Wallfahrt ins Herz von Portugal

Von Maya Kristin Schönfelder · 09.06.2012
Die Stadt Guimarães, im Norden Portugals, ist zusammen mit dem slowenischen Maribor dieses Jahr Kulturhauptstadt Europas. Für die von der Euro-Krise schwer gebeutelten Portugiesen Anlass, sich neu mit der eigenen nationalen und religiösen Identität auseinanderzusetzen. Denn Guimarães ist die Wiege und das Herz Portugals.
Hier wurde um 1109 der erste König des Landes geboren. Er war es, der später den Süden von den muslimischen Mauren befreite und Portugal in einem unabhängigen katholischen Reich einte. Nun führt eine Art nationale Kulturwallfahrt Schulklassen, Kirchengemeinden und Amtsstuben in die Kulturhauptstadt. Erstes Pilgerziel: die Kirche unserer Jungfrau vom Olivenbaum.

Ein Frühsommerabend in Guimarães. Auf dem Largo da Oliveira, im historischen Zentrum der Stadt, kicken zwei Jungs einen Fußball über den menschenleeren Platz. Als Tor dient ein gemauerter Baldachin mit einem Kreuz aus Stein. Er gehört zur Kirche Unserer Jungfrau vom Olivenbaum.

In der Kirche wird die Abendmesse gefeiert. Es ist voll im Gotteshaus. Man ist katholisch hier im Herzen Portugals, und das nicht nur auf dem Papier. Zwischen den Einheimischen sitzen Touristengruppen in identischen T-Shirts, auf denen das Logo von Portugals Kulturhauptstadt prangt. Ein Herz als Symbol für Guimarães, das Herz der portugiesischen Nation. Und das stilisierte Kreuzritter-Schild von Dom Afonso Henriques, dem ersten König Portugals.

"Guimarães ist sehr stark vom Christentum geprägt. Auf jedem Platz steht eine Kirche, ständig läuten Kirchenglocken. Und die Leute gehen auch in die Messe. Religiosität ist in dieser Stadt sehr präsent."

Vitor Marques leitet das Tourismusbüro der Stadt. Eigentlich gehören Stadtführungen nicht zu seinen Aufgaben. Doch im Kulturhauptstadtjahr vermittelt der Lokalpatriot gern sein Wissen. Ihm geht es darum, den Besuchern mehr zu bieten als nur ein kurzfristiges Kulturspektakel. Schließlich sei Guimarães viel mehr.

Die Altstadt von Guimarães wurde im Jahr 2001 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Seitdem steht ein Ausflug hierher bei Lesern von Baedeker-Reiseführern hoch im Kurs. Im Kulturhauptstadtjahr kommen jedoch vor allem portugiesische Reisegruppen. Oft reisen ganze Großfamilien an, deren Vorfahren einst nach Brasilien, Frankreich oder England ausgewandert sind. Vielen geht es dabei auch um eine religiöse Pilgerfahrt, erzählt Varico Pereira vor der Kirche Unserer Jungfrau vom Olivenbaum. Die Kirche ist auf besondere Weise mit der Geschichte Portugals verbunden.

"Guimarães ist die erste Hauptstadt Portugals. Die Gründung des Landes und die Religion gehören eng zusammen. Mit dem Kloster Unserer Jungfrau vom Olivenbaum begann die portugiesische Besiedlung unseres Landes."

Varico Pereira ist technischer Direktor von Turel, einer Organisation, die Kulturtourismus und Pilgerreisen in Portugal fördert. Für das Kulturhauptstadtjahr hat Turel einen Rundgang durch die heiligen Stätten von Guimarães kreiert, der hier an der Kirche beginnt.

"Für Portugiesen ist bis heute die Kirche die wichtigste Sehenswürdigkeit im Heimatort. Denn das Gotteshaus ist das schönste und wichtigste Gebäude der Stadt. Und viele Menschen verlassen eine Kirche mit einem anderen Blick auf die Religion."

Der von Turel geschaffene Rundgang sei deshalb auch keine Zusammenstellung von Sehenswürdigkeiten, erklärt Varico Pereira. Es gehe darum zu zeigen, wie identitätsstiftend die religiöse Seite von Guimaraes ist.

Es sind die kleinen Details, die zeigen, wie eng die Geschichte der Stadt und die des Landes mit den Kirchen verbunden ist. Vitor Marques präsentiert seiner Reisegruppe ein unscheinbares grünes Kästchen an einer Hauswand.

"Das alte Feueralarmsystem der Stadt. Jede Kirche hatte eine Nummer. St. Pedro zum Beispiel die 11. Bei Feueralarm zog man an dem Seil, das in dem Kästchen steckte und läutete damit eine Glocke, und zwar entsprechend der Nummer der Kirche, in deren Gemeinde das Feuer ausgebrochen war. Wenn es also in Dominicus brannte hier um die Ecke, läutete es zehnmal. Da alle Leute diese Nummern kannten wie heutzutage ihre Handynummer oder ihre Postleitzahl, wusste jeder, wo er zum Löschen erwartet wurde."

Solche Geschichten über den Einfallsreichtum ihrer Vorfahren lieben die Portugiesen in Zeiten der Euro-Krise. Historisch befreite sich die Nation mehr als einmal mit neuen Ideen aus einer scheinbar ausweglosen Lage. Von Guimarães aus begann der Kampf um die Unabhängigkeit Portugals. Das prägt die Identität der Stadt, sagt Vitor Marques.

"Der Vater des ersten Königs kam hierher, um die Mauren zu bekämpfen und die Gegend zu christianisieren. Sein Sohn Dom Afonso Henrique wurde in Guimarães geboren. Er gewann die entscheidende Schlacht um die Unabhängigkeit von Spanien. Deshalb ist Guimarães so stark mit der portugiesischen Nation und Identität verbunden. Dem fühlen sich die Menschen heute immer noch verpflichtet, sie wollen das Erbe und die Baudenkmäler bewahren. Es gibt einen sehr starken Lokalpatriotismus hier in Guimarães."

Dass dieses nationale Erbe mit dem katholischen Glauben untrennbar verbunden ist, zeigt die Ausstellung "Angelorum" im Museu Alberto Sampaio. Museumsdirektor Manuel Azevedo Graça präsentiert stolz den Beitrag seines Hauses zum Kulturhauptstadtjahr:

"Angelorum ist der lateinische Ausdruck für Engel. Es geht in der Ausstellung um die Präsenz des Engels in der Geschichte der portugiesischen Kunst vom 12. Jahrhundert bis heute. Über Jahrhunderte ist die Kunst in Portugal mit dem Katholizismus eng verbunden gewesen. Wir zeigen den Engel als stets präsentes Herzstück unserer Kunst."

Die Schau umfasst die Sammlung des Museums, die hauptsächlich aus den Kunstschätzen des Klosters Unserer Jungfrau vom Olivenbaum besteht. Dazu haben Museen aus ganz Portugal ihre wertvollsten Engelsexponate geschickt. Verkündigungsengel schauen von der Leinwand auf Erzengel in Granit. Hölzerne Schutzengel von portugiesischen Seefahrern stehen neben Putten, die einst den Altar einer Dorfkirche zierten. Ein bekannter Theatermacher hat das extravagante Engelskostüm einer seiner Aufführungen geschickt. Religiöse Gefühle befriedigen soll die Ausstellung aber nicht, betont der Museumsdirektor.

"Einige Besucher werden von den Exponaten sehr bewegt sein. Aber wir versuchen, jedes Objekt als Kunstwerk zu betrachten, ohne dabei den religiösen Kontext zu vergessen. Doch der steht hier im Dienst der Kunst."

Im Minutentakt werden Schülergruppen durch die Ausstellung geschleust. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist ein Schwerpunkt im Kulturhauptstadt-Jahr, sagt Museumsdirektor Graça. Schließlich gehe es auch um eine Wiederentdeckung der eigenen Identität. Sein Herz schlägt deshalb in der Schau für ein ungewöhnliches Kunst-Exponat. Es ist eine Devotionalienkollektion Unserer Jungfrau vom Olivenbaum, der Schutzpatronin der Stadt. Es sind Figuren aus verschiedenen Jahrhunderten und ganz unterschiedlichen Materialien.

"Das ist unsere Kulturhauptstadt, deshalb suchten wir nach etwas, das speziell für Guimarães steht. Diese verschiedenen Abbildungen zeigen, wie sich die Darstellung der Schutzpatronin verändert hat. Stets aber wird sie als Jungfrau auf einem Engelskopf dargestellt. Und das ist für mich Guimarães."
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