Wahrnehmung der Sinne

Unser Gehirn ist permanent auf Empfang

06:16 Minuten
Ein Kind riecht an einer Blume.
Vor allem Düfte, die stark mit Emotionen stark verbunden sind, speichert der Mensch ab. © imago/PhotoAlto
Von Hanna Ender · 28.11.2019
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Ob intensive Gerüche, Vogelzwitschern oder Straßenlärm – wir sind permanent von Düften und Geräuschen umgeben. Unser Gehirn speichert mehr davon, als wir ahnen. Das hat Folgen.
Das Surren eines Kühlschranks, das Einschenken in ein Glas oder die Kaffeemaschine – Geräusche begegnen uns ständig im Alltag. Die Frage ist nur: Was bleibt davon tatsächlich langfristig hängen? Und was ist Hintergrundrauschen, das "wir sofort wieder auf die Müllkippe unseres Geistes werfen?" Die Frage treibt den Psychologen Fabian Hutmacher von der Universität Regensburg um. Er interessiert sich vor allem dafür, die Grenzen des menschlichen Gedächtnisses zu erkunden.

Brummen des Kühlschranks

"Ich möchte gerne wissen, was von den ganzen Dingen, die permanent auf uns einströmen, eigentlich dauerhaft bei uns im Kopf hängen bleibt." Um das herauszufinden, führte Hutmacher ein Experiment durch: Er setzte 51 Studienteilnehmer vor einen Bildschirm, auf dem ihnen für den Bruchteil einer Sekunde kurze Wörter präsentiert wurden. Kam ein Wort zweimal hintereinander vor, sollten sie eine Taste drücken.
Dabei hörten die Versuchspersonen über Kopfhörer verschiedene Alltagsgeräusche: brummende Kühlschränke oder das Rascheln einer Zeitung. Hutmacher bat die Probanden, die Geräusche zu ignorieren und sich voll und ganz darauf zu konzentrieren, ob die Worte auf dem Bildschirm doppelt auftauchen.
Die Aufgabe war klar und einfach, die Versuchspersonen sollten die Alltagsgeräusche ausblenden und sich nur auf die Wörter konzentrieren. Doch in Wahrheit ging es dem Forscher um etwas anderes, was er den Teilnehmern erst zum Abschluss eröffnete: Eigentlich habe er eben doch wissen wollen, ob sie sich an den Sound des Hintergrunds erinnern konnten, so Hutmacher.

Geräusche bleiben im Gedächtnis

Um das herauszufinden, spielte der Psychologe seinen Probanden anschließend zwei Alltagsgeräusche aus derselben Kategorie vor: zwei unterschiedlich brummende Kühlschränke zum Beispiel. Und wollte dann wissen, welches Kühlschrank-Brummen die Testperson während des Versuchs gehört hat. "Was wir gefunden haben, ist, dass die Versuchspersonen insgesamt ungefähr 56 Prozent richtig lagen." Und das sowohl, wenn sich die Studienteilnehmer sofort nach dem Experiment für ein Geräusch entscheiden mussten oder erst 24 Stunden später.
Über die Hälfte der Versuchspersonen hat also das richtige Geräusch wiedererkannt. Das widerspricht bisherigen Studien, die bislang ergeben haben: Unser Gehirn speichere irrelevante Alltagsgeräusche nicht ab. Seine Ergebnisse belegten, dass "wir uns von den ganzen Sinneseindrücken, die permanent auf uns einströmen, mehr merken können, als man bisher immer geglaubt hat", so Hutmacher.

Gerüche wirken noch unmittelbarer

Es bilden sich somit auch Erinnerungen von vermeintlich unwichtigen Sinneseindrücken im menschlichen Gehirn. Nicht nur, wenn es ums Hören geht. Gerüche und Erinnerungen sind sogar noch enger miteinander verwoben, sagt Rachel Herz, die die "Psychologie des Riechens" an der Brown University im U.S.-Bundesstaat Rhode Island erforscht: "Es gibt diese besonderen autobiografischen Erinnerungen, die durch Gerüche ausgelöst werden." Sie könnten uns an eine bestimmte Zeit oder an einen bestimmten Ort zurückbringen. Gerüche seien emotionaler und bewegender als Erinnerungen, die wir durch unsere anderen Sinne erfahren.
Steigt uns aber ein Geruch von früher in die Nase, fühlen wir uns sofort dorthin zurückversetzt: Zum Beispiel der Geruch von Apfelkuchen, der uns an die Kindheit erinnert, das Parfüm des Ex-Freundes, oder der Geruch von Sonnencreme, der in uns Bilder vom letzten Urlaub aufleben lässt. Herz kann diese starken Emotionen auch erklären: "Der Teil des Gehirns, der Gerüche verarbeitet, ist direkt mit der Amygdala und dem Hippocampus verbunden." Die Amygdala ist verantwortlich für unsere emotionalen Erinnerungen. Der Hippocampus entscheidend dafür, was wir uns merken oder lernen. Der Geruchssinn ist der einzige Sinn, der diese direkte Verknüpfung im Gehirn habe, so Herz.

Industrie nutzt Geruchserinnerung fürs Marketing

Wie stark dieses System beim Erinnern anspringt, konnte Rachel Herz kürzlich auch in einer Studie für einen Kosmetikhersteller zeigen. Für eine neue Bodylotion sollte Rachel Herz herausfinden, welchen Geruch Testpersonen favorisieren und fand heraus: "Wenn der Geruch der Lotion bei der Person eine persönliche Erinnerung hervorgerufen hat, dann mochte sie die Lotion lieber." Mehr noch: Die Testperson hatte zudem das Gefühl, die Bodylotion pflege die Haut besser als eine, deren Geruch keine Erinnerung hervorruft. Man denke also, ein Produkt sei besser, nur "wenn der Geruch etwas auslöst".
Dass unsere Nase besonders eng verwoben ist mit unseren Gefühlen und Erinnerungen, sei evolutionsgeschichtlich sinnvoll, sagt Herz. Es gehe darum zu wissen, was der Geruch bedeutete und am Geruch zu erkennen: "Kann man es noch essen oder ist es gefährlich oder verdorben?" Die Bedeutung des Geruchs habe sich der Mensch immer einprägen müssen, um überleben zu können. Das galt zumindest in der Welt unserer Vorfahren, in der es weder Verpackung, noch Mindesthaltbarkeitsdatum gab. Aber auch in einer industrialisierten Welt, in der wir täglich von unzähligen Geräuschen und Gerüchen umgeben sind, können unsere Sinne viel mehr speichern, als man bisher angenommen hat.
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