Warnung zum richtigen Zeitpunkt

Von Theo Geers, Hauptstadtstudio · 13.11.2013
Fehler macht man, wenn es einem gut geht, um nicht zu sagen: zu gut. So gesehen kommen die fünf Wirtschaftsweisen mit ihrer Warnung vor einer rückwärtsgewandten Wirtschaftspolitik genau zum richtigen Zeitpunkt.
Sie platzen mit ihren Mahnungen vor dem Mindestlohn, einem Zurückdrehen von Arbeitsmarktreformen oder teuren Wohltaten in der Rente mitten in die Koalitionsverhandlungen. Besser könnte das Timing nicht sein, sind doch beide politischen Lager gerade mit nichts anderem beschäftigt als damit, den Vorsprung, den sich dieses Land durch Reformen wie die Agenda 2010 mühsam und hart erarbeitet hat, wieder aufs Spiel zu setzen.

Jeder, der wirtschaftspolitisch Eins und Eins zusammenzählen kann, schwankt inzwischen zwischen Unglauben und Entsetzen über das, was da unter Schwarz-Rot zu kommen droht. Und während die Koalitionäre in spe gerade am künftigen wirtschaftlichen Niedergang dieses Landes herum dilettieren, schießt auch noch die EU-Kommission eine volle Breitseite ab. Sie will jetzt die deutsche Exportstärke überprüfen, weil sie anderen EU-Partner horrende Defizite im Handel mit Deutschland beschert. Solche Ungleichgewichte, bei denen wir im Plus und andere im Minus verharren, sind in der Tat auf Dauer gefährlich.

Aber die EU zielt mit Deutschland auf den Falschen: Anzuprangern ist nicht Deutschlands Exportstärke, sondern die Exportschwäche der anderen. Warum gibt es denn immer weniger Industrieprodukte aus Frankreich, Italien, Spanien oder auch England, von Ländern wie Griechenland oder Portugal ganz zu schweigen? Die gibt es deshalb nicht, weil Länder wie Großbritannien ihre Industrie einst als Old Economy abschrieben oder weil sie - wie Frankreich - gerade dabei sind, ihre Wirtschaft durch eine völlig verfehlte Steuer- und Abgabenpolitik an die Wand zu fahren. Daraus dann einen Vorwurf an Deutschland wegen seiner Exportstärke abzuleiten ist absurd, es stellt die Dinge buchstäblich auf den Kopf. Brüssel sollte diesen Quatsch lassen. Aber es schließt sich hier auch der Kreis zu den Koalitionsverhandlungen und den Warnungen vor einer rückwärtsgewandten Politik.

Wie gesagt: Fehler macht man, wenn es einem gut geht. Noch haben Union und SPD die Chance, diese Fehler zu vermeiden. Dafür aber müsste endlich einmal auch die Kanzlerin sagen, was mit ihr wirtschaftspolitisch läuft – und was alles nicht. Gerade so als ob sie mit den Koalitionsverhandlungen nichts zu tun habe, versprach sie heute gewohnt vage, die Hinweise der Fünf Weisen ernst zu nehmen. Dann aber muss sie ihre Tauchstation endlich auch mal verlassen. Wer wie die Kanzlerin und die Union nur als Verhinderer auftritt, wer sich mit seinem "Nein" zu Steuererhöhungen brüstet, es dabei dann aber auch belässt anstatt von unbezahlbarem Unsinn wie Mütterrenten abzurücken oder das Betreuungsgeld oder ermäßigte Mehrwertsteuersätze für Hotelübernachtungen wieder abzuschaffen, der handelt mit Blick auf die Zukunft dieses Landes fahrlässig.

Und fahrlässig handelt auch die SPD, die, wie ein vergeistigter Pfarrer die Monstranz, ihren Mindestlohn von 8,50 € vor sich herträgt und die sich ansonsten bei den Arbeitsmarktreformen wieder aus dem Staub macht. Wenn Union und SPD so weiter machen wie bis jetzt, dann erledigt sich die Kritik aus Brüssel an Deutschlands Stärke schon bald von selbst. Dann untersucht Brüssel in ein paar Jahren Deutschlands Schwäche und wie es dazu kommen konnte.