Warnung vor der Sehnsucht nach Erlösung

War der Nationalsozialismus eine Religion? Rainer Bucher jedenfalls beschäftigt sich mit der Frage von "Hitlers Theologie" und versteht sie dabei als politische Religion, die sich durch eine verblüffende Kombination von archaischem Erwählungsglauben und fortschrittsgläubiger Modernität auszeichne.
Wenn ein Buch "Hitlers Theologie" heißt und mit der halben Finstermiene des religiös bestenfalls halbgebildeten Adolf Hitler wirbt, ist ein spontanes Abwinken vorprogrammiert: Wird hier in Guido-Knopp-Manier "Hitlers Frauen", "Hitlers Ärzten", "Hitlers Geldgebern" oder "Hitlers Hunden" jetzt noch "Hitlers Theologie" hinterhergeworfen, wo der doch weder Theologe war noch geistig irgendetwas besaß oder geleistet hat, was den Namen dieses wissenschaftlichen Fachgebietes verdient?

Rainer Bucher, Professor für Pastoraltheologie und -psychologie an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Graz, entkräftet den Vorbehalt mit drei Argumenten:

Erstens: Hitlers "Theologie" wird hier nicht als akademische Disziplin verstanden, sondern als das Programm einer politischen Religion namens Nationalsozialismus, Und das lag bereits seit 1922 offen zutage. Von "Mein Kampf" bis zur Neujahrsbotschaft 1944/45, "hat Hitler nie verborgen, was er wollte", nämlich die "Ausmordung fremder Gebiete für die Lebensraumgewinnung der arischen Rasse" und die "totale Judenvernichtung".

Dieses Projekt konzipierte und legitimierte er mit theologischen Begriffen, propagierte sie im Namen einer "göttlichen Vorsehung" und ästhetisierte sie mit Hilfe parareligiöser, liturgischer Inszenierungen. Von Albert Speers "Lichtdom" bei der "Weihe" kleiner Parteifunktionäre auf dem Zeppelinfeld in Nürnberg bis zu Leni Riefenstahls bezeichnendem Filmtitel "Der Sieg des Glaubens".
Rainer Bucher schreibt:

"Hitlers Theologie muss nicht widerlegt werden. Das tut sie selbst. Aber sie wurde, worauf alle Theologie zielt: praktisch. Und das ist nur einer der Gründe, sich mit ihr zu beschäftigen."

Hinzu kommt, dass zweitens Hitlers Faszination für die autoritär-hierarchische Struktur der seit 2000 Jahren erfolgreichen Weltanschauungs-Organisation "Kirche" dieser Kirche sehr geschmeichelt hat. Seine anti-liberale, anti-pluralistische Vision einer nach innen "geeinten", nach außen kriegerisch-heroischen, alle Kränkungen kompensierenden Volksgemeinschaft der Erwählten fand großen Anklang bei der - von der Moderne und der Säkularisation tief gedemütigten - katholischen Kirche.

Sodass ihre Priester und Bischöfe drittens Hitlers krude Verdrehung des Evangeliums zu einer Theologie der Gnadenlosigkeit, der kraftvollen Selbsterlösung und des Terrors gegen Andersglaubende geflissentlich übersahen, zum Holocaust weitgehend schwiegen und "den atheistischen Kern der NS-Weltanschauung zwar scharf kritisierten, dabei Hitler als Person aber weitgehend ausnahmen, weil man in ihm immer noch den Anwalt positiven Christentums gegenüber dem gottlosen Marxismus sah."

Rainer Bucher widersteht der Versuchung, über Hitlers ganz persönliche Religiosität Spekulationen anzustellen oder, andersherum, alle seine Bezugnahmen auf Gott nur als rhetorische Tricks abzutun. "Der Reichskanzler lebt ohne Zweifel im Glauben an Gott", befand zum Beispiel Kardinal Faulhaber nach einem Besuch auf dem Obersalzberg 1936.

Stattdessen hält sich Bucher eisern an die vorliegenden Texte, Reden und dokumentierten Tischgespräche Hitlers und macht dabei erstaunliche Entdeckungen: Hitlers Verachtung der christlichen "Universalisten, Idealisten und Utopisten" in den kirchlichen Schwatzbuden führt ihn zur Fokussierung auf die arische Rasse als konkretem Ort der Überbrückung von Wort und Tat, von Anspruch und Wirklichkeit.

Seine Ablehnung der "völkischen Religiosität" wotanverliebter Neuheiden, "die mit wallendem Vollbart und urgemanischem Getue den Schwaben - und den Sachsenspiegel verschlingen und glauben, ein ganzes Volk um tausend Jahre zurückverschieben zu können", führt ihn zu einer verblüffenden Kombination von archaischem Erwählungsglauben und fortschrittsgläubiger Modernität.

"Hitler legitimiert sein Politikprojekt geschichtstheologisch mit dem Begriff der Vorsehung, er totalisiert es mit dem Gottesbegriff und er motiviert das Individuum mit dem Begriff des Glaubens an das deutsche Volk."

Eine zweite Versuchung, der dieses Buch allerdings nicht ganz widersteht, besteht darin, statt über "Hitlers Theologie" nun über die Theologie der von Hitler verführten katholischen Hochschullehrer zu räsonieren, namentlich Karl Adam, Joseph Lortz und Michael Schmaus. Zum Glück wendet sich der Autor aber schon nach 13 Seiten wieder uns, den heute Lebenden, zu und entlockt dem alten, allzu oft bemühten Mahnmal "Hitlerforschung" zum Schluss noch einige neue, so noch nicht gehörte Warnungen :

"Hitler teilte, wie viele damals, die Sehnsucht nach einem heroischen Leben der Ehre, des Muts, der Öffentlichkeit und der spektakulären Tat. Das gilt auch und gerade für religiöse Menschen. Doch der Heroismus entsolidarisiert die Menschen außerhalb meiner selbst, von ihrem Alltag und ihrer Erbarmungswürdigkeit. Hitler teilte, wie viele damals, die Sehnsucht nach einem einheitlichen Prinzip, aus dem alles erklärbar sein sollte.

Solcher theologische Totalitarismus aber macht Gott verfügbar für die eigene Sache und opfert Gottes Güte zugunsten von Gottes Allmacht. Hitler teilte, wie viele damals, die Sehnsucht nach Erlösung. Und zwar nicht durch Gnade und Barmherzigkeit, sondern durch eigene Kraft und Anstrengung. Der Gott
Hitlers "erlöste" nur jene, die sich seiner als würdig erwiesen. Die Gläubigen
dieses Gottes brauchen und kennen keine Gnade für die anderen."


Ein Sachbuch, das die ersten 36 Seiten für "Abgrenzungen" braucht und zunächst etwas langatmig-hypervorsichtig beginnt, entfaltet spätestens ab Kapitel vier ("Die Vorsehung" ) eine einleuchtende und spannend zu lesende Argumentationskette, die nicht nur konservativen, vor-konziliar gestimmten Katholiken neue, schwere Warnungen ins Stammbuch schreibt.


Rezensiert von Andreas Malessa

Rainer Bucher: Hitlers Theologie
Echter Verlag Würzburg 2008
232 Seiten, 16, 80 Euro