Wald, Seen und Autokino

Von Michael Frantzen |
In Zempow geht man nicht ins Kino, man fährt. Das war schon zu DDR-Zeiten so – im ersten und einzigen Autokino. Ab den 70er Jahren standen die Trabbis und Wartburgs Schlange, voll besetzt mit Urlaubern und Einheimischen, die Filme sehen wollten.
Aber manchmal auch einfach nur intim sein wollten. Damals so wie heute. Und so brausen Jugendliche schon Stunden vorher mit aufgemotzten Autos an, um sich zu zeigen. Andere putzen die Windschutzscheibe, treffen Freunde und Bekannte. Manchmal auch welche, die den Landstrich vor Zeiten verlassen haben. Der Gegend rund um Zempow geht es wirtschaftlich schlecht. „Außer Wald und Seen gibt es bei uns ja auch nicht gerade viel“, sagt der Autokino-Betreiber. Wenn die Dunkelheit einbricht, dann flimmert die Welt in Zempow rein.

„Guten Tag!
Hallo!
Ein Auto, zwei Personen.
Acht Euro bitte.
Danke schön.
Bitte!“

„Autokino: Gab’s bloß eins in der DDR.“

„Autokino Zempow.“

„Kult. Wie der Trabi.“

„Imma bei Einbruch der Dunkelheit.“

„Neumann. Klaus. Ick bin Betreiber und nen bisschen Kassierer. Is alles rückläufig. Ich schätze, das ging damals los mit dem Euro. Alle schimpfen über‘n Euro. Und wir och. Also da ging ett abwärts.“

Mit dem Autokino Zempow. Hier im Norden Brandenburgs, direkt an der Grenze zu Mecklenburg. Viele Seen und Alleen, viel Wald, viel Acker. Und wenig Arbeit. Die Gegend war schon zu DDR-Zeiten „strukturschwach.“

„Früher haben wa jesacht: Datt letzte Loch vor der Hölle.“

Nach der Wende ist es nicht besser geworden – mit der Arbeit. Im Gegenteil: Das bisschen, was an Industrie da war, ist weggebrochen. Die „Elektrophysikalischen Werke“: Dicht gemacht. Genau wie das „Häuserwerk.“ Und die Weberei im nahe gelegenen Wittstock.

„Es sind viele abgewandert. Viele Jugendliche. Ditt sieht man: Die früher gekommen sind, das is kaum noch. Und wenn mal nen Bekannter kommt von früher, der hat nen anderes Nummernschild dran. Von Hamburg oder sonst woher. Die sind alle ausjewandert in andere Bundesländer, wo es eben Arbeit gibt.“

Neumann ist geblieben. Hält dem Autokino die Stange. Muss ja einer tun. Meint der Mann, der stramm auf die 70 zu geht und ungefähr so aussieht, wie man sich immer schon einen Kinobetreiber in der Brandenburger Provinz vorgestellt hat: Leicht zotteliges blondes Haar; wache, blaue Augen; und ein kleiner Bauch, der von einer hellbraunen Kordhose samt Hosenträgern in Schach gehalten wird.

Neumanns Leben ist ein Film. Gab da verschiedene Episoden: 1958 beispielsweise: Sein erster Film: „Der kleine Muck.“ Sieht er sich beim Landfilm an – dem DDR-Kino auf Rädern für die Bauern des Arbeiter- und Bauernstaates. Von da an gibt es kein zurück mehr. Neumann lernt Filmvorführer – und tingelt in den 60ern und 70ern über die Lande – mit seinen Filmen. Mecklenburger Seenplatte, Ruppiner Schweiz, Rheinsberg. Da, wo die DDR Urlaub macht.

In den 80ern übernimmt Neumann das Kino im Flecken Zechlin – dem Nachbarort von Zempow. Und kurz nach der Wende auch noch das 1977 gegründete Autokino, als der alte Betreiber das Handtuch wirft.

Jetzt also das 30. Jubiläum. Eigentlich Grund zu feiern – doch Neumann und seiner Familie ist nicht so richtig danach zu mute. Von wegen Euro und so.

„Meine Frau, mein Sohn, meine Tochter und ich.“

Arbeiten alle im Autokino. Ein richtiger Familienbetrieb.

„Das ist der Sohn?
Das issa.
Kann ich mal kurz weiter fahren?
Wollta da hinten weiter machen?
Jut. Dann fahr ick ihn hier vorne hin.
Fahr mal vorne.“

„Neumann. Maik. Ich bin Filmvorführer. Gelernt heißt das Filmwiedergabe-Techniker. So war dett zu DDR-Zeiten. Eigentlich bin ich ja damit aufgewachsen. Ich hab mit sieben Jahre eigentlich Vorstellungen gemacht. Vadder hat kassiert und icke hab dann immer umgeschaltet. Früher auf de TK 35 und auf D. Dann auf de D 21, Kohlebogen. War immer warm. Immer um de 40, 45 Grad. Die Maschinen waren in Wasser gekühlt. War auch ne schöne Zeit.“

Damals. Die „olle DDR“ will Neumann Junior zwar nicht zurück haben, aber ein bisschen anders hätte er sich das schon vorgestellt mit der „Marktwirtschaft“ und der „Freiheit.“ Früher hatten sie irgendwelche SED-Provinzgrößen am Hals, die meinten, ihnen die Welt erklären zu müssen. Die sind sie jetzt los, aber mit der neuen Freiheit, sinniert Maik Neumann, kamen nicht nur die West-Politiker und Investoren, die ihnen zeigen wollten, wo es lang geht, sondern auch ziemlich viel Verantwortung.

Die Neumanns müssen scharf kalkulieren. Damit am Ende der Saison, Anfang Dezember, genug Geld in der Kasse ist.

„Zum Ferrari reicht’s nicht. Wenn man nur alleen mit Kino...kann man nich mehr reich werden. Wenn das jemand erzählt, is das ne Lüge. Man muss noch: Imbissangebote. Popcorn, Pommes, Bratwurst. Die Filmverleiher haben och hochgeschraubt. Einige Verleiher: Bei Bundesstart 52 Prozent von nen Einnahmen. Is natürlich nen janzer Batzen. Wenn man sieht: Man hat vielleicht tausend Euro eingenommen, dann gehen alleen 500 Euro für die Verleiher weg. Dann paar Euros für die Gema. Dann für Müllabfuhr, Strom. Alle wollen se ja leben.“

Die Neumanns auch. Sind ein richtiger Clan.

„Eine Hand wäscht die andere. Wenn man jetzt welche angestellt hat, denk mal...näh, datt würd nich gehen. Die Kosten sind erst mal zu hoch. Hintern Kiosk: Wenn da zweie arbeiten, dann müssten die bezahlt werden. Dann der Vorführer. Jut, könnt ick selber machen. Die Steuer möchte leben. Und und und. Näh. Dann müsste jeden Tag voll sein.“

Ist es aber nicht. Heute vielleicht dreißig Autos, 300 würden auf die Wiese vor der Riesen-Leinwand passen, wenn die Vorstellung ausverkauft wäre. Das letzte Mal war das beim Start der „Simpsons“. Ist schon gut zwei Wochen her. Aber vielleicht liegt es auch einfach nur an den aktuellen Filmen, die keinen vom Hocker reißen: Streifen wie „The Transformers“ -ein US-Actiondrama, in dem viel geballert wird und Männer noch richtige Männer sind.

„Der Fahrer sucht sich nicht das Auto aus, sondern das Auto sucht sich den Fahrer aus. Das ist eine mystische Verbindung zwischen Mann und Maschine.“

„Wenn die Jugend hier nich mehr wäre, dann wär wirklich gar nix mehr. Zumindest nich inne Woche. Oder Vor- und Nachsaison.“

Das ist die Tochter.

„Corinna.“

Hat im Imbiss das Sagen.

„Currywurst. Hamburger. Cheeseburger. Bockwurst. Schnitzel. Bratwurst.“

Alles für unter 1.50. Die Dorfjugend weiß das zu schätzen. Florian zum Beispiel: Der 17-Jährige geht aufs Gymnasium, zwei Jahre noch bis zum Abitur und spätestens dann wird er wohl seine Zelte hier abbrechen.

„Brandenburg is ja tot. Also, viel is hier nich los, näh.“

Aber gibt ja zumindest das Autokino. Hier trifft er sich mit seinen Freunden.

„Inne Woche so bestimmt drei, vier Mal. Um nen bisschen watt zu trinken. Quatschen. Oder so. Den Film gucken tun war dann meistens nich, aber wir kommen dann einfach nur runter, weil wir hier umsonst Eintritt haben. Weil wir hier den ganzen Autokrach ertragen müssen, wenn hier mal watt is, haben wa hier umsonst.“

Meist sind sie zu fünft oder sechst. Florians Freund Markus ist immer mit dabei.

„Ich bin jetzt inna Ernte. Und wenn ich nich grad auffem Mähdrescher bin...“

Kommt er rüber zum Autokino. Vor fünf Jahren war ihre Klicke noch größer. Doch die Älteren sind jetzt weg.

„Is nix, was die Jugend hier hält. Na gut. Ich bin auffem Land groß geworden, ich möcht hier auch nicht weg. Ick bin eher der Ruhigere. Und brauch meine Ruhe. Wenn ich dann Feierabend habe, dann möchte ich auch abschalten können. Aber viele sehen es wahrscheinlich anders als ich. Viele Schulkameraden, die sind damals so nach, na ja, nachem Westen.“

„Wir wohnen jetzt in Stuttgart. Also, einmal quer durch Deutschland, nur um hier in Zempow ins Autokino zu gehen.“

Anne Gärtner ist zurück. Für zwei Wochen zumindest. Die angehende Ergotherapeutin macht Urlaub in ihrer alten Heimat. In Brandenburg.

Hätte sie sich auch nicht träumen lassen. Dass sie einmal in Baden-Württemberg landen würde. Aber so ist das halt: Wenn der Freund einen Job beim „Daimler“ ergattert hat.

„Ich bin Ingenieur. Da ist das Problem: Wenn du ne Arbeit haben willst im Entwicklungsbereich: Ist halt schwer hier was zu finden. Da kannste meistens nur in der Produktion arbeiten. Und ich wollte halt nen bisschen was mit Anspruch haben. Und da hat’s sich fast nur angeboten, da hinzugehen. Ich würde die gleiche Arbeit gerne hier machen, wenn es sie geben würde. Aber leider is es nicht möglich. Ist halt Schade.“

Genau wie das mit dem schwäbischen Ordnungssinn. Geht Tobias Lorenz ziemlich auf die Nerven. Hier bei Neumann stellen sie sich mit ihrem Auto einfach hin, wo es ihnen paßt. In „BaWü“ läuft das anders ab:

„Das ist halt...im Schwabenländle gibt’s halt Nummern. Und da muss sich da hinstellen. Und wenn man über den weißen Strich fährt, dann kommt nen Polizist.“
Ja!“

„Wir wollen endlich gepoppt werden.
Ja, ja!
Ihr macht doch so und so, was ihr wollt.
Der letzte macht den Deckel zu.
Nun Jungs. Ab ins Kino. Ganz frisches Popcorn gibt es im Kino. Holt es euch!“
„Jetzt rollen se! Sag ick ja. Um nach neune.“

„Heut is unser Jahrestag. Weil wir vor zehn Jahren auch hier waren. Auf den Tag genau!
Am 8.8.1997.
Wir kommen aus Wittstock.
Wir kommen aus Wittstock.
Wir kommen aus Wittstock und sind hiergefahren, um uns kennen zu lernen. Vor zehn Jahren.“

Das mit dem Kennenlernen hat bei Heiko Bunk und seiner Freundin Manuela Konitz gut geklappt. Sind sich „näher“ gekommen. Im Autokino.

„Das gehört einfach dazu.“

Findet auch Besucher Gerhard Bönig.

„Und gerade das hier is so und so irgendwo inne Waldgegend. Wiese. Das macht so und so nen ganz anderen Eindruck, als wenn man irgendwo auf nem Betonplatz is. Das is dafür einfach ideal. Hier muss man nich unbedingt den Film gucken, man kann sich eben auch mit anderen Dingen beschäftigen. Nich ins Detail wollen wa gehen. Nich?! Wenn’s dunkel wird.“

„Ja! Da ging dann schon die Lichthupe an und wussten gar nicht, warum. Datt passiert och. Dann klopft man ganz sachte anne Scheibe. Und dann erschrecken se sich. Da mussten wa dann auch schon erst mal sagen: Freunde, tut uns leid. Aber jetzt is Schluss. Jetzt ist Feierabend. Jetzt wollen wa och nach Hause.“

„Jetzt sitzen wir hier. Und wo krieg ich jetzt ne neue Spurstange her?
Aufregen hat keinen Zweck. Es war ein Plan.
Was für ein Plan?
Mein Plan. Jeder muss seine Pflicht tun, so gut er eben kann.
Was sind sie denn von Beruf?
Ich bin das Automobil-Unglück."“

„Das ist nen Defa-Film. Der stammt och aus dem Jahr 1977. „Automärchen“. Und der passt eigentlich, wie ick finde, janz jut ins Programm.“

Findet Neumann. Deshalb läuft „Das Automärchen“ auch jetzt zum 30. Jubiläum in einer Woche wieder an. Dann weht wieder für ein paar Tage der Geist der DDR. Bei Neumann im Autokino.

„Lief sehr gut inne Kinos, als DDR-Film. Weil der eben nen bisschen Hokuspokus: Der Teufel mit die Autofahrer. Ich schätze, heute läuft der Film noch sehr gut, weil die alten Autos zu sehen sind. Skoda. Trabi. Wartburg. B 50.“

„Du blödes Landei, Du! Du musst doch wohl gehirnamputiert sein.
Ich erkläre ihnen das. Ich bin nämlich gegen diesen Baum gefahren.
Was?! Gegen den Baum?!
Gegen den Baum.“
Gegen den Baum sind auch schon die Neumanns gefahren. Im übertragenden Sinne. Anfangs bei der Auswahl der Filme. Als sie noch dachten: Preisgekrönte Oskar-Filme laufen wie von selbst.

„Wir haben’s so oft probiert. Jut! Die einzigste Ausnahme war vielleicht Titanic. Aber: Wenn sie jetzt nen Golden Globe oder Oskar kriegen: Läuft nicht! Hier is: Gehirn abschalten und gucken. Hier wollen se Klamauk, Action. Hier: Bruce Willis. Oder Karibik. Oder früher...“

„Bei gute Filme, also watt heißt gute Filme: Bei West-Filme. Der Otto-Film – der lief los, damals noch DDR. Da standen die Autos schon um drei Uhr...war der Ort schon verstopft. Und um 21 Uhr geht der Film los. Da war knüppeldicke voll.“

Ist lange her. Kann man schon mal nostalgisch werden. Neumann geht in sein Kabuff am Eingang – eine Rumpelkammer, wo sich die Werbebroschüren der Filmverleiher, Filmbänder und alte Kalender stapeln. Alles Erinnerungen; die Neumann auf seine alten Tage nicht mehr loslassen.

Lauter Geschichten. Wie die über die Entstehungsgeschichte des Autokinos. War nämlich eigentlich gar nicht geplant: So ein Auto-Kino. Schließlich gab es doch schon längst das Freiluftkino im Zempow.

„Und ditt ging auch ganz gut: Viele Leute waren da mit Autos und so. Saßen auf die Bänke. Es fing an zu regnen. Die Leute flüchteten in ihr Auto und haben sich den Film vom Auto aus angesehen. Nach 14 Tagen wurde die Sache noch mal wiederholt. Dasselbe Problem mit dem Regen. So! Und da kam die Idee, nen Autokino zu machen. Was ja damals eigentlich in der DDR nicht möglich war. Datt wollten die nich so recht haben, gewisse Leute. Dass nen Autokino...weil ja...Autos fuhren ruff: West und Ost standen hier. Einige wollten datt dicht haben. Watt näheres kann man dazu nich sagen. Watt wirklich passiert is, nich?! Jipt ja Gerüchte und so. Nich?! Haben auch jenuch Leute uffgepasst. Is klar.“

War halt doch nicht alles rosig – damals. Neumann schaut hoch. Konnten ja auch nicht so aus den Vollen schöpfen – in seinem alten Kino im Zechlin und hier in Zempow.

„Früher war ja hier, daß auf einmal das Bier alle wurde; die Wurst alle wurde. Gab ebent nur so und so viel Kilo Wurscht und dann war Ruhe. Wenn man sich da früher noch irgendwo anders besorgt hat: Schnitzel! War jemand, in watt jetzt unsere Spielhalle is, da kam jemand von Berlin, der hat Schnitzel mitgebracht. Hat Schnitzel hier verkooft. Die waren schön groß, weiß och nich. Hab neulich mal jemand getroffen, der war früher och öfter hier. Und der schwärmt von den Schnitzeln immer noch.“

An die Schnitzel kann sich Detlef Stöffen auch noch gut erinnern. Der Forstwirt hält dem Autokino schon seit mehr als zwanzig Jahren die Treue. Anfangs, Ende der 80er, war er jedes Wochenende da; ist er die sieben Kilometer vom Flecken Stechlin hierher geradelt. Bei Wind und Wetter.

„Wir haben viel zusammengehalten. Kamen auch mal andere Klicken mal an. Wir haben hier gesessen. Und da waren dann andere Klicken. Die haben dann auch gesessen. Und haben angefangen zu stänkern. Weil se doch nen bisschen Alkohol inne hatten. Waren ja auch schon mal Typen hier gewesen, wo ett nich so ruhig abging. Wo’s auch schon mal ne Schlägerei war. Kurz vor de Wendezeit, zu DDR-Zeit und in Wendezeit, da war datt dann so. Mit Glatzen und so. Haben dann doch mitgekriegt, dass sie hier kein Ärger machen können. Weil ab und zu war ja auch schon mal Wachschutz hier. Die kamen dann hier mal rum. Polizei kam hier och schon mal. Und haben geguckt. Und da waren se nachher ruhig und sind dann auch abgehauen.“

Aufregende Zeiten waren das damals im Autokino. Die Wende. Der Systemwechsel. Die Aufbruchsstimmung. Stundenlang hätten sie diskutiert, erinnert sich Detlef Steffens Bekannter Gerhard Bönig. Über das, was da in Berlin und Bonn passierte.

„Die Leute haben irgendwo nen Zusammenhalt gesehen, auch noch irgendwo den Zusammenhalt gelebt. Aber heutzutage? Es fällt halt immer weiter auseinander. Es werden alles Individualisten. Es lässt ganz schön nach. Man sieht hier wirklich nur noch kleinere Grüppchen, von den einzelnen Dörfern, vor allen die Jugendlichen. Aber es is nich mehr so, wie’s damals war.“

Damals – davon reden sie oft im Autokino. Auch Dirk Bohnenbach. Der 38jährige ist oft hier. Hat ja auch viel Zeit.

„Ich bin akut arbeitslos. Die letzte feste Anstellung war 2001. Zu DDR-Zeiten hatte hier jeder seine Arbeit. Ich bin ausgebildeter Zootechniker. Heutzutage heißt das nun Schweinebauer oder Landwirt Schweineproduktion. Das war morgens rin in den Stall, Schweine füttern, ausmisten. Nach Hause. Und nachmittags dasselbe noch mal.“

Immer der gleiche Rhythmus. Und dann war irgendwann Schluss. Von heute auf morgen. Danach hat Dirk Bohnenbach nicht mehr richtig Fuß gefasst. Ist ja nicht so, dass er es nicht versucht hätte. Hat als Kraftfahrer gejobbt, als Schweißer und Tiefbauer. War auf Montage. Nur, um kurze Zeit später doch wieder auf der Straße zu stehen.
„Lebensqualität? Meine Familie is hier. Und wenn man so schon nichts hat: Für fünf Leute kochen is immer noch billiger als hier bloß für einen. Na ja, fünf Leute sind wa nich zu Hause. Sind dreie. Mutter. Schwester. Da wir ja in Mecklenburg und Nordbrandenburg sind, natürlich auch arbeitslos. Verheiratet sind wa nich. Aber es is trotzdem der Unterhalt günstiger, als wenn alle drei selber ne Wohnung hätten.“

„20, 40, 60.
Geben sie sofort alles Geld heraus.
So nicht, Herr Kollege. Die Dame war vor ihnen.
50, 100, 120, 140, 160, 180, 200.
Danke.
Wie gesagt: Alles Geld heraus. Hab ne Pistole.
So! Wo soll denn die Pistole sein?
Hier in der Tasche. Beeilung!
Wer’s glaubt! Ich nicht.
Warum denn nicht?
Wie kommt man denn bei uns zu Pistolen?!“

„Maxe! Is jut!“

Maxe ist Neumanns Maskottchen. Ist auch schon in die Jahre gekommen – der Dackel. Genau wie das Autokino. Gar nicht so einfach, modern zu sein. Zeitgemäß. Die Ansprüche – seufzt Neumann – die Ansprüche werden immer größer. Die Leute wollen mehr Platz – für sich und ihre Autos.

„Trabi und Wartburg war ja kleiner. Hat weniger Platz gebraucht. Und die Leute waren ja auch vernünftiger. Wenn da noch jemand kam, dann sind die von alleine zusammen gerückt und haben dann gegenseitig Platz gemacht. Heute haben wa mehr stures Volk. Die möchten die Türen weit. Ja, datt is die Sache von heute.“

Undank ist der Welten Lohn! Dabei ist Neumann doch mit der Zeit gegangen. Hat investiert. Die Toiletten fliesen lassen, eine neue Leinwand aufgehängt – und sich extra einen kleinen Sender besorgt, der dafür sorgt, dass man im Autoradio den Film hören kann. UKW 90,2. Wenn das keine technische Innovation ist! Neumann strahlt. Da waren sie baff – seine Stammgäste. Die meisten zumindest.

„Gibt auch Meckerköppe. Speziell die Zugezogenen.“

„Die vonna Stadt. Die sich aufregen. Die sich dann beschweren.“

„Also, wenn ich sehe, wie das hier aussieht. Also hallo!“

Das ist Herr Kühne.

„Muss ich ihnen offen sagen: Der Eingangsbereich da. Sieht ja schon nen bisschen verlottert aus. Hat sich überhaupt nüscht verändert.“

Herr Kühne war schon vor zehn Jahren hier.

„Hier is in den ganzen Jahren nich ein Cent investiert worden. Überhaupt nüscht.“

Das ist die Frau von Herrn Kühne.

„Die janze Aufmachung. Die Wege. Ditt müsste doch hier mal nen bisschen ordentlich gemacht werden.“

So wie bei Kühnes zu Hause in Neuruppin.

„Und wenn ich mir hier die Dächer angucke: Also ich würde mich da nich rein trauen, um zu essen.“

In den Imbiss vom Autokino. Schade eigentlich! Schmeckt nämlich ganz gut hier.

„Currywurst mit Pommes. Ganz lecker. Kann man nur weiter empfehlen.“

Von wegen! So was kommt Frau Kühne nicht in die Tüte.

„Wir haben unser Essen mitgebracht. Belegte Brötchen und watt zu trinken.“

Nölende Gäste – das hat Neumann gerade noch gefehlt. Hat doch so und so schon genug am Hals. Die Besucherzahlen: Sinken. Genau wie die Einnahmen. Und jetzt werfen ihm auch noch die Filmverleiher Steine in den Weg. Eigentlich würde Neumann gerne mit anderen Betreibern von Autokinos in Brandenburg kooperieren – und Filme austauschen. Doch das geht nicht.

„Wird von Verleihern festgelegt. Entweder spielen wa 14 Tage oder drei Wochen. Da können wa nich sagen: Du, ich spiel jetzt die erste Woche und du kriegst die zweite Woche. Da macht der Verleiher nich mit. Obwohl ett günstiger wäre. Dass man lieber nen Film jetzt ne Woche spielt – zwei Wochen aussetzt und dann noch mal. Wie drei Wochen hintereinander.

So! Da kommt ener, datt is jemand aus Zechlin. Datt is der Haus- und Dorfnarr von Zempow.

Genau!

Den können se gleich...

Haus- und Hoftrottel. Enen Dorftrottel gibt ett hier imma in Zempow. Grüß dich Klaus! Ich komm, um mir watt zu essen zu holen. Feierabendessen. Ick hol jetzt für meine Mama Pommes.“

„Du musst ja wohl nen Sprung inner Schüssel haben.
Ich kann nichts dafür.
Was denn? Willste mir auch noch verarschen? Ich fahr seit 30 Jahren Autos, mein Lieber.
Aber heute ist es passiert.
Ach! Mit dir unterhalt ich mich nicht. Hat überhaupt keinen Zweck.
Nein!“

„"Ja! Der Trottel fährt los.
Nen schönen Hänger hat er.“

Ende November gehen im Autokino Zempow die Lichter aus. Für diese Saison.

„Wir machen weiter. Bloß datt ditt mein Sohn übernimmt. Die janze Sache.“

Nächstes Jahr. Dann kann Neumann etwas kürzer treten. Dann muss Neumann Junior ran – auch wenn der manchmal ins Grübeln kommt. Wenn der Sommer – wie dieses Jahr – mal wieder mehr oder weniger ins Wasser fällt und sich nur ein paar Leute ins Autokino verirren.

„Wenn man Privatunternehmen is, könnte man sagen: Jut, wir spielen für drei Mann jetzt nicht. Aber denn gehen die drei Mann, watt weeß ick, irgendwo hin und sagen: Da brauchst du nich hinfahren, wenn schlecht Wetter is. Die spielen bloß für zwanzig Leute. Näh, sowatt machen wa nich. Och wenn jetzt hier nur zwei Mann stehen, spielen wa trotzdem.“

So wie die letzten dreißig Jahre. Immer bei Einbruch der Dunkelheit. Immer von März bis November. Danach ist Pause. Im Winter. Ein bisschen graust es Maik Neumann schon davor.

„Wenn jetzt so die Winter-Monate sind. Dann muss man sich ja arbeitslos melden – für drei Monate. Und kam nun doch nich so datt Geld rin. Und dann hat man doch schon mal überlegt: Ob man nun uffem LKW geht? Oder ob man irgendwo inne Werkstatt anfängt? Bewerbungen hat man dann auch abgeschickt. Aber: Dann hat man wieder gesehen: Jut, stecht die Familie wieder alleine da. Hm. Familienbetrieb hat Vor- und Nachteile.“

Meint Neumann Junior. Und so werden sie wohl weiter machen – im Autokino Zempow – die Neumanns. Aber sind ja nicht alleine.

„Mensch, wir wohnen doch hier. Wir müssen unserem Klaus die Treue halten.“

„Und ick meine: Ohne Autokino würden wa och ganz schön...
„...doof aussehen.
Ja!“