War die Entscheidung richtig?
Als Rückkehr zur politischen Normalität wurden die Ergebnisse der Landtagswahlen in Baden-Würtemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt kommentiert. Die drei Ministerpräsidenten Oettinger, Beck und Böhmer waren klar bestätigt. Keine bundespolitische Generalabrechnung auf Landesebene und auch kein Aufwind für radikale Parteien. Nur die geringe Wahlbeteiligung, in Sachsen-Anhalt lag sie bei 44 Prozent, bereitete Kopfschmerzen. 100 Tage ist der Wahlsonntag jetzt her, Anlass für uns im Länderreport darüber zu berichten, was sich seitdem in den drei Bundesländern getan hat. Was ist aus den Themen im Wahlkampf geworden?
100 Tage nach der LW in Baden Württemberg
Von Uschi Götz
Günther Oettinger, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, ist vor über einem Jahr angetreten, um das Land von seinem verstaubten Image zu befreien. Das (Bundes)Land, das seit über 50 Jahren fest in CDU- Händen ist. Oettingers Vorgänger, Erwin Teufel, war der Landesvater und Oettinger war lange Zeit als der Königsmörder verschrien. Oettinger ging forsch ans Werk, fast wöchentlich produzierte er schlagzeilenträchtige Ideen. Aber es blieb meist bei den Schlagzeilen. Nun muss sich Oettinger vor nichts und niemanden mehr fürchten. Weder vor den eigenen Parteifreunden und auch der Landtag hat ihn offiziell gewählt. Fünf Regierungsjahre liegen theoretisch vor ihm, um zu zeigen, dass er wirklich der Modernisierer jenes Landes ist, das von sich behauptet, alles zu können außer Hochdeutsch. Uschi Götz über die ersten hundert Tage nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg:
Fast drei Monate nach der Landtagswahl wurde Günther Oettinger, wie erwartet, zum Ministerpräsidenten gewählt. Oettinger, so die Opposition, habe in den vergangenen Monaten seiner Amtszeit das Land im Stile des Zögerns und Zauderns verwaltet. Nun sei es Zeit zum Regieren. Oettinger legte los - mit einer Regierungserklärung. Und da war es wieder, sein Lieblingsthema: "Kinderland Baden-Württemberg". ausgerufen bei seiner Amtseinführung und das Schlagwort im Wahlkampf:
Oettinger: "Baden-Württemberg ist auf dem Weg zum 'Kinderland Nummer eins' in Deutschland. In keinem anderen Bundesland werden mehr Kinder geboren als bei uns. In keinem anderen Land ist der Altersdurchschnitt niedriger und die Lebenserwartung höher als bei uns. Gewiss: Der demografische Wandel macht auch vor Baden-Württemberg nicht Halt. Aber trifft uns später und weniger hart, wir müssen alles tun, dass durch viele neugeborene Kinder Baden-Württemberg ein junges und vitales Land bleibt."
Bereits im letzten Jahr wurde vom Land die Stiftung Kinderland Baden Württemberg in Leben gerufen. Zweck der Stiftung Kinderland ist der Ausbau Kinder- und Familien freundlicher Strukturen. Gemeinnützige Projekte sollen dazu beitragen, dass Kinder und Familien optimale Lebenschancen im Südwesten vorfinden. Wahrlich es gibt viel nachzuholen vor allem in der Kinderbetreuung. Mit Bayern gehört Baden Württemberg zu den Schlusslichtern bei der Kinderbetreuung. Und daran wird sich nach Meinung der Opposition künftig nichts ändern. Kinderland hin oder her. Ute Vogt, neue SPD-Oppositionschefin im Baden Württembergischen Landtag:
"Das große Versprechen aus dem Wahlkampf, da hätte ich mir gewünscht, dass es nicht nur hier und da ein Modell gibt, sondern, das man dass macht, was uns andere vormachen; ein Kindergartenjahr beitragsfrei, schrittweise die Klärung, wie schaffe ich die Lehrerstellen, wie schaffe ich die Kooperation Kindergarten - Grundschule."
Bisweilen recht erstaunt ist man beim Kinderschutzbund Baden-Württemberg über die Aktivitäten des Ministerpräsidenten und seiner Stiftung, denn auf den Rat der Kinderschützer verzichtete die Landesregierung bis jetzt. Geschäftsführerin Verena Mohnke:
"Zu unserem großen Bedauern sind wir leider überhaupt nicht beteiligt. Das hat bei uns auch schon für etwas Unverständnis gesorgt, weil wir schon der Meinung sind, dass wir als Deutscher Kinderschutzbund mit einer Erfahrung von über 50 Jahren als Kinderhilfsorganisation schon gedacht hätten, dass wir ein Ansprechpartner wären für das Kinderland Baden-Württemberg."
Von Günther Oettinger weiß man, dass er sich vorgenommen hat, künftig auch bundespolitisch richtig mitzureden. Immer wieder probt er den Aufstand. Jüngst mit der Forderung, die Leistungen bei der gesetzlichen Krankenversicherung erheblich zu kürzen.
Im eigenen Bundesland machte er sich gleich nach der Landtagswahl bei den Beamten unbeliebt. Gemeinsam mit dem Koalitionspartner FDP kündigte er an, die neue Regierung strebe eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 67Jahre an. In der Regierungserklärung nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten wiederholte er seinen Plan: Eine schrittweise Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre bei Beamten sei unumgänglich.
Wahrscheinlich wird Baden-Württemberg bei der Verlängerung der Lebensarbeitszeit für Beamte auf 67 Vorreiter werden. Die am vergangenen Freitag beschlossene Föderalismusreform könnte die Pläne der Landesregierung im Südwesten möglich machen. Doch der Beamtenbund ist skeptisch. Vor allem die rechtliche Situation schätzt Volker Stich, Vorsitzender des Baden Württembergischen Beamtenbundes, als nicht eindeutig ein:
"Selbst nach einer solchen Entscheidung ist noch nicht geklärt, ob das Land für seine Beamten eine andere Regelung treffen kann als der Bundesgesetzgeber vorgibt…"
Ungeachtet dieser rechtlichen Zweifel will nach Informationen des Münchner Magazins Focus das Baden-Württemberger Kabinett darüber entscheiden, welche Gesetzesvorhaben nach der Föderalismusreform in Angriff genommen werden sollen. Mit auf der Liste steht laut Bericht die Verlängerung der Lebensarbeitszeit für Beamte.
An Ideen mangelt es nicht. Doch bald ist erst einmal Sommerpause in Baden-Württemberg. Es gibt also erst wieder im Herbst ganz Neues aus dem Südwesten.
100 Tage nach der Wahl in Rheinland-Pfalz
Von Anke Petermann
Bildungspolitik war im rheinland-pfälzischen Landtagswahlkampf Hauptthema. Die damalige sozialliberale Landesregierung rühmte die neuen Ganztags- und Hochbegabtenschulen. Die CDU klagte über chronischen Unterrichtsausfall und forderte 800 neue Lehrer. In einem waren sich Regierung und CDU-Opposition einig: am dreigliedrigen Schulsystem sollte nicht gerüttelt werden. Am 26. März böses Erwachen für Grüne und Liberale: die einen flogen aus dem Landtag, die anderen deshalb aus der Regierung. "SPD pur" heißt nun die Devise in Mainz. Was das 100 Tage nach der Wahl in der Bildungspolitik bedeutet - Anke Petermann hat recherchiert.
Zum Schuljahresende häufen sich die Feste. Doch an vielen Hauptschulen helfen auch HipHop, Gegrilltes und Smalltalk nicht über die schlechte Stimmung hinweg. Nur noch 16 % der Schüler aus dem Einzugsgebiet hatten sich fürs laufende Jahr an der Burgfeldschule Speyer angemeldet. Leistungsstarke Zugpferde fehlen. Wer den Abschluss in der Tasche hat, kassiert zahllose Absagen auf seine Bewerbungen. Rektor Hermann Steegmüller kommentiert die Misere so:
"Wir sind zur Restschule geworden, die Schüler, die zu uns kommen haben’s schwerer, sind nicht so eifrig beim Lernen, sind zum Teil auch verhaltensauffällig. Das ist eben so, das ist eine Tatsache."
Die Lehrerverbände VBE und GEW aber wollen, dass Hauptschul-Frust und Gettoisierung ein Ende haben. GEW, Jusos und Linke in der SPD fordern statt des dreigliedrigen Schulsystems ab Sekundarstufe II die "Schule für alle" - eine Gemeinschaftsschule, in der Kinder nicht nach Leistungsniveau sortiert, sondern im Klassenverband differenziert gefördert und gefordert werden. Kurz nach der Wahl sagte der Mainzer Ministerpräsident im Interview mit der GEW-Zeitschrift vieldeutig, in Deutschland müsse man bei der Aufhebung der Dreigliedrigkeit schrittweise vorgehen, um nicht in einer ideologischen Sackgasse zu landen. Und die gut angenommenen Gesamtschulen zeigten, dass man auf dem richtigen Weg sei.
Zwei knappe Sätze, die Gewerkschafter und Jusos jubeln ließen, beim ehemaligen Koalitionspartner FDP dagegen Empörung auslösten. Die Liberalen wollen wie die CDU am dreigliedrigen System festhalten und warnen vor einem "Schulkampf" im Land. Der Jungliberale David Diez hält den Ball lieber flach:
"Kurt Beck weiß natürlich ganz genau, dass er bei einem Land, das so konservativ strukturiert ist wie Rheinland-Pfalz, es natürlich schwer haben wird, mit einer wirklich linken Politik Mehrheiten für sich zu gewinnen. Im Parlament hat er die natürlich jetzt, das ist keine Frage, aber 2011 werden die Karten neu gemischt und da ist er so klug zu wissen, dass wenn er auf 'SPD pur' setzen würde und linke Träume realisieren würde, dass das dann für ihn das Ende bedeuten würde ..."
Zum "Kampf" scheint der rheinland-pfälzische Schulstreit tatsächlich nicht anzuschwellen. Denn statt die Hauptschule schrittweise abzuschaffen, wie viele Bildungsexperten fordern, will die Mainzer Schulministerin Doris Ahnen die Sozialarbeit an dieser Schulform flächendeckend ausweiten. In einer ideologischen Diskussion über einen Systemwechsel will sich Ahnen nicht verschleißen. Wo immer die Schulministerin in diesen Tagen auf das überraschende Statement des Regierungschefs angesprochen wird, wiegelt die Beck-Vertraute ab. Keine Rede mehr davon, die Dreigliedrigkeit ad acta zu legen:
"Wir haben in Rheinland-Pfalz das dreigliedrige Schulsystem bereits ergänzt um Regionale Schulen und integrierte Gesamtschulen. Und eines ist völlig klar: Wenn die Zahl der Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I zurückgeht, dann werden wir auch neue und weitere Formen der Kooperation vor Ort brauchen und auch der Kooperation unterschiedlicher Schularten. Das kann dann eben vor Ort die Regionale Schule sein, es kann aber auch sein, dass vor Ort Integrierte Gesamtschulen entstehen. Man muss auf die konkrete Situation reagieren."
30 Prozent der Kinder in Rheinland-Pfalz lernten schon länger gemeinsam, betont das Ministerium, und zwar dank der vielen rheinland-pfälzischen Schul-Sonderformen. Wie zum Beispiel die Regionale Schule, die auf dem Land Real- und Hauptschüler gemeinsam unterrichtet und in den Hauptfächern Kurse in verschiedenen Leistungsstufen anbietet. Doch Tilman Boehlkau, Landeschef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, findet die Vielfalt eher verwirrend als hilfreich bei der Entscheidung nach dem vierten Schuljahr:
"Wir haben schon in CDU-Zeiten Mitte der 70erJahre eine Orientierungsstufe in Rheinland-Pfalz eingerichtet, es gab sogar verbundene Orientierungsstufen zwischen Hauptschulen und Realschulen, Realschulen und Gymnasien und so weiter. Da haben die Kinder aus den Grundschulen tatsächlich noch mal zwei Jahre gemeinsam länger lernen können. Was ist denn heute? Das längere Gemeinsame Lernen, so wie es sich die GEW, vorstellt, das gibt es in Rheinland-Pfalz nicht. Wir hoffen, dass das irgendwann mal umgesetzt wird ...."
Die Forderung, "SPD pur" mutig umzusetzen, wird man in Rheinland-Pfalz wohl noch häufiger hören. Die neue Machtfülle der Sozialdemokraten in Mainz ist zugleich ihr strategisches Dilemma, analysierte der Landauer Politikwissenschaftler Ulrich Sarcinelli anlässlich der Konstituierung des neuen Landtags.
""Absolute Mehrheiten erzeugen Erwartungen innerhalb der Partei, die die absolute Mehrheit erreicht hat und natürlich im Lande. Das macht das Regieren nicht unbedingt leichter. Die innerparteilichen Erwartungen, auch die Erwartungen innerhalb der Fraktion können nicht diszipliniert werden mit einem Koalitionspartner, auf den man verweist und auf den man Rücksicht nehmen muss, sondern es ist sozusagen aus eigenem Handeln, aus eigenem Recht. Insofern kommt es sehr darauf an, dass man in einem Land wie Rheinland-Pfalz, das ja nicht ein prädestiniertes SPD-Land ist, sehr diszipliniert regiert mit dieser Mehrheit."
"Diszipliniert regieren" - für die SPD im eher ländlich-konservativen Rheinland-Pfalz dürfte das heißen: die eigene Klientel auf dem linken Flügel öfter mal zu verprellen. Ohne einem Koalitionspartner dafür die Schuld in die Schuhe schieben zu können.
100 Tage nach der Wahl in Sachsen Anhalt
Von Verena Kemna
In Rekordzeit, nur drei Wochen nach der Landtagswahl, hat sich die neue große Koalition in Sachsen-Anhalt geeinigt. Vier Ministerien für die CDU, die mit 36,2 Prozent der Stimmen als klarer Wahlsieger bestätigt worden ist. Ebenfalls vier Ministerien für die Sozialdemokraten, die mit nur 21,4 Prozent der Stimmen weit hinter den eigenen Erwartungen zurück geblieben sind. Ein niedriges Wahlergebnis und trotzdem hat die SPD in den Verhandlungen ihre Trumpfkarte als einzig möglicher Koalitionspartner ausgespielt.
Schon im Wahlkampf hatten die Sozialdemokraten der CDU eine große Koalition angeboten. Am Wahlabend war klar: CDU-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer kann nur Regierungschef bleiben, wenn er mit der SPD zusammen regiert. So hat das großzügige Angebot von Ministerpräsident Böhmer, nur wenige Tage nach der Wahl, nicht überrascht.
Wolfgang Böhmer: "Ich möchte, dass wir mit dem Koalitionspartner so gut zusammen arbeiten, dass wir gemeinsam die Probleme des Landes lösen und uns nicht ewig lange in solchen Personalfragen verheddern. Man kann die Zusammenarbeit mit jedem Partner, und das gilt auch in der Familie, umso besser gestalten, wenn man ihn auch ein bisschen großzügig behandelt."
Der Ministerpräsident hat die Koalitionäre von Anfang an auf gute Zusammenarbeit eingeschworen. Hinter dem 60 Seiten dicken Koalitionsvertrag steckt die klare Handlungsprämisse: Weniger Schulden, mehr Arbeitsplätze. Der ehemalige Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Reiner Haseloff, ist der einzige neue CDU-Minister. Er hat im gleichen Haus nur die Etage gewechselt. Nun sitzt er ganz oben im sechsten Stock mit freiem Blick über die Dächer von Magdeburg. Doch dafür bleibt keine Zeit.
Der CDU-Mann ist Experte für Arbeitsmarktpolitik. Er kennt die Herausforderung. In Sachsen-Anhalt sind etwa 230.000 Arbeitslose gemeldet, die Arbeitslosenquote liegt bei 18 Prozent. Das ist weniger als im Vorjahr, aber immer noch zuviel, sagt Wirtschaftsminister Reiner Haseloff. Er ist zum ersten Mal Minister und hat sich viel vorgenommen. Sein Ziel: 60.000 neue Arbeitsplätze in den nächsten fünf Jahren.
"Also bisher haben unsere Wirtschaftsförderungsansätze dazu geführt, dass pro Jahr etwa 6000 neue Arbeitsplätze entstanden sind und 20.000 erhalten werden konnten. Das heißt, sie sind wettbewerbsfähig geblieben. Wir haben uns vorgenommen, diese Zahl zu verdoppeln. Das heißt in einer Legislaturperiode von fünf Jahren sind durchaus 50-60.000 Arbeitsplätze zusätzlich in Sachsen-Anhalt darstellbar."
Seine Forderung geht nur auf, wenn Unternehmer investieren und Arbeitsplätze schaffen. Dafür braucht das Land die Fördertöpfe der Europäischen Union. Sie sind gefüllt mit zwei Milliarden Euro für die nächsten sieben Jahre. Viel Geld, sagt der Wirtschaftsminister. Doch er weiß: Nur, wenn Sachsen-Anhalt 500 Millionen aus dem eigenen Landeshaushalt dazu gibt, können die EU-Gelder voll ausgeschöpft werden. Da werden 500 Millionen schnell zu einer magischen Zahl. Es ist genau die Summe, die im Haushaltsplan für das nächste Jahr fehlt. Dann rechnet der Wirtschaftsminister vor, dass 20.000 Landesbedienstete zuviel im Land genau eine halbe Milliarde kosten.
"Das ist genau die Koinzidenz, die besteht. Dass wir unsere offensive Wirtschaftspolitik nur dann fortsetzen können, wenn wir unsere Hausaufgaben in den öffentlichen Haushalten, also vor allem auf der Personalseite erledigen."
Jedes Jahr zweitausend Planstellen weniger, darauf haben sich CDU und SPD im Koalitionsvertrag geeinigt. Haushaltskonsolidierung ist das oberste Ziel der neuen Landesregierung. Dafür haben CDU und SPD im Wahlkampf geworben. Jetzt muss der neue SPD-Finanzminister Jens Bullerjahn das Wahlversprechen umsetzen. Die Zahlen liegen auf seinem Schreibtisch im Ministerium. Schulden: 20 Milliarden, Gesamthaushalt: 10 Milliarden. Zwischen den Ansprüchen der einzelnen Ressorts und den Einnahmen klafft ein Minus von etwa 450 Millionen. Finanzminister Bullerjahn schlägt vor: Die Kommunen sollen 133 Millionen weniger bekommen, den Rest müssen die Ministerien einsparen.
"Es geht mir darum auch zu zeigen, was an guter Politik drinne steckt. Also all das, was mit Arbeitsplätzen zu tun hat oder mit Bildung, das soll ja nicht so angepasst werden wie etwa der Bereich Polizei, wie eben der Bereich Landesverwaltung oder Kommunalfinanzen. Aber alles beim status quo zu halten, funktioniert nicht."
Hauhaltskonsolidierung, jetzt oder nie, die Koalitionspartner sind sich einig. Der Sprengstoff für den Koalitionsfrieden liegt in der geplanten Verwaltungsreform. Als Oppositionspartei und im Wahlkampf hatte sich die SPD für Einheitsgemeinden stark gemacht. Nun steht das Anliegen der Sozialdemokraten schwarz auf weiß im Koalitionsvertrag. Straffe Strukturen helfen Geldsparen, sagt Finanzminister Bullerjahn. Er ist überzeugt.
"Dass es Ausnahmeregelungen in den dünn besiedelten Regionen geben muss, war allen klar, aber diese Vielfalt, wie wir sie jetzt in den Verwaltungsgemeinschaften haben, ist einfach nicht mehr bezahlbar."
Er rechnet fest damit, dass die CDU zum Koalitionsvertrag steht. Auch CDU-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer zweifelt nicht daran. Doch in seiner eigenen Partei, an der Basis, bei den Wählern in den kleinen Dörfern im Harz und in der Altmark formiert sich Widerstand.
Bernd Wießel ist Geschäftsführer der CDU in der Altmark und mit Leib und Seele Bürgermeister. Er ist sich sicher: Wenn die Einheitsgemeinde kommt, haben die Menschen in den kleinen Orten nichts mehr zu sagen. Kein eigener Haushalt, keine eigenen Räte, das ist undemokratisch, sagt der CDU-Politiker. Er hat gegen den Koalitionsvertrag gestimmt.
"Da wird also heftig über das Problem gestritten und ich spüre schon, dass unsere Innenpolitiker erkannt haben, dass das, was im Koalitionsvertrag steht, wohl nicht ganz so richtig war."
Kleine Orte, die sich in den nächsten drei Jahren nicht freiwillig zusammenschließen, sollen per Gesetz gezwungen werden. So steht es im Vertrag. Für den SPD-Minister Bullerjahn ist die Einheitsgemeinde ein Zugeständnis der CDU an den Koalitionspartner, nicht mehr und nicht weniger.
"Also erwarte ich auch, dass die CDU ganz klar erkennt, das muss sie mit tragen. Das ist keine Frage von Stimmungen und einzelnen Personen. Da weiß ich auch Ministerpräsident Böhmer an meiner Seite. Wir diskutieren jetzt und versuchen, so viele wie möglich zu überzeugen. Aber ich bin auch sicher, dass sich die Frage der Einheitsgemeinde im Jahr 2009 ganz anders darstellen wird."
Inzwischen sind die Eckdaten für den Haushalt bekannt. Spätestens in vier Jahren sollen keine neuen Schulden dazu kommen, Vorschläge zur Konsolidierung liegen auf dem Tisch. Genügend Angriffsfläche für die Opposition aus Linkspartei und FDP. Bei der nächsten Landtagssitzung, noch vor der Sommerpause, muss die neue Große Koalition in Sachsen-Anhalt ihre erste Feuerprobe bestehen.
Von Uschi Götz
Günther Oettinger, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, ist vor über einem Jahr angetreten, um das Land von seinem verstaubten Image zu befreien. Das (Bundes)Land, das seit über 50 Jahren fest in CDU- Händen ist. Oettingers Vorgänger, Erwin Teufel, war der Landesvater und Oettinger war lange Zeit als der Königsmörder verschrien. Oettinger ging forsch ans Werk, fast wöchentlich produzierte er schlagzeilenträchtige Ideen. Aber es blieb meist bei den Schlagzeilen. Nun muss sich Oettinger vor nichts und niemanden mehr fürchten. Weder vor den eigenen Parteifreunden und auch der Landtag hat ihn offiziell gewählt. Fünf Regierungsjahre liegen theoretisch vor ihm, um zu zeigen, dass er wirklich der Modernisierer jenes Landes ist, das von sich behauptet, alles zu können außer Hochdeutsch. Uschi Götz über die ersten hundert Tage nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg:
Fast drei Monate nach der Landtagswahl wurde Günther Oettinger, wie erwartet, zum Ministerpräsidenten gewählt. Oettinger, so die Opposition, habe in den vergangenen Monaten seiner Amtszeit das Land im Stile des Zögerns und Zauderns verwaltet. Nun sei es Zeit zum Regieren. Oettinger legte los - mit einer Regierungserklärung. Und da war es wieder, sein Lieblingsthema: "Kinderland Baden-Württemberg". ausgerufen bei seiner Amtseinführung und das Schlagwort im Wahlkampf:
Oettinger: "Baden-Württemberg ist auf dem Weg zum 'Kinderland Nummer eins' in Deutschland. In keinem anderen Bundesland werden mehr Kinder geboren als bei uns. In keinem anderen Land ist der Altersdurchschnitt niedriger und die Lebenserwartung höher als bei uns. Gewiss: Der demografische Wandel macht auch vor Baden-Württemberg nicht Halt. Aber trifft uns später und weniger hart, wir müssen alles tun, dass durch viele neugeborene Kinder Baden-Württemberg ein junges und vitales Land bleibt."
Bereits im letzten Jahr wurde vom Land die Stiftung Kinderland Baden Württemberg in Leben gerufen. Zweck der Stiftung Kinderland ist der Ausbau Kinder- und Familien freundlicher Strukturen. Gemeinnützige Projekte sollen dazu beitragen, dass Kinder und Familien optimale Lebenschancen im Südwesten vorfinden. Wahrlich es gibt viel nachzuholen vor allem in der Kinderbetreuung. Mit Bayern gehört Baden Württemberg zu den Schlusslichtern bei der Kinderbetreuung. Und daran wird sich nach Meinung der Opposition künftig nichts ändern. Kinderland hin oder her. Ute Vogt, neue SPD-Oppositionschefin im Baden Württembergischen Landtag:
"Das große Versprechen aus dem Wahlkampf, da hätte ich mir gewünscht, dass es nicht nur hier und da ein Modell gibt, sondern, das man dass macht, was uns andere vormachen; ein Kindergartenjahr beitragsfrei, schrittweise die Klärung, wie schaffe ich die Lehrerstellen, wie schaffe ich die Kooperation Kindergarten - Grundschule."
Bisweilen recht erstaunt ist man beim Kinderschutzbund Baden-Württemberg über die Aktivitäten des Ministerpräsidenten und seiner Stiftung, denn auf den Rat der Kinderschützer verzichtete die Landesregierung bis jetzt. Geschäftsführerin Verena Mohnke:
"Zu unserem großen Bedauern sind wir leider überhaupt nicht beteiligt. Das hat bei uns auch schon für etwas Unverständnis gesorgt, weil wir schon der Meinung sind, dass wir als Deutscher Kinderschutzbund mit einer Erfahrung von über 50 Jahren als Kinderhilfsorganisation schon gedacht hätten, dass wir ein Ansprechpartner wären für das Kinderland Baden-Württemberg."
Von Günther Oettinger weiß man, dass er sich vorgenommen hat, künftig auch bundespolitisch richtig mitzureden. Immer wieder probt er den Aufstand. Jüngst mit der Forderung, die Leistungen bei der gesetzlichen Krankenversicherung erheblich zu kürzen.
Im eigenen Bundesland machte er sich gleich nach der Landtagswahl bei den Beamten unbeliebt. Gemeinsam mit dem Koalitionspartner FDP kündigte er an, die neue Regierung strebe eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 67Jahre an. In der Regierungserklärung nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten wiederholte er seinen Plan: Eine schrittweise Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre bei Beamten sei unumgänglich.
Wahrscheinlich wird Baden-Württemberg bei der Verlängerung der Lebensarbeitszeit für Beamte auf 67 Vorreiter werden. Die am vergangenen Freitag beschlossene Föderalismusreform könnte die Pläne der Landesregierung im Südwesten möglich machen. Doch der Beamtenbund ist skeptisch. Vor allem die rechtliche Situation schätzt Volker Stich, Vorsitzender des Baden Württembergischen Beamtenbundes, als nicht eindeutig ein:
"Selbst nach einer solchen Entscheidung ist noch nicht geklärt, ob das Land für seine Beamten eine andere Regelung treffen kann als der Bundesgesetzgeber vorgibt…"
Ungeachtet dieser rechtlichen Zweifel will nach Informationen des Münchner Magazins Focus das Baden-Württemberger Kabinett darüber entscheiden, welche Gesetzesvorhaben nach der Föderalismusreform in Angriff genommen werden sollen. Mit auf der Liste steht laut Bericht die Verlängerung der Lebensarbeitszeit für Beamte.
An Ideen mangelt es nicht. Doch bald ist erst einmal Sommerpause in Baden-Württemberg. Es gibt also erst wieder im Herbst ganz Neues aus dem Südwesten.
100 Tage nach der Wahl in Rheinland-Pfalz
Von Anke Petermann
Bildungspolitik war im rheinland-pfälzischen Landtagswahlkampf Hauptthema. Die damalige sozialliberale Landesregierung rühmte die neuen Ganztags- und Hochbegabtenschulen. Die CDU klagte über chronischen Unterrichtsausfall und forderte 800 neue Lehrer. In einem waren sich Regierung und CDU-Opposition einig: am dreigliedrigen Schulsystem sollte nicht gerüttelt werden. Am 26. März böses Erwachen für Grüne und Liberale: die einen flogen aus dem Landtag, die anderen deshalb aus der Regierung. "SPD pur" heißt nun die Devise in Mainz. Was das 100 Tage nach der Wahl in der Bildungspolitik bedeutet - Anke Petermann hat recherchiert.
Zum Schuljahresende häufen sich die Feste. Doch an vielen Hauptschulen helfen auch HipHop, Gegrilltes und Smalltalk nicht über die schlechte Stimmung hinweg. Nur noch 16 % der Schüler aus dem Einzugsgebiet hatten sich fürs laufende Jahr an der Burgfeldschule Speyer angemeldet. Leistungsstarke Zugpferde fehlen. Wer den Abschluss in der Tasche hat, kassiert zahllose Absagen auf seine Bewerbungen. Rektor Hermann Steegmüller kommentiert die Misere so:
"Wir sind zur Restschule geworden, die Schüler, die zu uns kommen haben’s schwerer, sind nicht so eifrig beim Lernen, sind zum Teil auch verhaltensauffällig. Das ist eben so, das ist eine Tatsache."
Die Lehrerverbände VBE und GEW aber wollen, dass Hauptschul-Frust und Gettoisierung ein Ende haben. GEW, Jusos und Linke in der SPD fordern statt des dreigliedrigen Schulsystems ab Sekundarstufe II die "Schule für alle" - eine Gemeinschaftsschule, in der Kinder nicht nach Leistungsniveau sortiert, sondern im Klassenverband differenziert gefördert und gefordert werden. Kurz nach der Wahl sagte der Mainzer Ministerpräsident im Interview mit der GEW-Zeitschrift vieldeutig, in Deutschland müsse man bei der Aufhebung der Dreigliedrigkeit schrittweise vorgehen, um nicht in einer ideologischen Sackgasse zu landen. Und die gut angenommenen Gesamtschulen zeigten, dass man auf dem richtigen Weg sei.
Zwei knappe Sätze, die Gewerkschafter und Jusos jubeln ließen, beim ehemaligen Koalitionspartner FDP dagegen Empörung auslösten. Die Liberalen wollen wie die CDU am dreigliedrigen System festhalten und warnen vor einem "Schulkampf" im Land. Der Jungliberale David Diez hält den Ball lieber flach:
"Kurt Beck weiß natürlich ganz genau, dass er bei einem Land, das so konservativ strukturiert ist wie Rheinland-Pfalz, es natürlich schwer haben wird, mit einer wirklich linken Politik Mehrheiten für sich zu gewinnen. Im Parlament hat er die natürlich jetzt, das ist keine Frage, aber 2011 werden die Karten neu gemischt und da ist er so klug zu wissen, dass wenn er auf 'SPD pur' setzen würde und linke Träume realisieren würde, dass das dann für ihn das Ende bedeuten würde ..."
Zum "Kampf" scheint der rheinland-pfälzische Schulstreit tatsächlich nicht anzuschwellen. Denn statt die Hauptschule schrittweise abzuschaffen, wie viele Bildungsexperten fordern, will die Mainzer Schulministerin Doris Ahnen die Sozialarbeit an dieser Schulform flächendeckend ausweiten. In einer ideologischen Diskussion über einen Systemwechsel will sich Ahnen nicht verschleißen. Wo immer die Schulministerin in diesen Tagen auf das überraschende Statement des Regierungschefs angesprochen wird, wiegelt die Beck-Vertraute ab. Keine Rede mehr davon, die Dreigliedrigkeit ad acta zu legen:
"Wir haben in Rheinland-Pfalz das dreigliedrige Schulsystem bereits ergänzt um Regionale Schulen und integrierte Gesamtschulen. Und eines ist völlig klar: Wenn die Zahl der Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I zurückgeht, dann werden wir auch neue und weitere Formen der Kooperation vor Ort brauchen und auch der Kooperation unterschiedlicher Schularten. Das kann dann eben vor Ort die Regionale Schule sein, es kann aber auch sein, dass vor Ort Integrierte Gesamtschulen entstehen. Man muss auf die konkrete Situation reagieren."
30 Prozent der Kinder in Rheinland-Pfalz lernten schon länger gemeinsam, betont das Ministerium, und zwar dank der vielen rheinland-pfälzischen Schul-Sonderformen. Wie zum Beispiel die Regionale Schule, die auf dem Land Real- und Hauptschüler gemeinsam unterrichtet und in den Hauptfächern Kurse in verschiedenen Leistungsstufen anbietet. Doch Tilman Boehlkau, Landeschef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, findet die Vielfalt eher verwirrend als hilfreich bei der Entscheidung nach dem vierten Schuljahr:
"Wir haben schon in CDU-Zeiten Mitte der 70erJahre eine Orientierungsstufe in Rheinland-Pfalz eingerichtet, es gab sogar verbundene Orientierungsstufen zwischen Hauptschulen und Realschulen, Realschulen und Gymnasien und so weiter. Da haben die Kinder aus den Grundschulen tatsächlich noch mal zwei Jahre gemeinsam länger lernen können. Was ist denn heute? Das längere Gemeinsame Lernen, so wie es sich die GEW, vorstellt, das gibt es in Rheinland-Pfalz nicht. Wir hoffen, dass das irgendwann mal umgesetzt wird ...."
Die Forderung, "SPD pur" mutig umzusetzen, wird man in Rheinland-Pfalz wohl noch häufiger hören. Die neue Machtfülle der Sozialdemokraten in Mainz ist zugleich ihr strategisches Dilemma, analysierte der Landauer Politikwissenschaftler Ulrich Sarcinelli anlässlich der Konstituierung des neuen Landtags.
""Absolute Mehrheiten erzeugen Erwartungen innerhalb der Partei, die die absolute Mehrheit erreicht hat und natürlich im Lande. Das macht das Regieren nicht unbedingt leichter. Die innerparteilichen Erwartungen, auch die Erwartungen innerhalb der Fraktion können nicht diszipliniert werden mit einem Koalitionspartner, auf den man verweist und auf den man Rücksicht nehmen muss, sondern es ist sozusagen aus eigenem Handeln, aus eigenem Recht. Insofern kommt es sehr darauf an, dass man in einem Land wie Rheinland-Pfalz, das ja nicht ein prädestiniertes SPD-Land ist, sehr diszipliniert regiert mit dieser Mehrheit."
"Diszipliniert regieren" - für die SPD im eher ländlich-konservativen Rheinland-Pfalz dürfte das heißen: die eigene Klientel auf dem linken Flügel öfter mal zu verprellen. Ohne einem Koalitionspartner dafür die Schuld in die Schuhe schieben zu können.
100 Tage nach der Wahl in Sachsen Anhalt
Von Verena Kemna
In Rekordzeit, nur drei Wochen nach der Landtagswahl, hat sich die neue große Koalition in Sachsen-Anhalt geeinigt. Vier Ministerien für die CDU, die mit 36,2 Prozent der Stimmen als klarer Wahlsieger bestätigt worden ist. Ebenfalls vier Ministerien für die Sozialdemokraten, die mit nur 21,4 Prozent der Stimmen weit hinter den eigenen Erwartungen zurück geblieben sind. Ein niedriges Wahlergebnis und trotzdem hat die SPD in den Verhandlungen ihre Trumpfkarte als einzig möglicher Koalitionspartner ausgespielt.
Schon im Wahlkampf hatten die Sozialdemokraten der CDU eine große Koalition angeboten. Am Wahlabend war klar: CDU-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer kann nur Regierungschef bleiben, wenn er mit der SPD zusammen regiert. So hat das großzügige Angebot von Ministerpräsident Böhmer, nur wenige Tage nach der Wahl, nicht überrascht.
Wolfgang Böhmer: "Ich möchte, dass wir mit dem Koalitionspartner so gut zusammen arbeiten, dass wir gemeinsam die Probleme des Landes lösen und uns nicht ewig lange in solchen Personalfragen verheddern. Man kann die Zusammenarbeit mit jedem Partner, und das gilt auch in der Familie, umso besser gestalten, wenn man ihn auch ein bisschen großzügig behandelt."
Der Ministerpräsident hat die Koalitionäre von Anfang an auf gute Zusammenarbeit eingeschworen. Hinter dem 60 Seiten dicken Koalitionsvertrag steckt die klare Handlungsprämisse: Weniger Schulden, mehr Arbeitsplätze. Der ehemalige Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Reiner Haseloff, ist der einzige neue CDU-Minister. Er hat im gleichen Haus nur die Etage gewechselt. Nun sitzt er ganz oben im sechsten Stock mit freiem Blick über die Dächer von Magdeburg. Doch dafür bleibt keine Zeit.
Der CDU-Mann ist Experte für Arbeitsmarktpolitik. Er kennt die Herausforderung. In Sachsen-Anhalt sind etwa 230.000 Arbeitslose gemeldet, die Arbeitslosenquote liegt bei 18 Prozent. Das ist weniger als im Vorjahr, aber immer noch zuviel, sagt Wirtschaftsminister Reiner Haseloff. Er ist zum ersten Mal Minister und hat sich viel vorgenommen. Sein Ziel: 60.000 neue Arbeitsplätze in den nächsten fünf Jahren.
"Also bisher haben unsere Wirtschaftsförderungsansätze dazu geführt, dass pro Jahr etwa 6000 neue Arbeitsplätze entstanden sind und 20.000 erhalten werden konnten. Das heißt, sie sind wettbewerbsfähig geblieben. Wir haben uns vorgenommen, diese Zahl zu verdoppeln. Das heißt in einer Legislaturperiode von fünf Jahren sind durchaus 50-60.000 Arbeitsplätze zusätzlich in Sachsen-Anhalt darstellbar."
Seine Forderung geht nur auf, wenn Unternehmer investieren und Arbeitsplätze schaffen. Dafür braucht das Land die Fördertöpfe der Europäischen Union. Sie sind gefüllt mit zwei Milliarden Euro für die nächsten sieben Jahre. Viel Geld, sagt der Wirtschaftsminister. Doch er weiß: Nur, wenn Sachsen-Anhalt 500 Millionen aus dem eigenen Landeshaushalt dazu gibt, können die EU-Gelder voll ausgeschöpft werden. Da werden 500 Millionen schnell zu einer magischen Zahl. Es ist genau die Summe, die im Haushaltsplan für das nächste Jahr fehlt. Dann rechnet der Wirtschaftsminister vor, dass 20.000 Landesbedienstete zuviel im Land genau eine halbe Milliarde kosten.
"Das ist genau die Koinzidenz, die besteht. Dass wir unsere offensive Wirtschaftspolitik nur dann fortsetzen können, wenn wir unsere Hausaufgaben in den öffentlichen Haushalten, also vor allem auf der Personalseite erledigen."
Jedes Jahr zweitausend Planstellen weniger, darauf haben sich CDU und SPD im Koalitionsvertrag geeinigt. Haushaltskonsolidierung ist das oberste Ziel der neuen Landesregierung. Dafür haben CDU und SPD im Wahlkampf geworben. Jetzt muss der neue SPD-Finanzminister Jens Bullerjahn das Wahlversprechen umsetzen. Die Zahlen liegen auf seinem Schreibtisch im Ministerium. Schulden: 20 Milliarden, Gesamthaushalt: 10 Milliarden. Zwischen den Ansprüchen der einzelnen Ressorts und den Einnahmen klafft ein Minus von etwa 450 Millionen. Finanzminister Bullerjahn schlägt vor: Die Kommunen sollen 133 Millionen weniger bekommen, den Rest müssen die Ministerien einsparen.
"Es geht mir darum auch zu zeigen, was an guter Politik drinne steckt. Also all das, was mit Arbeitsplätzen zu tun hat oder mit Bildung, das soll ja nicht so angepasst werden wie etwa der Bereich Polizei, wie eben der Bereich Landesverwaltung oder Kommunalfinanzen. Aber alles beim status quo zu halten, funktioniert nicht."
Hauhaltskonsolidierung, jetzt oder nie, die Koalitionspartner sind sich einig. Der Sprengstoff für den Koalitionsfrieden liegt in der geplanten Verwaltungsreform. Als Oppositionspartei und im Wahlkampf hatte sich die SPD für Einheitsgemeinden stark gemacht. Nun steht das Anliegen der Sozialdemokraten schwarz auf weiß im Koalitionsvertrag. Straffe Strukturen helfen Geldsparen, sagt Finanzminister Bullerjahn. Er ist überzeugt.
"Dass es Ausnahmeregelungen in den dünn besiedelten Regionen geben muss, war allen klar, aber diese Vielfalt, wie wir sie jetzt in den Verwaltungsgemeinschaften haben, ist einfach nicht mehr bezahlbar."
Er rechnet fest damit, dass die CDU zum Koalitionsvertrag steht. Auch CDU-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer zweifelt nicht daran. Doch in seiner eigenen Partei, an der Basis, bei den Wählern in den kleinen Dörfern im Harz und in der Altmark formiert sich Widerstand.
Bernd Wießel ist Geschäftsführer der CDU in der Altmark und mit Leib und Seele Bürgermeister. Er ist sich sicher: Wenn die Einheitsgemeinde kommt, haben die Menschen in den kleinen Orten nichts mehr zu sagen. Kein eigener Haushalt, keine eigenen Räte, das ist undemokratisch, sagt der CDU-Politiker. Er hat gegen den Koalitionsvertrag gestimmt.
"Da wird also heftig über das Problem gestritten und ich spüre schon, dass unsere Innenpolitiker erkannt haben, dass das, was im Koalitionsvertrag steht, wohl nicht ganz so richtig war."
Kleine Orte, die sich in den nächsten drei Jahren nicht freiwillig zusammenschließen, sollen per Gesetz gezwungen werden. So steht es im Vertrag. Für den SPD-Minister Bullerjahn ist die Einheitsgemeinde ein Zugeständnis der CDU an den Koalitionspartner, nicht mehr und nicht weniger.
"Also erwarte ich auch, dass die CDU ganz klar erkennt, das muss sie mit tragen. Das ist keine Frage von Stimmungen und einzelnen Personen. Da weiß ich auch Ministerpräsident Böhmer an meiner Seite. Wir diskutieren jetzt und versuchen, so viele wie möglich zu überzeugen. Aber ich bin auch sicher, dass sich die Frage der Einheitsgemeinde im Jahr 2009 ganz anders darstellen wird."
Inzwischen sind die Eckdaten für den Haushalt bekannt. Spätestens in vier Jahren sollen keine neuen Schulden dazu kommen, Vorschläge zur Konsolidierung liegen auf dem Tisch. Genügend Angriffsfläche für die Opposition aus Linkspartei und FDP. Bei der nächsten Landtagssitzung, noch vor der Sommerpause, muss die neue Große Koalition in Sachsen-Anhalt ihre erste Feuerprobe bestehen.