Wandel in der Arbeitswelt

Lebenslang lernen – aber wie?

Mechatroniker installieren einen Roboter in der Karosseriefertigung des Sportwagenbauers Porsche.
Maschinen auf dem Vormarsch: Durch Roboter könnten Millionen von Arbeitskräften überflüssig werden. © picture alliance / Jan Woitas
Von Christina Küfner · 05.06.2018
Durch die Digitalisierung könnten in den kommenden Jahren Millionen Jobs wegfallen. Wer sich auf dem Arbeitsmarkt behaupten will, muss sich ständig weiterbilden. Doch wie das aussehen könnte, wissen viele Beschäftigte nicht.
Die Arbeitswelt verändert sich - und das Adjektiv, das jetzt schon fast zwingend folgen muss, lautet: rasend. Digitalisierung, Automatisierung, Berufe im Wandel! Und die Beschäftigten müssen da irgendwie mit. Also mal rein in diese Arbeitswelt.
"Ich habe angefangen als normaler Schlosser und bin mittlerweile Vorarbeiter in der Abteilung Greifertechnik."
Marcel Wahl ist einer, den man wohl als gutes Beispiel für lebenslanges Lernen bezeichnen kann. Mit seinem Job früher hat die Arbeit heute fast nichts mehr zu tun.
"Hat sich schon stark geändert. Ich habe gewisse Lehrgänge mitgemacht, ich habe in der Messtechnik gearbeitet, ich war weltweit auf Montage und habe mir so viel Fachwissen angeeignet und somit bin ich dann zu dem Job gekommen, den ich jetzt habe."
Marcel Wahl arbeitet in einer großen Produktionshalle im nordrhein-westfälischen Ratingen. Helles Licht flutet den hohen Raum, an den Werkbänken hantieren Arbeiter an Metallgestellen mit einem zangenartigen Ende – sie bauen die Hände von Robotern.
"Wir kommen ja eigentlich aus dem klassischen Maschinenbau und sind eigentlich mit mechanischen Aufgaben in erster Linie groß geworden. Wenn ich mir aber heute anschaue, was wir primär machen müssen – das sind Qualifikationen, die wir so gar nicht gelernt haben – wir als Maschinenbauer, wir von der Führungsriege nicht – und wo wir eigentlich dabei sind in den letzten Jahren uns erst das Know-how zu erarbeiten."
... sagt Olaf Tünkers, der Geschäftsführer. Wie durch ein Brennglas wird in dem Unternehmen sichtbar, wie umfassend sich die Arbeitswelt derzeit verändert. Die Berufe zeigen es, wie der von Marcel Wahl – und auch die Produkte, die hier entstehen. Denn die Roboterhände werden für große Autokonzerne gebaut, um dort die Hände von Menschen zu ersetzen.

"Wir sprechen im Karosseriebau von einem Automatisierungsgrad von 95 bis 98 Prozent und das schon seit einigen Jahren. Das heißt, sie sehen kaum mehr Menschen dort. Das ist natürlich auf der einen Seite bitter, auf der anderen Seite muss man sich Gedanken machen, was waren das für Arbeitsplätze, die wir hatten. Das waren natürlich keine hochqualifizierten Plätze, sondern es waren sehr mühsame Dinge, Schweißapparate, die früher manuell bedient worden sind, die jetzt weggefallen sind."
Eigentlich eine Ironie: Die einen arbeiten daran, dass die anderen bald nicht mehr arbeiten. Was wohl noch viele vor die Frage stellen wird, wie es beruflich weitergeht. Vorarbeiter Marcel Wahl glaubt, man hat es ein Stück weit selbst in der Hand.
"Der Mensch muss so sein, dass er sich immer weiter entwickelt. Wer stagniert, der ist, glaube ich, nicht für die Wirtschaft und für das Leben hier geschaffen."
22.04.2018, Niedersachsen, Hannover: Entwickler Christian Trapp interagiert bei der Hannover Messe am Stand von Festo mit einem Roboterarm. Festo zeigt mit dem BionicWorkplace einen Arbeitsplatz für die Mensch-Roboter-Kollaboration. 
Je besser Roboter werden, desto mehr Arbeitskräfte können sie ersetzen.© picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte

Jeder vierte Job ist ersetzbar

Doch wie viel Platz wird diese Wirtschaft künftig noch haben für Menschen? Und wo werden die dann arbeiten? Die neuen Leistungsträger sind schon jetzt andere – Roboter und computergestützte Maschinen, unendlich präzise und schnell.
"Man kann grundsätzlich sagen, immer wenn es um standardisierbare, sich wiederholende Tätigkeiten geht – das ist sehr gefährdet durch die Automatisierung und Digitalisierung."
Joachim Möller ist Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung IAB in Nürnberg. Das IAB hat das sogenannte Substituierbarkeitspotenzial verschiedener Berufsgruppen untersucht. Will heißen: In welchen Jobs Menschen künftig wegfallen könnten. Und wenn man das alles mal durchrechnet ...
"... dann kommen wir auf etwa 25 Prozent der Personen, deren Jobs durch Technik ersetzbar sind. Das ist natürlich schon eine massive Zahl, da werden sehr, sehr viele betroffen."
Mit anderen Worten: jeder vierte Arbeitsplatz. Vor allem bei Hilfskräften wächst das Risiko durch Computer oder Roboter ersetzt werden. Knapp 60 Prozent von ihnen könnten überflüssig werden. Selbst wer ein Studium hat, ist davor nicht gefeit – Akademiker sind zu 24 Prozent "substituierbar".

Beschäftigte müssen Kompetenzen anpassen

Arbeitsmarktforscher Joachim Möller will die Zukunft trotzdem nicht schwarz malen. Es würden auch neue Tätigkeiten entstehen. Innerhalb der Berufe stünden allerdings massive Umbrüche bevor.
"Wir werden schrumpfende Bereiche haben, Fertigungsberufe sind recht stark betroffen. Wir werden aber auch viel sehen in manchen Dienstleistungsberufen. Man muss davor keine Angst haben. Aber man sollte sich darauf einstellen, dass da etwas auf bestimmte Personen in bestimmten Bereichen zukommt, die auch darauf reagieren müssen."
Eine Entwicklung, die eigentlich uralt ist. Sie heißt Fortschritt und hat die Arbeitswelt immer wieder verändert. Dampfmaschine, elektrische Energie, dann der Computer, nun die umfassende Digitalisierung. Die vierte große Revolution. Einen Namen hat sie auch: Arbeit 4.0.
Wirtschaft und Politik reden oft davon, wenn sie den Wandel beschreiben. Und noch ein Schlagwort hört man inzwischen immer wieder: lebenslanges Lernen. Denn wer mithalten will in der digitalisierten Arbeitswelt, muss seine Kompetenzen anpassen.
Das einzige Problem: Die meisten wissen nicht wie. Ein diffuses Gefühl von Bedrohung haben viele. Doch was heißt das konkret? Einen neuen Job suchen? Abendschule? Weiterbildung? Und wenn ja, welche?

Ein Beratungscenter für lebenslanges Lernen

"Wir haben hier, wenn Sie sich für Weiterbildung interessieren, eine Themeninsel. Und hier haben wir für die Erwachsenen die Medien zusammengestellt, die sich für eine Weiterbildung interessieren."
Das Beratungscenter für lebenslanges Lernen in Düsseldorf will hier Licht ins Dunkel bringen. Ein weiter Raum, modernes Design, alles in Weiß.
"Und ganz neu, wenn Sie noch im Erwerbsleben sind und sich jetzt neu orientieren wollen, dann gibt es auch die Möglichkeit mit einem Tagesberater zu sprechen, der mit Ihnen abklären kann, wo es in Zukunft für Sie hingehen kann."
... erklärt eine freundliche Dame am Empfang. Das Beratungscenter ist das erste seiner Art in Deutschland und gehört zur Arbeitsagentur Düsseldorf. Ohne Nummerziehen und Behördengrau, stattdessen mit Wohlfühl-Ambiente und einer stylischen Sitzecke. Gedränge herrscht hier nicht gerade an diesem Vormittag, doch eine Kundin hat Birgitt Lemke-Littkes trotzdem vor sich. Die Rheinländerin ist seit vielen Jahren Berufsberaterin und weiß genau, wie man die Leute am besten anpackt.

"Wenn Sie das machen, Ihre Ideen so clustern, bitte unter folgenden Bedingungen. Sie werden jetzt gleich lachen, aber es hilft tatsächlich, unter den angenehmsten Bedingungen, die sie kennen. Jetzt nicht hochmotiviert nach Hause stürmen, boah, ich habe mich beraten lassen, ich mache mir jetzt eine Excel-Tabelle am PC und mach das – das wird nicht funktionieren. Ich möchte, dass Sie ein bisschen auf Ihren Bauch hören – den Kopf nehmen wir später dazu, aber für die ersten Sachen Ihren Bauch."
Die Kundin, die vor Lemke-Littkes sitzt, ist Designerin und will sich selbstständig machen. Ein fester Job sei schwer zu kriegen, erzählt die Frau, die gern anonym bleiben will. Und ja, natürlich, lebenslanges Lernen sei auch in ihrem Beruf ein Thema.
"Ja, ich möchte das schon weiterhin machen, weil mich das völlig begeistert. Allerdings ist es schon so, dass man bereit sein muss, sagen wir mal, computermäßig da auf dem neuesten Stand zu sein, sich weiterzubilden, sich fortzubilden, das wir schon auch verlangt, auch wenn man freiberuflich arbeitet."
Konkrete Ideen hat die Kundin bereits.
"Zum Beispiel Illustrator-Seminare interessieren mich sehr, weil das die Grundlage dafür ist zu zeichnen oder Zeichnungen abzugeben. Die müssen digitalisiert werden, das geht gar nicht anders."
"Die Bedürfnisse sind einfach ganz vielfältig, aber sehr stark geprägt von einer unheimlichen Veränderung, vor allen Dingen in Bereichen, die man vielleicht vor vier bis fünf Jahren noch gar nicht auf dem Radar hatte."
... sagt Birgitt Lemke-Littkes. Nicht alle Kunden wissen genau, was sie eigentlich wollen. Sie müsse dann erst mal viele Fragen stellen, erzählt die Berufsberaterin. Und so herauskitzeln, wo die Reise denn hingehen könnte.
"Die finden das selber, ich begleite die auf diesem Findungsprozess. Das ist einfach so, dass man vielleicht manche Türen öffnet und dann versuchen wir da irgendwas zu finden, wo Sie sagen, das ist eine Richtung für mich, da habe ich vielleicht selber noch gar nicht darüber nachgedacht. Ich möchte einfach erreichen einen anderen Blickwinkel von Menschen sich zu öffnen, was kann ich denn noch außer, das was ich gerade gelernt habe. Wir bringen alle viel mehr mit, wie das, was uns vielleicht bewusst ist."
Agentur für Arbeit, aufgenommen am 17.04.2017 in Duisburg. Die Bundesagentur für Arbeit ist die Verwaltungsträgerin der deutschen Arbeitslosenversicherung mit Sitz in Nürnberg.
Beratungscenter statt Arbeitsagentur - sieht so die Zukunft aus?© imago/Revierfoto

Berufsberatung in allen Lebensphasen?

Türen öffnen, Potenziale entdecken – das klingt wenig nach Behörde, sondern fast schon nach: Mensch. Ist aber erst mal ein Test. Denn das Beratungscenter für lebenslanges Lernen ist Teil eines Pilotprojekts der Bundesagentur für Arbeit. Seit einem Jahr läuft es in vier Städten. Und derzeit wird diskutiert, so eine Beratung fest einzuführen und zwar in ganz Deutschland.
"Wir gehen davon aus, der Einzelne muss sich häufiger als in der Vergangenheit mit einer Situation auseinandersetzen, wo er sagt, ich spüre, dass das, was ich derzeit in meinem Beruf mache, sich stark verändert, was bedeutet das für mich, muss ich mich ebenfalls verändern, muss ich möglicherweise neue Fähigkeiten erwerben?"
Marc-Cliff Zofall leitet den Pilotversuch der Bundesagentur für Arbeit. In seinem Büro in Nürnberg zeigt er auf eine Powerpoint-Folie. Demografischer Wandel steht da, veränderte Einstellungen der Erwerbstätigen und ganz oben: Digitalisierung.

"Diese ganz stabilen Erwerbsbiografien, die wir vielleicht noch aus der Vergangenheit kennen, wo ich sage, ich habe eine Ausbildung gemacht, und ich bleibe in meinem Ausbildungsbetrieb mein gesamtes Erwerbsleben – sagt die Wissenschaft – wird eher die Ausnahme sein denn die Regel. Also wollen wir mit unserem Angebot sagen, dem stellen wir uns und da stellen wir ein Angebot zur Verfügung."
Die Antwort also für alle, die nicht so genau wissen, wie es beruflich weitergehen soll?
"Es ist wichtig zu betonen, dass der Einzelne seine Entscheidung trifft, deswegen nennen wir dieses Projekt auch Projekt ICH – einfach um deutlich zu machen, es geht jetzt nicht darum, besserwisserisch irgendwelche Leute zu bekehren oder in eine bestimmte Richtung zu dirigieren. Sondern es geht darum, dem Einzelnen eine fundierte Entscheidung, die er selbst treffen muss, zu ermöglichen. Das ist die Idee."
Ein Auszubildender arbeitet an einer Mauer.
Stabile Erwerbsbiografien wie in der Vergangenheit wird es nicht mehr geben, sagen Experten.© picture alliance/ dpa/ Oliver Berg

Mühsamer Weg durch den Bildungsdschungel

Mit der Entscheidung ist es tatsächlich oft gar nicht so leicht, denn Möglichkeiten sich weiterzubilden, gibt es gefühlt tausende. Vom zweitägigen Workshop bis zum zweijährigen Lehrgang. Gefördert von der Firma oder außerbetrieblich, finanziert aus eigener Tasche.
Mit der Orientierung hat auch ein junger Kunde im Düsseldorfer Beratungscenter für lebenslanges Lernen so seine Probleme.
"Weil ich halt durch einen Freund, einen ehemaligen Arbeitskollegen mitbekommen haben, dass es ja diverse Fortbildungen gäbe mit Bildungsgutschein und dergleichen. Als ich ihn getroffen hab, hat er gesagt, er hätte sich ein riesiges Portfolio an Weiterbildungen zusammensammeln können, bei ihm jetzt gerade im Bereich verschiedene Software und anstatt 2D auf einmal 3D Design und solche Sachen."
"Der erste Schritt für Sie ist ja jetzt erst einmal einen anerkannten Ausbildungsabschluss zu haben."
Der junge Mann hat im Ausland studiert, doch sein Abschluss wurde in Deutschland nicht anerkannt. Nun denkt er über eine Weiterbildung nach. Oder vielleicht doch noch mal Uni?
"Ich finde es extrem schwierig, da noch großartig einen Überblick zu haben. Und auch im Gespräch ist uns gerade mal aufgefallen, wie viele Studiengänge es eigentlich gibt. Man muss quasi sehr, sehr früh sich schon bewusst sein, was man haben will am Ende, was dabei rauskommen soll, damit man schon sehr früh, am besten natürlich schon nach dem Abitur, die Weichen dahin stellen kann."
Ein paar tausend Menschen haben sich im Beratungscenter für lebenslanges Lernen inzwischen informieren lassen. Schüler, Studenten, Arbeitslose. Aber auch viele Menschen, die einen Job haben und sich umorientieren wollen. Spätestens hier kann es auch heikel werden. Denn was, wenn das nicht ganz im Sinne des Chefs ist?

Politische Diskussion um Weiterbildung

Barbara Dorn ist Abteilungsleiterin für Berufliche Bildung im Arbeitgeberverband BDA. Sie begrüßt das Projekt. Und sicher, die Bundesagentur für Arbeit sei in Sachen Beratung ein wichtiger Partner, aber:
"Wir wünschen uns natürlich, dass die Bundesagentur die Betriebe als Zielgruppe immer mitdenkt und auch ihre Kompetenz zur Unterstützung und Beratung der Betriebe weiterentwickelt."
Will heißen, die Berater sollen auch auf eine Qualifizierung im Unternehmen hinweisen. Man könnte es aber auch andersherum formulieren: Die Selbstfindung im "Projekt Ich" soll bitte nicht so weit gehen, dass Fachkräfte am Ende weg wollen von ihrem Betrieb. Einen Konflikt sieht Dorn bei der lebensbegleitenden Berufsberatung zwar erstmal nicht. IHK und Kammern sind nämlich auch eingebunden. Ein Problem könnte dafür aber woanders auftauchen.
"Es ist davon die Rede, dass Arbeitgeber Weiterbildungsbedarf, der über eine solche Beratung identifiziert wird auch dann verantworten und gestalten sollen, wenn er nicht dem betrieblichen Weiterbildungsbedarf entspricht. Da wird es kritisch. Das dem einzelnen Arbeitgeber aufzubürden, halten wir für nicht nachvollziehbar."
Wenn der Betrieb die Weiterbildung bezahlt, solle sie auch dessen Bedarf entsprechen.
"Die private Wirtschaft investiert pro Jahr über 33 Milliarden Euro in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter, rund 85 Prozent der Unternehmen beteiligen sich an diesen aktiven Weiterbildungsstrategien. Aber wir möchten uns da nicht das Heft aus der Hand nehmen lassen."
Ein Schlaglicht auch auf die politische Diskussion um Weiterbildung – und die Frage, wer hier wie viel Einfluss ausübt. Letztes Jahr hat es da bereits richtig Ärger gegeben. Andrea Nahles, damals noch Arbeitsministerin, wollte die Bundesagentur für Arbeit umbauen – zu einer Agentur für Qualifizierung. "Teure Planwirtschaft, weit weg von der Praxis", rumpelten die Arbeitgeber, die die Verwaltung der Bundesagentur mitsteuern. Und, keiner könne Weiterbildung besser als die Betriebe.
Nun ist ein neuer Arbeitsminister im Amt - SPD-Mann Hubertus Heil. Auch er will die Bundesagentur für Arbeit langfristig weiterentwickeln, die Verantwortung stärker fokussieren auf die Weiterbildung von Arbeitnehmern. Hier dürfte es also noch Diskussionen geben.

Die meisten bilden sich im Betrieb weiter

Wer individuelle Weiterbildungswünsche hat, kann dafür natürlich auch selbst aufkommen – und das tun viele. Einen beträchtlichen Anteil ihrer beruflichen Weiterbildung finanzieren die Deutschen selbst, hat das Bundesinstitut für Berufsbildung, kurz BIBB, ermittelt.
Noch in diesem Monat veröffentlicht das BIBB eine neue Studie, aus der wir heute bereits zitieren dürfen. Rund 18 Milliarden investieren die Menschen demnach aus eigener Tasche. Seminare sind allerdings oft teuer – und nicht jeder kann sich das leisten.
Für lebenslanges Lernen muss man deshalb auch öffentliche Gelder in die Hand nehmen, sagt Josef Schrader. Er ist Direktor am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung, einer Forschungseinrichtung von Bund und Ländern.

"Wenn man genauer hinschaut, sieht man erhebliche soziale Differenzen in der Weiterbildungsbeteiligung nach Alter, Schulbildung, Stellung im Erwerbssystem, auch nach Migrationsstatus. Das heißt, es gibt eine ganze Reihe von Adressatengruppen, von denen man von außen betrachtet sagen würde, da gibt es einen hohen Weiterbildungsbedarf, die über Weiterbildungsangebot oder -anbieter bisher nicht hinreichend erreicht werden."
Die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten in Deutschland bildet sich allerdings ohnehin im Betrieb weiter. Viele können sich dort weiterqualifizieren. Wobei, sagt Schrader, auch da gibt es Grenzen.
"An der innerbetrieblichen Weiterbildung nehmen insbesondere die teil, die innerhalb der Unternehmen schon Karriere gemacht haben, also einen etwas höheren Status schon erreicht haben – die Besserqualifizierten, diejenigen die jünger sind im Vergleich zu denjenigen, die bereits etwas älter sind. Das heißt, innerbetriebliche Weiterbildung klammert bestimmte Adressatengruppen, die möglicherweise besonders hohen Lernbedarf hätten aus, weil sie sie nicht systematisch genug in den Blick nimmt."
Zurück bei Tünkers in Nordrhein-Westfalen. Hasan Malcioglu scheint mit seiner beruflichen Entwicklung zufrieden. Aus der Türkei kam er vor vielen Jahren nach Deutschland. Über eine Zeitarbeitsfirma fand er dann in sein Unternehmen.
"Ich habe alles hier gelernt, was ich machen musste. Für ein anderes System habe ich hier dann eine Weiterbildung gemacht - SAP-mäßig. Und wir haben neues System jetzt. Und dann haben wir da auch noch was gelernt."
Hasan Malcioglu arbeitet in der Logistik des Unternehmens, koordiniert die Einlagerung der Komponenten. Ein Job, der anderswo allerdings längst von Maschinen erledigt wird.
"Mein Bereich - habe ich keine Angst. Aber wenn wir allgemein denken, natürlich habe ich Angst. In einer Fabrik - nur eine Person, die dann einen Knopf drückt und dann arbeiten die Roboter und sowas. Könnte auch sein. Aber ich will nicht so weit denken."
Auch bei Tünkers sausen bereits einige umher – silbrig glänzende Roboter, die Produkte aus dem Hochregallager holen und führen sie über Entnahmestationen. Sozusagen die Logistik-Kollegen von Hasan Malcioglu. Der denkt trotzdem eher pragmatisch. Sich weiterbilden im Job begreift er als Chance. Wenn man sich anstrengt, sagt er, geht es ja doch immer irgendwie weiter.
"Da müssen wir jeden Tag was anderes lernen. Eigentlich muss ich persönlich sagen, das stört mich nicht. Mein Lebensprinzip ist, dass ich lebenslang lernen muss."
Ausbilder und Lehrling in einer Lehrwerkstatt
Weiterbildung im Betrieb: das betrifft nicht nur für Lehrlinge.© imago/photothek

Kaum Unterstützung, wenig Eigeninitiative

Wie wichtig das ist, weiß in Deutschland fast jeder, hat eine Studie der Vodafone Stiftung ergeben. 10.000 Beschäftigte aus zahlreichen Unternehmen wurden dafür befragt. Und fast 100 Prozent sagen, ja, wir wissen, lernen gehört zu unserem Job. Die meisten wollen sich auch entwickeln. Fast zwei Drittel geben an, sie möchten gern Verantwortung für ihre Weiterbildung übernehmen. Trotzdem gibt es da ein Problem, hat die Vodafone Stiftung herausgefunden.
"Wir haben in der Studie uns die Lernkultur angeguckt. Das ist sozusagen ein etwas nebulöserer Begriff, der aber im Wesentlichen ausdrückt, ob Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich in ihrem Lernen gewertschätzt fühlen und die Wenigsten stimmen so einem Statement zu wie ‚Das Lernen und die Weiterbildung sind gelebte Werte in meinem Unternehmen’."
... erklärt Johanna Börsch-Supan, die Projektleiterin der Studie.
"Also wenn man zum Beispiel fragt: Darf man beim Lernen Fehler machen? Dann sagen die meisten, nee, bei uns ist das nicht in Ordnung, ich darf keine Fehler beim Lernen machen. Und das ist das, was wir mit Lernkultur beschreiben. Wo von den Befragten wirklich nur eine Minderheit – das waren acht Prozent – angeben, die Lernkultur in ihrem Unternehmen, die sei gut oder sogar sehr gut."
Auch, dass es sehr unterschiedliche Lerntypen gibt, sei vielen Führungskräften noch zu wenig bewusst. Ob und wie gut lebenslanges Lernen funktioniert, scheint allerdings nicht nur an den Vorgesetzten zu liegen. Denn die Vodafone Stiftung hat auch untersucht, wie die Menschen ihr eigenes Lernverhalten einschätzen.
"Nur ein Drittel der Beschäftigten, die wir hier befragt haben, gibt an, überhaupt aktiv nach Weiterbildungsformaten zu suchen. Das heißt, die meisten, fragen nicht mal nach, was ist denn jetzt für mich geeignet, was könnte ich am besten lernen. Da scheitert man sozusagen schon vor dem Lernen. Wenn dann gelernt wird, oder wenn sich entschieden wird für eine Wiederbildung, dann kann man sehen, dass noch viel weniger – so ungefähr 20 Prozent – sich dann keine festen Lernziele setzen oder einen Lernplan machen."
Der innere Schweinehund, das ewige Thema – vor allem wenn es um neue, unbekannte Inhalte geht. Aber ist es tatsächlich immer nur eine Frage der Motivation?

Oft fehlt zum Lernen einfach die Zeit

Ein Blick zurück in die berufliche Praxis, diesmal zu T-Systems – IT-Dienstleister und Tochter der Deutschen Telekom. In der Berliner Niederlassung des Unternehmens, einem mehrstöckigen Bau im Norden der Stadt, arbeitet Eva Snigula.
"Ich denke mal, es ist gar keine Frage, ob wir lebenslang lernen müssen, sondern wie wir lebenslang lernen wollen. Weil das ist selbstverständlich für uns, dass wir das tun."
Eva Snigula ist stellvertretende Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats bei T-Systems. Die Kommunikation mit dem Arbeitgeber beschreibt sie als gut. Man teste verschiedene Lernkonzepte. Nur ein Problem, das lasse sich grundsätzlich schwer lösen.
"Die Ansprüche an die Produktivität werden immer hochgeschraubt und es bleibt eigentlich kaum noch Zeit, um andere Tätigkeiten zu machen wie etwa zu Beispiel zu lernen. Das ist natürlich schwierig. Einerseits will man in der Lage sein zu gucken, was brauche ich noch, wo will ich hin. Andererseits ist man aber bis obenhin zu mit der täglichen Projektarbeit und der Kunde hat immer Vorrang, so muss es sein. Und das ist natürlich ein Konflikt, den man ständig hat, dass die Kolleginnen und Kollegen schon wissen, für die Erhaltung ihres Wertes und auch die Perspektive müssen sie lernen und müssen sie am Ball bleiben. Andererseits fehlt ihnen einfach die Zeit."
Ein Konflikt, der sich wahrscheinlich zunehmend verschärft. Denn die Digitalisierung setzt die Unternehmen unter dauernden Aktualisierungsdruck und Führungskräfte erwarten, dass die Belegschaft da mitzieht.
"Ich würde mir wünschen, dass die Mitarbeiter noch eigenverantwortlicher und mit noch mehr Interesse ihre Weiterbildung steuern. Was ich erlebe ist eher, dass Mitarbeiter in Richtung Veränderung Transformation, Change zurückhaltender, abwartender sind. Ich würde mir da noch mehr Eigeninitiative erhoffen und erwarten."
Elke Frank leitet die Personalentwicklung beim Mutterkonzern von T-Systems, der Deutschen Telekom. Sie verantwortet die Förderung und Bildung rund 200.000 Mitarbeitern weltweit.
"Da heißt es natürlich, die Mitarbeiter mit auf den Weg durch die Transformation zu nehmen und an dem Thema Lernkultur auch zu arbeiten. Wichtig ist: Das lebenslange Lernen - obwohl das schon ein sehr abgedroschener Begriff ist - ist und bleibt essenziell, um in der Digitalisierung auch beschäftigungsfähig zu bleiben."
Der Arbeitgeber müsse dafür Zeitfenster einräumen, sagt Elke Frank. Allerdings sollten Beschäftigte schon auch nach Feierabend mal daran denken, an sich zu arbeiten.
"Wenn dieses Eigeninteresse besteht, dann glaube ich, ist ein Lernen zum Beispiel auch in der Freizeit für jeden mehr eine Bereicherung als eine Last. Wenn jemand lieber am Wochenende lernt oder das gerne in der Nacht macht oder früh morgens, dann fände ich das klasse, wenn er das tun könnte. Ich glaube, im Gesamten muss es eine gute Balance zwischen der Investition des Arbeitgebers durch Trainingsgelder und Trainingszeiten und dem Eigeninteresse und dem Eigeninvest der Mitarbeiter geben."

Gewerkschaften fordern Weiterbildungsgesetz

Müssen wir also rund um die Uhr lernen, um im Job zu bleiben? Der Wandel in der Arbeitswelt verlangt Anpassung, immer öfter und immer schneller. In fast allen Branchen.
"Das Konzept vom lebenslangen Lernen, das kennen wir im Grunde genommen schon seit Jahrzehnten. Die Situation, vor der wir aber jetzt mit der Digitalisierung der Arbeitswelt stehen, ist eine doppelt Belastende. Das eine ist, dass der Druck Neues zu lernen und die Zeitzyklen sozusagen intensiver werden. Es muss rascher mehr gelernt werden."
Michael Fischer ist Leiter des Bereichs Politik bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, eins seiner Hauptthemen: die Digitalisierung und der Wandel der Arbeitswelt.
"Gleichzeitig berichtet fast die Mehrheit der Beschäftigten, die von sich sagen, sie seien durch die Digitalisierung in hohem oder sehr hohem Maße betroffen, davon, dass die Arbeitsbelastung zugenommen hat. Es ist einfach auch die schiere Arbeitsmenge selber. Und sie ist mit der Digitalisierung für einen großen, für einen zu großen Teil der Beschäftigen angewachsen."

Wenn lebenslanges Lernen funktionieren soll, sagen die Gewerkschaften, müssen die Voraussetzungen stimmen. Im Hinblick auf Zeit, Finanzierung, und auch Beratung. Das wollen sie von der Politik geregelt sehen.
Und an noch eine Sache müsse man dringend ran, sagt Fischer – den undurchdringlichen Weiterbildungsdschungel.
"Da sind wir zum Beispiel beim sehr heterogenen Kreis der Weiterbildungsträger, wo wir ein großes Fragezeichen haben, hinsichtlich verlässlicher Qualitätsstandards, wo wir Probleme sehen, hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Zertifikate oder Abschlüsse, die man da erwerben kann – und wir deshalb weiterhin mit unserer Forderung aktuell sind, dass wir im Grunde genommen ein Bundesweiterbildungsgesetz brauchen, dass dieser – man kann es so sagen – Wildwuchs in der Weiterbildungslandschaft eingedämmt wird."
Unübersichtliches Angebot, Zeitmangel, rasanter Wandel der Arbeit – all das kann den Erfolg von lebenslangem Lernen behindern. Doch da ist noch was.
Menschen sitzen in Duisburg in einem Mikroskopierkurs, schauen in die Mikroskope, ein Lehrer hilft.
In vielen Betrieben kommt die Weiterbildung zu kurz.© imago/Olaf Döring

Woher die Motivation kommt

Zurück im Beratungscenter für lebenslanges Lernen in Düsseldorf. Berufsberaterin Birgitt Lemke-Littkes hat eine weitere Kundin vor sich.
"Ich hatte schon ein Gespräch gehabt und da ging es darum, dass ich aus meinem jetzigen Fachgebiet eigentlich so ein bisschen raus möchte und ja, ganz gern in Richtung Personalberatung gehen würde."
Die junge Frau, die ebenfalls anonym bleiben will, hat Biologie studiert und nun, kurz nach dem Abschluss, festgestellt, das geht einfach gar nicht. Ein Lebenslauf also, der gerade erst anfängt, aber schon einen Knick macht. Und jetzt?
Die Berufsberaterin legt Karten auf den Tisch, darauf stehen Begriffe.
"Als Bildungswissenschaftlerin bin ich der Meinung, der gute alte Pestalozzi hat mit manchen Sachen – Kopf, Hand, Herz – doch ein bisschen Recht gehabt. Und ich bin der felsenfesten Meinung, wenn wir eine Kombination hinkriegen würden, dann würden sie vielleicht eine Richtung finden, wo sie sich perspektivisch wohlfühlen. Wenn Sie sich denn neu orientieren wollen, dann bitte etwas, das für Sie perspektivisch auch am langlebigsten ist., dann bitte etwas, wo Sie lange gesund drin arbeiten können."
Die Entscheidung eine neue Richtung einzuschlagen war schwer, berichtet die Kundin. Auf dem Arbeitsmarkt hätte sie gute Chancen gehabt, meint sie – was unterm Strich aber trotzdem nicht helfe.
"Man ist einfach nicht gut in den Sachen. Man merkt immer, dass selbst wenn man gut ist, dass es immer andere Leute gibt, die ein bestimmtes Herzblut mitbringen, mehr Enthusiasmus haben. Und diese Leute sind immer besser – zu Recht. Und mit so etwas kann man nicht konkurrieren. Es gibt so viele verschiedene Berufsmöglichkeiten mittlerweile und so viele Arten, wie man arbeiten kann. Man muss irgendwie das Richtige für sich herausfinden."
Lebenslanges Lernen – es hängt wohl nicht nur von äußeren Faktoren ab, sondern auch davon, wie nah selbst dem Job ist. Der Wandel auf dem Arbeitsmarkt ist ein prägender Faktor. Die anderen aber sind persönliche Klarheit und die richtigen Ziele.
Und noch etwas kommt dazu, sagt Johanna Börsch-Supan, die das Thema für die Vodafone Stiftung untersucht hat. Wenn wir für tatsächlich lebenslang lernen wollen, dann müssen wir auch ganz dringend mal unsere Einstellung dazu ändern.
"Wir müssen alle besser werden, wie wir lernen, wir müssen das können mit dem Lernen planen und mit den Lernzielen setzen und aus dieser Kompetenz, würde ich sagen, kommt dann auch eine Motivation. Weil ich nicht jedes Mal, wenn ich mich hinsetze diese Hürde verspüre, oh, wie geht denn das jetzt. Diese Art von Leichtigkeit dem Lernen gegenüber und Natürlichkeit dem Lernen gegenüber brauchen wir."
Mehr zum Thema