Waldbaden

Das Ziel: Nicht mehr in Wörtern denken

Wie ein Fliegenpilz soll der Mensch sich in den Wald fügen.
Wie ein Fliegenpilz soll der Mensch sich in den Wald fügen. © Geran de Klerk / Unsplash
Von Katharina Kühn · 12.05.2018
Waldbaden? Was soll das sein? Shinrin Yoku, wie es auf japanisch heißt, soll gegen Stress helfen. Unsere Reporterin Katharina Kühn hat es getestet. Mit Schwimmen hat es nichts zu tun.
Moderatorin: Du warst für die Echtzeit "waldbaden" – erklär doch mal genau, was das ist! Denn der Begriff ist ja ein bisschen missverständlich – ums Schwimmen in einem Waldsee geht es nämlich nicht.
Katharina Kühn: Nein, mit Schwimmen hat das nichts zu tun - wir sind eher in die Waldatmosphäre baden gegangen. Die Idee beim Waldbaden ist, dass die Bäume miteinander kommunizieren, und zwar mit Hilfe von ätherischen Stoffen, um sich zum Beispiel vor Schädlingen zu warnen. Und diese Stoffe soll auch der Menschen aufnehmen können und davon profitieren – wenn er eben im Wald unterwegs ist und ordentlich Luft holt. Jedenfalls sagt das die Psychologin Lia Braun, mit ich letztes Wochenende unterwegs war.
Lia Braun: "Wir atmen das einfach ein. Wir nehmen das über Berührungen, wenn wir die Borke berühren oder den Boden berühren, wir nehmen das auf und diese Stoffe führen tatsächlich dazu, dass unser Stresssystem sich beruhigt und dass sich der Blutdruck reguliert, dass das Immunsystem aktiver wird, das sind alles praktisch Begleiterscheinungen dieses Zustands der Entspannung."
Katharina Kühn: Die weiterführende Idee dahinter: Der Mensch hat sich ja früher, als er noch nicht in Häusern wohnte und mit Autos die Luft verpestete, ständig in der Natur aufgehalten. Und das Waldbaden hilft ihm dann, wieder ganz bewusst Zeit in einer natürlichen Umgebung zu verbringen.

Reicht ein Park fürs Waldbaden?

Moderatorin: Dass ein Spaziergang im Grünen wohltuender ist als auf einer Hauptverkehrsstraße, ist wohl allgemeiner Konsens. Warum muss es den gleich ein Wald sein, reicht nicht auch ein Park?
Katharina Kühn: Das wäre auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung, beim Waldbaden soll dir aber noch durch etwa Achtsamkeits- und Atemübungen geholfen werden, den Alltag loszulassen. In Japan wurde das Waldbaden sogar staatlich gefördert und Universitäten beschäftigen sich wissenschaftlich mit den gesundheitsfördernden Wirkungen. Es gibt dort eine richtige Branche, die man zwischen Gesundheitstherapie und Wellnesstrips verorten kann.
Moderatorin: Vielleicht auch im Bereich Esoterik?
Katharina Kühn: Vielleicht auch im Bereich Esoterik – das war jedenfalls mein erster Gedanke, als ich mit Lia Braun auf ihren Waldbade-Trip gegangen bin. Wir sind in den Düppeler Forst gegangen, das ist im Südwesten Berlins. In dem Waldstück sind die Straßen nach Märchen benannt und man trifft sich im Rübezahl-, Rotkäppchen- und Wassernixenweg – und stapft dann los ins Dickicht.

Es gibt einen offiziellen Eingang

Katharina Kühn: Du gehst aber immer in den Waldbereich hier, oder?
Lia Braun: Na, nicht immer. Aber sehr gerne. Es ist schon einer meiner Lieblingsplätze.
Katharina Kühn: Warum?
Lia Braun: Ich finde ihn sehr vielfältig, den Wald und es gibt ganz viel Moos, das mag ich sehr und schon bin ich an der Stelle vorbeigelaufen...
Moderatorin: An was für einer Stelle ist sie denn vorbelaufen? Dem offiziellen Eingang zur Waldbadestelle?
Katharina Kühn: Vielleicht, ich habe da nur Bäume neben Bäumen gesehen.
Moderatorin: Und wie viele Menschen ziehen dann so los bei so einer Waldbade-Session dabei?
Katharina Kühn: Ich war mit drei Frauen und einem Mann zusammen im Wald, also eine ganz kleine Truppe, meist sind es so um die zehn. Übrigens fast immer Frauen, die Männer sind, was das Waldbaden angeht, ziemlich skeptisch! Aber es dürfte auch nicht jedermanns Sache sein, wie und was Lia Braun so sagt, um die Aufmerksamkeit ganz auf den Wald zu lenken:
Lia Braun: Wer weiß, was hier in den letzten Tagen alles passiert ist und es ist gut, darauf zu achten, auch wahrzunehmen, wie... wie der Boden ist. Auch zu hören, jetzt wahrzunehmen, dass es da Schatten gibt, das heißt, die Wolken lichten sich und die Sonne kommt raus. Und auch die Insekten bemerken uns, je nachdem, was es für welche sind, freuen sich. Ja und all das gehört dazu, anzukommen und die Stadt hinter sich zu lassen.

Wie eine geführte Meditation

Moderatorin: Ist das dann ähnlich wie eine geführte Meditation?
Katharina Kühn: So kam es mir am Anfang vor. Allerdings gibt Lia Braun immer nur Vorschläge, sie nennt das, pädagogisch wertvoll, "Einladungen" und dann ist es an dir, ob du denen folgst oder nicht. In meiner Gruppe haben sich aber eigentlich alle auf diese Vorschläge eingelassen. Für mich war es recht ungewöhnlich, dass das Ziel war, nicht mehr in Wörtern zu denken.
Lia Braun: Dann gehen wir rüber und beginnen mit dem Einladen der Sinne.
Katharina Kühn: Und jetzt ist es so, dass man still ist, und du uns anleitest, so?
Lia Braun: Genau, also ich frage zwar manchmal, also benutze die Sprache in einer Fragestellung, aber auch die möchte eigentlich nur anregen, also auch wenn es interessant wäre zu wissen, was da in dem Moment in den Köpfen oder in den Organismen der Teilnehmenden passiert, glaube ich, würde das tatsächlich laute Antworten dann doch eher in den Kopf dringen. Also die Idee ist wirklich eine Alternative zum Denken jetzt hier anzuregen. Und das funktioniert eben darüber, dass die Sinne angesprochen werden und wir uns darein vertiefen.
Katharina Kühn: Das war für mich etwas schwierig, schließlich wollte ich einerseits versuchen, mich auf das Konzept des Waldbadens einzulassen, aber andererseits auch schöne Tonaufnahmen machen und natürlich denke ich dann, wann ich das Mikrofon einschalte und wie ich es halte, wer als nächstes etwas sagen wird... Ich habe zwar versucht, das nebenbei laufen zu lassen, um mich nicht ständig damit in Gedanken auseinanderzusetzen, aber geklappt hat das nicht.
Moderatorin: Und was kam dann? Bäume umarmen? Nackt ausziehen und im Kreis tanzen?
Katharina Kühn: Nein, manche haben ihre Schuhe ausgezogen, das war alles. Wir liefen drei Stunden im Wald herum und Lia Braun hat uns immer wieder einen anderen Fokus vorgeschlagen, ob wir uns jetzt aufs Sehen, Fühlen, Hören oder Riechen konzentrieren. Wir sind dabei in einem sehr langsamen Tempo zu einem nächsten Punkt im Wald gegangen, wobei Lia Braun nur ungefähr die Richtung angegeben hat und dann jeder seinen Weg gesucht ist.
Moderatorin: Habt ihr euch dann immer wieder gefunden, gerade im Wald ist das doch auch nicht so übersichtlich?

Klingt etwas esoterisch das Ganze

Katharina Kühn: Ja, wir hätten uns bestimmt verlaufen. Aber wenn Lia Braun uns wieder zusammenrufen wollte, hat sie auf einer Flöte gespielt. Das klingt jetzt auch ein bisschen esoterisch, aber andererseits hat man das sehr gut gehört und es war nicht so aufdringlich, als wenn sie nach uns gerufen hätte.
Moderatorin: Ich fasse noch mal zusammen: durch den Wald ziehen, auf die Natur achten, der Flöte folgen – und nicht mehr in Wörtern denken. In was denn sonst?
Katharina Kühn: Ich bin da, ehrlich gesagt, nicht so weit gekommen und habe weiter in Wörtern gedacht, während ich da durch den Wald gegangen bin. Trotzdem hat das Spaß gemacht, wie ein Kind herumzutrödeln oder zu bummeln. Stehenbleiben, bücken, den einen Käfer beobachten, einem Vogelgezwitscher folgen... Alles anfassen, was man interessant findet.
Moderatorin: Das klingt so, als ob bist du ganz gut drin aufgegangen bist.
Katharina Kühn: Also diese Haltung, wieder wie ein Kind zu trödeln, die hat mir sehr gut gefallen. Aber ich Ich habe schon meine Grenzen gemerkt. Einmal sollten wir zum Beispiel mit Geräuschen auf die Töne im Wald zu antworten, mit der Stimme oder Hilfsmitteln, das war nichts für mich. Aber einer meiner Mitbadenden hat das sehr gut gefallen, weil sie so leichter aus ihrem Gedankenkarussell aussteigen konnte:
Teilnehmerin: Für mich war diese Einladung super hilfreich, weil die vorherige Einladung, mal zu lauschen, ich habe gerade so im außen viel, was durchdacht werden möchte und zack, war ich ganz schnell auch wieder da drin, aber dieses Rauszuhören, wie ist die Melodie, wo ist das Muster, wie wiederholt sich’s, welche Töne sind das eigentlich oder wie könnt ich das darstellen, das hat mich total weggezogen.
Katharina Kühn: Für mich aber war, wie schon gesagt, gar nichts.

Perfekt für gestresste Stadtbewohner

Katharina Kühn: Ich nehme das total gerne auf, aber ich, ich möchte gerade eigentlich nicht etwas machen, was mir dann auch unnatürlich erscheint, also ich freu mich hier durchs Gestrüpp zu knacken, aber irgendwie hatte ich jetzt nicht so die Lust, mit meiner Stimme was auszuprobieren, weil ich das andere so schön fand, das gerade mal so beruhigend fand, erstmal alles aufzusagen, dass ich dachte, das ist mir dann zu viel, wenn ich jetzt auch in eine Interaktion gehe, sondern erst mal will ich nur nehmen.
Teilnehmerin: Konsum halt.
Katharina Kühn: Genau, alles rausziehen, was geht.
Moderatorin: Wem würdest du Waldbaden empfehlen?
Katharina Kühn: Die Teilnehmenden dort haben mir erzählt, dass sie – wenn sie zum Beispiel im Job viel zu tun haben oder mitten in der Stadt wohlen – das sehr angenehm finden, in der Gruppe durch den Wald zu gehen, aber nicht zu sprechen. Das kann ja auch etwas Entlastendes haben. Wem es schwer fällt, mal zur Ruhe zu kommen, die Alltagssorgen für einen Moment beiseite zu legen, für den ist so ein Angebot wie das Waldbaden sicher gut geeignet. Für mich ist das eine zu geleitete Veranstaltung, drei Stunden lang nicht sprechen liegt mir auch nicht, aber ich dachte danach schon, dass ich tatsächlicher häufiger mal in den Wald gehen sollte.
Moderatorin: Und als ersten Schritt kann man sonst doch einfach einen Spaziergang machen. Katharina Kühn hat Waldbaden ausprobiert, ein Konzept aus Japan.
Mehr zum Thema