Wallfahrt

Maria - Retterin der Schwulen

Es ist die Regenbogenfahne zu sehen, die ein Symbol der Schwulen- und Lesbenbewegung ist.
Beim Kerzenfest fragt sich niemand, ob sein Gegenüber ein Trans-, Homo- oder Heterosexueller ist. © dpa/pciture alliance/Wolfgang Kumm
Von Michael Braun · 15.02.2014
In der katholischen Kirche Italiens wird vieles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Beim Kerzenfest im Wallfahrtsort Montevergine nahe Neapel treffen sich alle, die anders lieben und leben wollen, als konservative Kirchenmänner dies gern sehen wollen.
Auf fast 1300 Meter Höhe klebt die Benediktiner-Abtei von Montevergine an einem steilen Hang, erreichbar nur über eine Serpentinenstraße. Doch Tausende Pilger haben sich Anfang Februar an einem Marien-Wallfahrtsort 60 Kilometer östlich von Neapel eingefunden, um die Candelora zu feiern, das Kerzenfest. Es ist Maria gewidmet, der Mutter Jesu – der Gottesmutter, wie die katholische Kirche sagt.
Die Kirche ist voll bis auf den letzten Platz. Etwas langatmig erklärt der Abt in seiner Predigt den theologischen Gehalt des Festes, als Maria 40 Tage nach der Niederkunft das Jesuskind im Tempel vorstellte. Doch während die Predigt noch in vollem Gange ist, baut sich im Innenhof der Abtei eine Gruppe von etwa zehn Männern am Fuß der Freitreppe hoch zur Seitenkapelle auf.
Auf Schellentrommeln schlagen einige von ihnen einen treibenden Rhythmus – und sofort wird klar: Hier beginnt eine ganz andere Liturgie als drinnen in der Kirche.
Die Männer stimmen in neapolitanischem Dialekt ein Lied auf die Madonna an – bei ihnen allerdings heißt sie auch "Mamma schiavona", Mutter des Sklaven. Strophe um Strophe singen sie und erklimmen jeweils die nächste Stufe.
Schließlich halten sie Einzug in die Seitenkapelle der Abteikirche, schauen voller Verzückung auf das große Bildnis der Madonna.
"Evviva Maria!"
Flotter Dank an die Madonna
Und nachdem sie ein Hoch auf Maria ausgebracht haben, treten sie den Rückzug an, allerdings ohne sich umzudrehen – der Madonna darf man nie die Schulter kehren! Dazu stimmen sei ein zweites Lied an – ein flotter Dank an die Madonna für die erwiesenen Gnaden.
Nicht bloß der Ritus selbst fällt auf, sondern auch das Publikum, das die Sänger begleitet: eine ganze Schar von Transsexuellen, einige schrill kostümiert zum Beispiel in Flamencokleidern, andere eher unauffällig. Sabato, Solostimme in der Sängergruppe, erklärt, was es mit der merkwürdigen Prozession und mit dem Kult um die "Mamma schiavona", um die Mutter des Sklaven, auf sich hat:
"Die Mamma schiavona verbindet die Figur der Madonna mit der antiken Göttin Kybele. Die Priester der Kybele entmannten sich früher an diesem Tag. Kybele selbst war ursprünglich ein Mann, sie wurde von neidischen Göttern in einen Rausch versetzt und dann entmannt."
Auch Italiens wohl berühmteste Transsexuelle feiert mit: Vladimir Luxuria. In den Jahren 2006 bis 2008 saß sie für die Neokommunisten im Parlament, zum echten TV-Star wurde sie, als sie 2008 das Dschungelcamp gewann. Groß, schlank, ein ebenmäßiges Gesicht – Vladimir fällt sofort auf. Ganze Pilgerfamilien drängen sich um sie, wollen ein Foto mit ihr:
"Hier gab es lange vor der Abtei den Kybele-Tempel, in dem die Priester ihren Dienst in Frauenkleidern verrichteten. Aber es gibt auch eine christliche Legende. Im Mittelalter sollen hier am 2. Februar zwei Jünglinge zum Tode verurteilt worden sein, weil sie einander geküsst hatten. Sie wurden an einen Baum gekettet, um zu erfrieren. Doch dann erschien ihnen die 'Mamma schiavona', schickte einen wärmenden Sonnenstrahl und rettete sie so vor dem Tod."
Volksfest auf dem Vorplatz der Abtei
Mittlerweile hat in Montevergine ein wahres Volksfest begonnen. An allen Ecken des großen Vorplatzes der Abtei spielen Musikgruppen auf, ertönen Schellentrommeln, Flöten oder Dudelsäcke, dazu tanzen Hunderte Menschen, vom Teenager zu alten Leuten, die traditionelle Tarantella – und keinen interessiert es, ob sein Gegenüber ein Trans-, ein Homo- oder Heterosexueller ist.
Ottavia, eine eher konservativ gekleidete Transsexuelle aus Pompeji bei Neapel:
"Die anderen erwarten einfach, dass auch wir kommen. Dies hier ist traditionell ein Fest, das der Integration der Unterschiede gewidmet ist. Möglich ist das, weil Neapel selbst diese Geschichte der Integration aufweist. Seit Jahrhunderten sind die Femminielli, die Transsexuellen Neapels, perfekt in der Stadt, in der Nachbarschaft integriert. Sie haben zum Beispiel dort oft die Aufgabe, auf die Kinder aufzupassen."
Und seit Jahrhunderten schon pilgern die Femminielli jedes Jahr am 2. Februar zum Montevergine. Doch die Abtei versuchte in den letzten Jahren, einen Riegel vorzuschieben. Ottavia:
"Im Jahr 2002 gab es eine offizielle Erklärung des Abts, wir sollten gefälligst fernbleiben, wir seien unerwünscht. Das führte aber bloß zu einer Revolte der Community der Transsexuellen, Lesben und Schwulen. Auch sie fordert ihr Recht auf Spiritualität."
So kam es zu einem jahrelangen Kleinkrieg. Mal fanden die Sänger der Femminielli die Tür zur Seitenkapelle versperrt, mal läuteten die Glocken ausgerechnet in dem Moment, in dem sie ihren traditionellen Gesang anstimmten. Dieses Jahr aber standen alle Türen offen.
Vladimir meint, das liege auch an Papst Franziskus, der die Atmosphäre in der Kirche radikal verändert habe:
"Ich habe gerade eben die Kommunion empfangen, direkt aus den Händen des Abtes. Das ist kein gewonnener Krieg für mich – sondern bloß das Zeichen, dass alle ein Recht auf Glauben haben."
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