Wahlkreis 153 Leipzig Süd

Wo auch die CDU eine Linke aufstellt

07:10 Minuten
Ein Wahlplakat in der Leipziger Innenstadt zeigt die CDU-Direktkandidatin Jessica Heller. Die junge Frau hat lange Haare, auf dem Plakat steht: "Jessica Heller. Für Leipzig in den Bundestag"
Jessica Heller gehört zum Arbeitnehmerflügel der CDU. Die Konkurrenz ist eng und mitunter ruppig in dem vielfältigen Wahlkreis 153. © imago / Christian Grube
Von Alexander Moritz · 24.09.2021
Audio herunterladen
Der Wahlkreis Leipzig Süd ist ein besonderer in Sachsen. Bei der Bundestagswahl 2017 holte der Kandidat der Linken das Direktmandat im konservativ wählenden Freistaat. Auch diesmal ist der Wahlkreis hart umkämpft, vier Bewerber haben Chancen.
Jessica Heller hat ihren Wahlkampfstand mit dem orangefarbenen Sonnenschirm direkt vor einem Supermarkt aufgebaut. Mit vollen Körben und Taschen wollen nur wenige mit der Kandidatin reden. Die CDU-Kandidatin versucht es trotzdem. Einigen kann sie zumindest den Flyer in die Hand drücken.

Klimaschutz und die CDU

"Klima – ist ja auch wichtig", sagt ein Mann. "Aber es ist auch wichtig, dass alle ihre Arbeitsplätze haben. Da wird gar nicht drüber geredet. Es geht uns nur so gut, wie unsere Wirtschaft ist. Darum wähle ich auch CDU." Ihn muss Heller also nicht überzeugen.
Beim Thema Klimaschutz pflichtet sie ihm bei: Beschränkungen für Firmen dürften nicht zu hart ausfallen, "damit die nicht ins Ausland abwandern, wo es dann auch niedrigere Standards für den Klimaschutz gibt."
Hellers Herzensthema aber ist die Pflege: Die 31-Jährige arbeitet als Intensivkrankenschwester. "Eine Krankenschwester für den Bundestag" steht auf ihren Wahlplakaten. "Momentan sind nur sehr bestimmte Gruppen in den Gremien des Gesundheitswesens stimmberechtigt: Ärzte, Krankenkassen, Krankenhäuser", sagt Heller. "Und das verzerrt das Bild, das verzerrt auch die Chancen, die wir haben, dieses System mal auf gute Füße zu stellen."
Heller gehört zum Arbeitnehmerflügel der CDU. Sie will sich für mehr Tarifbindung einsetzen, Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern beseitigen, betriebliche Mitbestimmung stärken: eigentlich klassische linke Positionen.
"Warum ist denn hier so eine vermeintlich progressive CDU-Kandidatin am Start?", fragt Herausfordererin Paula Piechotta. "Weil die sonst gar keine Chance im Leipziger Süden hätte!"

Die Grünen-Kandidatin wirbt mit Blumensamen

Radiologin Paula Piechotta ist Spitzenkandidatin der Grünen in Sachsen. Auch sie ist mit 34 Jahren relativ jung, auch sie versucht im Wahlkampf, mit ihren Erfahrungen im Gesundheitsbereich Sympathien zu gewinnen. "Wir machen auch sehr viele Sachen, die wir machen, weil wir sie abrechnen können. Und wenn wir es allein schaffen, dass wir mehr für Qualität statt nur für Menge bezahlen, dann können wir auch unglaublich viel im Gesundheitssystem Geld umwidmen für tatsächlich sinnvolle, bessere Versorgung."
Die Grünen-Politikerin kämpft im Leipziger Stadtteil Plagwitz um Stimmen. "Kann ich Ihnen noch etwas mitgeben zur Wahl? Ein bisschen Blumensamen vielleicht?" In den Stadtteil sind in den vergangenen Jahren viele Kreative gezogen, junge Familien, viele aus dem Westen: grünes Kernklientel. "Wir haben hier zur Landtagswahl auch das Direktmandat geholt. Genauso wie im Leipziger Zentrum gehört es zum Leipziger Südwahlkreis, was den Wahlkreis zum aussichtsreichsten für Grüne in ganz Sachsen macht."

Ausgang Spitz auf Knopf

Doch der Wahlkreis umfasst sehr unterschiedliche Milieus: vom Plattenbauviertel Grünau bis zum linken Szenekiez Connewitz. Die Ergebnisse bei den letzten Wahlen waren immer knapp. Klare Präferenzen seien nicht zu erkennen, erklärt Hendrik Träger, Politikwissenschaftler an der Uni Leipzig. "Man kann sagen, dass vier Parteien halbwegs realistische Chancen haben, diesen Wahlkreis zu gewinnen. Aber wer am Ende das Direktmandat gewinnt, wird wirklich Spitz auf Knopf sein."
Die Grüne Piechotta sieht ihre Hauptkonkurrenz klar in der CDU-Mitbewerberin. Und greift sie scharf an, wie vergangene Woche bei einer Wahldiskussion beim Thema Betriebsschließungen in Ostdeutschland: "Das ist ein Unding für alle Arbeitnehmer, die hier fleißig arbeiten, die eine gute Arbeit machen", sagte Heller, "dass dann immer hier die Standorte wegfallen sollen, während in den alten Bundesländern alles so bleibt."
Piechotta konterte: "Aber Frau Heller, wo finde ich dieses stärkere Durchgreifen in den Unternehmen im CDU-Wahlprogramm?" "Frau Piechotta, wir vertreten hier auch uns selbst", erwiderte Heller. "Sie können natürlich immer bemängeln, wenn ich einen Punkt mache, der Ihnen eigentlich gefällt, dass das nicht in meiner Partei steht."

Das erste Direktmandat der Linken außerhalb Berlins

Dass so hart um den Wahlkreis gekämpft wird, liegt auch am bisherigen Wahlkreisabgeordneten: 2017 hatte der etwas farblose Sören Pellmann von der Linken der CDU das Direktmandat abgenommen. Das erste Direktmandat für die Linke außerhalb Berlins. Damals bekam Pellmann Unterstützung von den Grünen und der SPD. Die fällt nun weg, weil Pellmann mit Sarah Wagenknecht auftritt, die wegen ihrer Forderung nach einer schärferen Asylpolitik in der Kritik steht.
Nun rechnet sich die Grünenkandidatin gute Chancen auf das Direktmandat aus. "Das Risiko, dass die CDU das gewinnt, gerade auch mit dieser unbekannten, teilweise auch sehr tollpatschigen Kandidatin, die einen sehr schlechten Bundestrend im Rücken hat, ist ausreichend gering", sagt Piechotta. "Es muss auch mal wieder um Inhalte gehen. Es gibt einfach auch große inhaltliche Unterschiede zwischen Linken, SPD und Grünen."
"Dass das Frau Piechotta nicht gefällt und sie das für zu sozial für die Union hält, ist nicht mein Problem, sondern ihres", sagt Heller. Der Ton im Wahlkampf ist teilweise ruppig.

Junge Kandidierende

Auch Sören Pellmann setzt alles daran, sein Mandat zu verteidigen. Unbekannte haben Flugblätter verteilt, die ihn als einzigen aussichtsreichen Kandidaten des linken Spektrums darstellten, dabei gibt es auf Wahlkreisebene gar keine Umfragen. Grüne und SPD werfen Pellmann deswegen unlauteren Wahlkampf vor.
Eine Rolle spielt dabei auch die Angst vor der AfD. Während die Partei im Bund stagniert, liegt die AfD in Sachsen in Prognosen bei um 25 Prozent uneinholbar vorne. In Dresden könnte die Partei erstmals ein Direktmandat in einer Großstadt gewinnen.
Dass mehrere Frauen, alle Anfang 30, alle eher links, eine Chance haben, damit ist Leipzig in Sachsen die absolute Ausnahme. "Ich finde, das spiegelt sehr gut den Leipziger Süden wieder: Der ist jung, der ist dynamisch, hier wird sich was getraut", sagt Nadja Sthamer, die SPD-Direktkandidatin. Deswegen hätten junge Kandidierende hier die Chance anzutreten. "Aber wir haben halt alle ganz unterschiedliche Profile und das macht es für mich so spannend."
Nadja Sthamer könnte die lachende Dritte im Kampf um das Direktmandat werden. Die 31-Jährige arbeitet als Mitarbeiterin einer Europaabgeordneten. Ihren Schwerpunkt legt die junge Mutter auf die Familienpolitik. "Das Thema Kindergrundsicherung, was ich durchsetzen möchte, weil es mich wirklich unglaublich beschämt, dass in so einem reichen Land wie Deutschland so viele Kinder in Deutschland in Armut aufwachsen. Und das ist durchaus ein Thema hier. Gerade Alleinerziehende sind ja in Sachsen eine große Gruppe, auch in Leipzig, auch im Leipziger Süden."

Womöglich kommt ein Kuriosum

Dass auch die CDU-Mitbewerberin sich eher links positioniert, stört sie nicht: "Ich nehme Jessica Heller persönlich ab, dass sie so tickt. Die Frage ist, ob sie sich damit in ihrer Fraktion durchsetzen kann. Das sehe ich tatsächlich nicht." Die SPD hatte es in Sachsen lange schwer. Bei der letzten Wahl fiel sie auf 11 Prozent der Stimmen. Diesmal sieht es besser aus.
Und noch ein Kuriosum dieser Wahl zeigt sich in Leipzig: Wenn die Prognosen stimmen und der Bundestag durch Überhangmandate noch einmal deutlich wächst, könnten sich alle Kandidierenden der fünf großen Parteien, von der Linken bis zur AfD, ab nächster Woche im Bundestag wiedersehen: Alle sind über aussichtsreiche Listenplätze abgesichert.
Mehr zum Thema