Wallraff: Springer-Chef versucht, Geschichte zu verfälschen

Günter Wallraff im Gespräch mit Frank Meyer · 03.07.2009
Der Schriftsteller und Journalist Günter Wallraff glaubt, dass das vom Springer-Verlag angekündigte "Springer-Tribunal" vor allem der Umdeutung geschichtlicher Ereignisse dienen soll. Vom Springer-Konzern sei "leider" eine "demagogische Demonstration" zu erwarten, sagte Wallraff.
Frank Meyer: Der Chef des Axel-Springer-Verlages, Mathias Döpfner, hat zu einem Springer-Tribunal eingeladen, im Oktober soll das stattfinden. Damit eignet sich der Verlag eine Idee seiner alten Gegner an: Die 68er wollten dem Verlag im Februar 68 den Prozess machen bei einem Springer-Tribunal, das wurde damals aber nach nur einem Treffen wieder eingestellt. Für uns ist jetzt der Mann am Telefon, der in den 70er-Jahren der Gegner des Axel-Springer-Verlags war, Günter Wallraff. Er hat 1977 dreieinhalb Monate lang undercover bei der "Bild"-Zeitung gearbeitet und über die Praktiken dort einen Bestseller geschrieben. "Der Aufmacher", so hieß das Buch. Herr Wallraff, ist doch eine interessante Idee, dieses Springer-Tribunal. Werden Sie hingehen?

Günter Wallraff: Es kommt natürlich auf die Zusammensetzung drauf an. Wenn es im Sinne von Springer ist oder auch von Döpfner, der wiederum der Springer-Witwe, Friede Springer, sehr verpflichtet ist und die wiederum natürlich ihrem verstorbenen Gatten, dann ist zu befürchten, dass das eine sehr einseitige Zusammensetzung findet. Und wenn das da als Show inszeniert wird, ist das natürlich auch historisch völlig uninteressant. Wenn das aber von einem unabhängigen Gremium zusammengesetzt wird, da könnte man eventuell auch hingehen, warum denn nicht?

Meyer: Ja, einer der Protagonisten des alten Springer-Tribunals, Peter Schneider, der war einer der Hauptorganisatoren, der hat auf die Frage, ob er denn hingeht, gesagt, man müsste mal sehen, wie viel Ernst dahinter steckt, das ist erst mal keine strikte Ablösung. Also wenn genug auch Springer-Kritiker zusammenkommen, dann sind Sie auch dabei?

Wallraff: Man müsste sehen, ist das ernsthaft oder ist das eine reine demagogische Demonstration – das ist von diesem Konzern leider zu erwarten. Ich meine, ich hab das ja alles schon mal erlebt, als der Springer nach meinen Veröffentlichungen in die Enge getrieben war und auch die Auflage von "Bild" ziemlich bröckelte, da hat er Flucht nach vorn erklärt, er wäre nun bereit – erst mal hat er gesagt, er würde leiden wie ein Hund, wenn er morgens die "Bild"-Zeitung läse, und das ist natürlich nicht ernst zu nehmen – und dann hat er erklärt, er würde ja gerne auch mit seinen ernsthaftesten Kritikern reden, mit mir soll es anfangen. Ja nun, ich rede mit jedem. Ich hab ihm einen Brief geschrieben: Lieber Herr Springer, nennen Sie mir Termin und Zeit, lassen wir uns auseinandersetzen. Und dann ging aber ein Aufstand los in seinen eigenen Reihen, und die Redakteure meinten, er soll doch erst mal mit ihnen reden, dann hat er sich distanziert, ich müsse zuerst von der Verwerflichkeit meines Tuns abrücken. Ich hab immer noch mich drauf eingelassen und hab gesagt: Ja, rücken Sie mal von den menschenverachtenden und (…) ab, dann reden wir. Dann hörte ich natürlich nie mehr was von ihm. So wird das jetzt hier auch sein. Ich glaube nicht, dass die hier Kritiker oder auch überhaupt Kenner oder Historiker, ernsthaft Historiker dort bemühen, sondern sie werden das als Demonstration ihrer Interessen machen.

Meyer: Na ja, aber es ist ja, wir haben ja heute eine neue Lage, im Vergleich auch zu den 70er-Jahren …

Wallraff: Sicher.

Meyer: Der Springer-Chef Mathias Döpfner hat ja inzwischen auch Fehler eingeräumt, er hat gesagt: Ich habe davon gesprochen (also er selbst), dass das Haus damals eine Bunkermentalität entwickelt hat, dass es zu Eskalationen gekommen ist, die nicht zu vertreten sind, soweit Mathias Döpfner. Es gibt also Selbstkritik von Springer-Seite. Wäre doch mal interessant, sich die genauer anzuhören?

Wallraff: Ja, aber Entschuldigung, das war ja nun, bevor jetzt versucht wurde, eine historische Geschichtsdarstellung zu bemühen. Jetzt plötzlich sieht er das ja alles wieder anders, jetzt meint er, alles war aus dem Osten gesteuert. Und da kommt ja wieder diese ganze ehemalige Verschwörungstheorie zustande. Sie dürfen nicht vergessen, es war eine Pogromhetze, die von der Springer-Presse damals gestartet wusste, nicht? Dann hießen Schlagzeilen, ich diktiere sie wörtlich: "Da hilft nur noch eins: Härte", "Jetzt wird aufgeräumt", "Unruhestifter unter Studenten ausmerzen". Das war schon Aufforderung und Polizistenhiebe auf Krawallköpfe, um den möglicherweise doch noch vorhandenen Grips locker zu machen. Also es wurde ein Mob sozusagen in einer Stadt, die von der Springer-Presse beherrscht wurde – Berlin gab’s 80, 90 Prozent der Springer-Produkte – und von daher war eine Bevölkerung dann auch entsprechend in einer Pogromstimmung. Und so ist ja auch der Mord an Ohnesorg zu verstehen gewesen, dass dieser Mann gleichzeitig – vielleicht war er Doppelagent, wissen wir noch nicht –, aber dass er von der DDR als Stasi-IM geführt wurde. Das heißt aber auch wiederum nichts, dabei gab es diese autoritären Charaktere, die sowohl innerhalb des Westberliner Polizeiapparates als auch im Ostberliner Funktionärsapparat ihren Mann gestanden hätte. Die haben sich gar nicht unterschieden. Aber die Studenten haben sich unterschieden. Zu 80, 90 Prozent waren das welche – und da gehörte ich auch dazu –, die nichts mit dem autoritären Regime der DDR zu tun hatten. Die Unterstützer waren zum Beispiel liberale Verleger wie Augstein, wie Bucerius, die auch mit Geld die Anti-Springer-Bewegung unterstützt haben.

Meyer: Aber die Frage, Herr Wallraff, auf die Sie ansprechen, also welchen Einfluss hatte denn die DDR tatsächlich, zum Beispiel auf die "Enteignet Springer"-Kampagne, die ist doch in der Tat interessant? Also es gab ja doch tatsächlich – das hat der Historiker Hubertus Knabe vor Kurzem in der "FAZ" …

Wallraff: Ja, ausgerechnet der, der als Historiker einen sehr schlechten Ruf hat.

Meyer: Moment, Moment. Das Zitat zur Unterstützung der Anti-Springer-Kampagne gab es beim ZK der SED eine Arbeitsgruppe. Da müsste man doch mal wissen, was hat die denn tatsächlich zuwege gebracht.

Wallraff: Klar ist das interessant. Die haben sich natürlich an alles Mögliche drangehängt oder versucht, sich dranzuhängen. Aber sehen Sie mal die Studenten, die da ja die Köpfe waren, das waren – Rudi Dutschke zum Beispiel –, das war jemand, der die DDR als eine Diktatur ansah. Das waren die Maoisten, die innerhalb der DDR im Gefängnis gewesen wären. Dass die dann auch einzelne versucht haben, sich nützlich zu machen, das ist hier und da gelungen. Aber damit kann man nicht ’ne ganze Bewegung, die uns auch unabhängig von dem Mord, der sich inzwischen ja heute als Mord herausstellt, an Benno Ohnesorg, auch ohne das wäre diese Bewegung entstanden. Die Studentenbewegung hat ja auch nicht nur Springer im Visier, sondern eine gesamte verknöcherte Gesellschaft wurde da aufgemischt. Und der Sauerstoff, der dann da reingepumpt wurde, der ist heute noch in der gesamten Gesellschaft positiv zu spüren – bei Kinderrechten, Frauenrechten und insgesamt Freiheit , die da erkämpft wurde.

Meyer: Herr Wallraff, jetzt sind Sie bei der ganz großen (…), lassen Sie uns mal bei Springer bleiben. Wir sind im Deutschlandradio Kultur und sprechen mit Günter Wallraff über das geplante Springer-Tribunal, im Oktober soll das laufen. Sie haben gerade auch schon die anderen liberalen Verleger angesprochen, die wiederum ja die Studentenbewegung unterstützt haben, wahrscheinlich nicht die direkt "Enteignet Springer"-Kampagne, da gibt es verschiedene Stimmen. Müsste das nicht auch aufgearbeitet werden, weil das waren ja eben auch wirtschaftliche Konkurrenten von Springer, welchen Einfluss die wiederum genommen haben?

Wallraff: Aber unterlegene Konkurrenten. Sehen Sie mal, die Springer-Presse war so beherrschend, dass sie ganze Städte eigentlich in der Hand hatte, das war nicht nur in Berlin und in Hamburg so. Und die "Bild"-Zeitung alleine, die Auflage war dermaßen flächendeckend, dass "Bild" immer wieder zündeln konnte. Und auch die (…) der "Bild"-Zeitung, die da allen dort Beschäftigten zur Hand war, die hat das ganz deutlich und eindeutig auch beschrieben. Da ist es ein Mittel, um provozierte Ängste und daraus sich ergebende Aggressionen zu verarbeiten, ist die bewusst aggressive Haltung, die "Bild" an den Tag legt, Einfluss und Macht der Zeitung, die als rücksichtslos und brutal erlebte Härte und Durchschlagskraft geben dem Leser die Möglichkeit, sich diesem überlegenen Angreifer zu identifizieren. Also da war ganz klar eine Haltung, die auch dann Vollstrecker fand. Ich denke an Boenisch, langjährigen Chefredakteur, der nannte die eigenen Leser "die Primitivos", die er dann aber auch immer wieder in die Richtung steuern konnte. Da wurde der Ruf nach der Todesstrafe geschürt, ja, und vor allem eben immer Minderheiten und vor allem auch Studenten wurden als die eigentlichen Verantwortlichen hingestellt, dass die Gesellschaft eben diese doch entfernen sollte.

Meyer: Aber wenn wir uns das jetzt mal so vorstellen, für einen Moment, Herr Wallraff, ja, dass ein so großes konservatives Medienhaus wie der Springer-Verlag sagen wir mal die Hand ausstreckt den alten Gegnern gegenüber, wenn Mathias Döpfner sagt, ich glaube, dem Axel-Springer-Verlag ist Unrecht widerfahren in dieser Auseinandersetzung, die bis heute negativ auf unser Haus wirkt, die bis heute dazu führt, dass der Verlag als zentral gelenktes Meinungsmonstrum wahrgenommen wird, das klingt ja auch fast so ein bisschen: Wir leiden darunter bis heute, Ihr habt gewonnen, okay, dann lasst uns mal Frieden schließen.

Wallraff: Also in einem Punkt ist er ernst zu nehmen: Der Springer-Konzern ist nicht mehr der monolithische Block, der er zu Lebzeiten des Verlegers war, ja? "Die Welt" heute ist ein durchaus immer wieder lesbares Blatt, wo Debatten stattfinden – das sage ich als jemand, der sie nun nicht gerade abonnieren möchte. Aber was jetzt versucht wird, ist ja was ganz anderes. Es ist ja nicht die ausgestreckte Hand, um das wirklich alles aufzuarbeiten, sondern ist ein Versuch einer Geschichtsfälschung, und es ist der Versuch – da gibt’s ja auch Zitate von ihm –, aufgrund der Tatsache, dass nun dieser Schütze, ein schießwütiger Polizeibeamter, der ein hohes Ansehen in der Berliner Polizei damals hatte …

Meyer: Sie meinen Kurras jetzt?

Wallraff: Kurras, genau … dass der jetzt benutzt wird, um alles vom Osten gelenkt und gesteuert oder zumindest wesentlich beeinflusst hinzustellen. Und das ist nun auch von allen ernsthaften Historikern zu widerlegen. Und damit kommen sie nicht durch. Das ist vielleicht mal jetzt ein Versuch, noch mal sich aufzubäumen und das alles von früher zu bagatellisieren oder zumindest zu marginalisieren, aber es ist ein untauglicher Versuch. Eine richtige Aufarbeitung, ja, das wäre längst überfällig, das wäre erforderlich. Aber der dürfte der Springer-Konzern nicht federführend sein, da könnte er einer von denen sein, die ihre Archive und Quellen da auch offenlegen, und vielleicht sollten dann erst mal die damaligen noch Lebenden, die das alles mit entfacht haben, die sollten sich mal entschuldigen. Und heute noch ist die "Bild"-Zeitung ein, ja, menschenverachtendes Blatt in vielfacher Hinsicht. Ich habe Abschiedsbriefe von Menschen, die sich nach Rufmordgeschichten umgebracht haben und in ihren Abschiedsbriefen die "Bild"-Zeitung verantwortlich machen. Und heute noch nennt die Springer-Justiziarin, öffentlich spricht sie davon, "Ich bin hier zuständig für Schmutz und Schund". Und wenn man sie auf Schadensersatzforderungen, Schmerzensgeld anspricht, sagt die, ja, Schmerzensgeld können wir verschmerzen. Ich habe immer noch einen Rechtshilfefonds, wo "Bild"-Opfer sich hinwenden und dann auch erfolgreich. Ich hab über 100 Verfahren erfolgreich geführt, Gegendarstellungen, aber auch Schadensersatzforderungen. Also das Blatt ist nach wie vor nicht so harmlos, wie sie es heute hinstellen möchten.

Meyer: Günter Wallraff, sehr skeptisch gegenüber dem Springer-Tribunal, das für Oktober angekündigt ist. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Wallraff: Gerne! Wiedersehen!