Wahlrecht zur Bundestagswahl

Demokratie heißt Gleichheit trotz Ungleichheit

29:42 Minuten
Frisch gedruckte Wahlplakate der CSU noch verpackt auf einem LKW-Auflieger an einem Parkplatz bei Bad Wörishofen.
Um die Wähler zur Bundestagswahl 2021 wird an jeder Ecke geworben. © Imago / MiS
Moderation: Susanne Führer · 04.09.2021
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18 Jahre, deutsche Staatsbürgerschaft – das sind die Voraussetzungen, um bei der Bundestagswahl abzustimmen. Andere politische Mehrheiten könnten anderes beschließen. Nur ein Familienwahlrecht hält die Juristin Sophie Schönberger für verfassungswidrig.
Wenn am 26. September ein neuer Bundestag gewählt wird, sind zwei Gruppen zum ersten Mal dabei: Menschen mit Behinderung, die unter Betreuung stehen sowie Straftäter, die als schuldunfähig gelten und im Maßregelvollzug sind. Insgesamt etwa 85.000 neue Wählerinnen und Wähler.
Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat ihnen erstmals das Wahlrecht eingeräumt, "weil es einen Unterschied gibt zwischen einer individuellen Verantwortung für das eigene Handeln und der Fähigkeit, am politischen Leben mit einer Wahlentscheidung teilzunehmen", sagt Sophie Schönberger. Sie lehrt als Professorin Öffentliches Recht an der Universität Düsseldorf.
Ein "inklusives Wahlrecht" hatten auch Union und SPD als Ziel in ihrem Koalitionsvertrag genannt. 2019 hat der Bundestag dann auch die bisher geltenden Wahlausschlüsse aus dem Bundeswahlgesetz gestrichen.

Grundsätzlich dürfen alle mitmachen

"Demokratie bedeutet, dass grundsätzlich alle Menschen, die zur demokratischen Gemeinschaft dazu gehören, wählen dürfen. Und wenn man jemanden von diesem Wahlrecht ausschließt, braucht man wirklich gute Gründe."
In Artikel 20 Grundgesetzt heißt es: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus". Von deutscher Staatsangehörigkeit ist zwar nicht die Rede, doch ein – wenn auch älteres – Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellte fest, "dass Volk im Sinne dieser Vorschrift das deutsche Volk, die deutschen Staatsangehörigen" meint, sagt die Rechtswissenschaftlerin Schönberger. Wer möchte, dass sich auch Ausländer in Deutschland an der Bundestagswahl beteiligen können, muss das Grundgesetz ändern.

Änderungen sind möglich

Dafür braucht es allerdings eine Zweidrittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat, und die gibt es zurzeit nicht. Auch nicht für eine Änderung des Wahlalters für die Bundestagswahl, das aktuell 18 Jahre beträgt. Bis 1970 musste man in der Bundesrepublik noch 21 Jahre alt sein, um wählen zu können.
"Dieser Punkt, wann man das Wahlalter setzt, ist in gewisser Weise immer willkürlich. Das ist politische Dezision." Dabei gehe es um die Frage, ob man sich eine Meinung bilden könne, ob man in der Lage sei, am politischen Diskurs teilzunehmen. Es brauche also eine gewisse Entwicklungsreife, um wählen zu können.
Wenn es politisch gewollt sei, wäre es ohne Weiteres möglich, das Wahlalter auf 16 zu senken, wie es aktuell diskutiert wird. 16-Jährige können im Übrigen bereits an vielen Kommunal- und Landtagswahlen teilnehmen.

Gleich, obwohl ungleich

Die Idee, auch kleine Kinder in der Form eines Familienwahlrechts an Wahlen teilnehmen zu lassen, dass also die Eltern pro Kind eine Stimme mehr bekommen, hält Schönberger für klar verfassungswidrig. Das lege die Axt an die demokratische Gleichheit, die ein nicht verhandelbarer Grundsatz der Demokratie sei.
"Jede Wählerin, jeder Wähler ist genau gleich viel wert, unabhängig davon, wie viel er für die Gemeinschaft beiträgt, was er sonst in seinem Leben macht. Die Demokratie lebt davon, dass wir in diesem Moment der Stimmabgabe gleich sind, obwohl wir natürlich alle total ungleich sind."
(sf)

Sophie Schönberger ist Inhaberin des Lehrstuhls Öffentliches Recht, Kunst- und Kulturrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Co-Direktorin des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung (PRuF). Sie ist die Prozessbevollmächtigte der Normenkontrollklage, die FDP, Grüne und Die Linke gegen das reformierte Wahlgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht angestrengt haben.

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