habe warten müssen - "aber nicht zugunsten der Flüchtlinge", betont Vanessa Vu. "Unser Einwanderungsgesetz war mal deutlich liberaler." Deutschland sei schon sehr viel weiter gewesen.

Umstrittene Ankerzentren

Eine ebenso kritische Haltung hat die Journalistin in Bezug auf die sogenannten Ankerzentren in Bayern für Geflüchtete: "Anker" steht für "Zentrum für Ankunft, Entscheidung, Rückführung (AnkER)", und sie sind heftig in die Kritk geraten, weil ungewiss ist, was die Asylsuchenden dort erwartet - und welche Zustände dort herrschen werden.
Sie halte es zwar für voreilig, Stimmung gegen die Zentren zu machen, bevor sie ihren Betrieb richtig aufgenommen hätten. Doch sie glaubt: "Wenn man viele Menschen, die überhaupt keine Perspektiven haben, sich eventuell nicht mal verstehen, auf engem Raum zusammenpfercht und nicht rauslässt, birgt das erhebliches Konfliktpotenzial." Solche Befürchtungen seien auch bereits von Polizisten geäußert worden, die es abgelehnt hätten, die Zentren als eine Art Lagerpolizei zu bewachen.

CSU-Politik spiegelt nicht bayrische Bevölkerung wider

Vanessa Vu sagte weiter, sie finde es bedauerlich, dass von der derzeitigen Flüchtlingspolitik der CSU auf die Bayern als solche geschlossen werde. Es sei keineswegs so, dass das Gros der bayrischen Bevölkerung eine rigide Politik gegen ausländische Menschen befürworte. Sie sei in Bayern aufgewachsen und habe sich dort wohlgefühlt, auch wenn sie im Alltag Rassismus erlebt habe.
Die CSU lenke im Wahlkampf in die falsche Richtung ein - die Demonstrationen gegen ihre Politik in den letzten Wochen seien ein klarer Beleg dafür. Außerhalb Bayerns entstehe oft ein völlig falsches Bild von dessen Bewohnern: "Die Bayern sind sehr stolz auf ihre ein bisschen anarchische, gemütlich, offene Art: Man spricht mit Nachbarn, man spricht mit Fremden." Vanessa Vu ist überzeugt: Der bayerischen Bevölkerung gehe es nicht um Abschottung.

Hören Sie hier die komplette Sendung mit Vanessa Vu:
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Vanessa Vu, geboren 1991 in Eggenfelden als Kind vietnamesischer Eltern, lebte die ersten Jahre ihres Lebens in einem bayerischen Asylbewerberheim. Sie studierte in München und London Ethnologie und Völkerrecht sowie Südostasien-Studien mit Schwerpunkt auf Ethnizität. Vu arbeitet derzeit als Redakteurin für Politik- und Gesellschaftsthmen bei "Zeit-Online" und betreibt den Podcast "Rice and Shine". 2018 erhielt sie für ihre Reportage "Meine Schrottkontainerkindheit" den renommierten Theodor-Wolff-Preis.