Wahlbeobachter: Hamas hat sich gemäßigt
Christian Sterzing, Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah, erwartet auch bei einem Sieg der radikal-islamischen Hamas bei der Parlamentswahl in den Palästinensergebieten weitere Verhandlungen mit Israel. Die Hamas habe in den vergangenen Jahren einen Mäßigungsprozess durchlaufen, sagte Sterzing, der die Wahlen beobachtet.
Marie Sagenschneider: Guten Morgen, Herr Sterzing!
Christian Sterzing: Einen schönen guten Morgen!
Sagenschneider: Rund 900 internationale Wahlbeobachter sind heute in den palästinensischen Gebieten unterwegs, rechnen Sie eigentlich mit ruhigen Wahlen?
Sterzing: Man rechnet schon damit, dass hier und da durchaus Vorfälle passieren können. Es gab ja zum Beispiel Vorwahlen in einzelnen Parteien und die liefen zum Teil, ja, nicht ganz reibungslos ab. Sie mussten bei Fatah sogar unterbunden werden. Es gibt Kräfte in den palästinensischen Gebieten, die kein Interesse an der Durchführung der Wahlen haben, und da müssen wir abwarten, ob tatsächlich heute irgendwelche den Versuch unternehmen, den Wahltag zu stören. Der kritische Augenblick wird aber wahrscheinlich eher die Auszählung sein und nicht so sehr der Wahlvorgang den Tag über.
Sagenschneider: Warum, glauben Sie, dass das kritisch werden wird?
Sterzing: Ja, weil da natürlich gerade auch auf Grund der Erfahrungen die man 1996 gemacht hat, man doch davon ausgehen kann, dass vielleicht hier und dort Versuche gemacht werden, irgendwie die Wahlen zu manipulieren, also vielleicht bei den Auszählungen ein bisschen nachzuhelfen, mal gucken, ob alle Wahlurnen dann hinterher noch da sind. Das sind die heiklen Punkte, mit denen man hier heute rechnet.
Sagenschneider: Nun erleben wir eine sehr komplizierte Situation in den palästinensischen Gebieten. Eine Fatah, die zerstritten ist und sich für diese Wahlen nur mühsam zusammengerauft hat und eine sehr starke Hamas, die sagt, nur der Widerstand hilft weiter, nicht der friedliche Weg, nicht die Gespräche mit Israel. Was, wenn die Hamas so stark wird, wie es die Umfragen besagen?
Sterzing: Also zum einen glaube ich, muss man differenzieren bei Hamas. Hamas hat in den letzten Jahren eine deutliche Mäßigung durchlaufen. Es gibt eben auch viele Äußerungen von prominenten Hamas-Führern, die sagen, doch, wenn wir in der Regierung sind, dann sind wir auch bereit, mit Israel zu verhandeln. Wir können durchaus hier zu irgendwelchen Gesprächen kommen, also ein deutlicher Mäßigungskurs. Auch in der Wahlplattform von Hamas ist nicht mehr von der Zerstörung Israels die Rede. Also es ist eine Einbindungsstrategie, die Hamas verfolgt hat auf der einen Seite, und die aber auch vom Präsidenten Mahmud Abbas verfolgt worden ist. Die zukünftige Regierung, es wird eben zum Teil auch von Koalitionen geredet, ist noch völlig offen, weil eben, wie sie ja auch sagten, das Ergebnis spannend sein wird, mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen zum Teil gerechnet wird. Insofern ist noch gar nicht gesagt, dass Hamas tatsächlich eine Regierungsrolle spielen wird. Wir dürfen bei dem Blick auf die beiden Hauptakteure Hamas und Fatah nicht vergessen, dass es auch unabhängige Kräfte gibt, demokratisch-säkulare Kräfte, die durchaus zu einem Zünglein an der Waage werden können.
Sagenschneider: Wir hören, dass die Telekommunikationsleitungen nach Ramallah genau so instabil sind, wir vieles in diese Region, aber ich denke, es wird noch gehen. Wie schätzen Sie das denn ein, Herr Sterzing, wenn nun Hamas sehr stark wird, wenn es eine Regierungsbeteiligung geben sollte oder sogar einen Sieg, müsste dann die Hamas offiziell den Gewaltverzicht verkünden?
Sterzing: Nein, natürlich muss sie das nicht. Denn sie ist in sich selbst noch zerstritten über den zukünftigen Kurs. Sie wird, glaube ich, schon auf jeden Fall weiter einen Mäßigungskurs vertreten. Sie hat kein Interesse daran, weiter in die Isolation getrieben zu werden, im Gegenteil, sie will sich einbinden. Viele Menschen wählen ja auch Hamas nicht, weil es eine islamische Kraft ist, weil sie besonders radikal ist, sondern sie wählen sie, weil Fatah so schwach ist, weil Fatah Korruption und Misswirtschaft vorgeworfen wird. Alle Meinungsumfragen in den letzten Wochen, Monaten deuten darauf hin, dass in der palästinensischen Bevölkerung das Bedürfnis nach Verhandlungen, nach einer friedlichen Regelung des Konflikts durchaus wächst. Und Hamas wird sich dort bestimmt nicht dagegen stellen, insofern glaube ich schon, dass man nicht mit einer Radikalisierung rechnen kann, sondern eher mit einer weiteren Mäßigung. Und viele Palästinenser sagen, warum soll Hamas nicht eine Entwicklung durchmachen, die auch Fatah, die auch die PLO in den letzten zwei Jahrzehnten durchgemacht hat?
Sagenschneider: Die Frage ist nur, wie schnell muss das gehen? Denn die EU, auch die USA haben ja schon annonciert, wenn es diesen Gewaltverzicht nicht geben sollte, dann würde man die finanzielle Unterstützung einstellen und ohne diese Zuwendung wird sich in den palästinensischen Gebieten wenig zum Guten wenden.
Sterzing: Ja. Man muss leider feststellen, dass sehr viele Kräfte eigentlich einen Wahlkampf für Hamas gemacht haben. Solche Äußerungen sind natürlich auch dazu angetan, um sozusagen Hamas zu fördern. Ich glaube, man muss zwischen Zweierlei unterscheiden: Das eine ist die innere Entwicklung hier in Palästina, die durchaus auf eine Mäßigung hinausläuft. Zweifellos hat Hamas nicht dem Terror abgeschworen, auch nicht der Gewalt. Das kann man glaube ich auch nicht erwarten. Der Konflikt, der läuft ja noch. Aber man wird auf jeden Fall von europäischer, amerikanischer Seite sich überlegen müssen, wie man mit Hamas, falls sie in die Regierung kommt, aber auch ohnehin wenn sie im Parlament sitzt, in Zukunft umgeht. Und hier glaube ich schon, dass es richtig ist, dass man, wie man das in anderen Gegenden in der Welt auch tut, mit radikalen Kräften durchaus Bedingungen setzt, unter denen man nur bereit ist, mit ihnen zu kommunizieren und zu verhandeln. Aber ich glaube, es geht darum, dass man diesen Mäßigungskurs, diese Einbindungsstrategie von Hamas verstärkt, fördert und sie nicht weiter irgendwie in die Isolation treibt.
Sagenschneider: Diese Wahlen jetzt in den palästinensischen Gebieten, werden die auch Auswirkungen haben auf die Wahlen in Israel im März?
Sterzing: Ja, zunächst kann man ja feststellen, dass die politischen Ereignisse und Entwicklungen in Palästina, wenn ich das richtig sehe, keinen Einfluss auf die palästinensischen Wahlen gehabt haben. Aber natürlich schaut man von israelischer Seite sehr genau auf das Wahlergebnis. Ich glaube, man kann nicht davon ausgehen, dass sich das jetzt unmittelbar in irgendwelchen Gewinnen für rechte oder eher radikale Kräfte in Israel auswirken wird. Man wird abwarten. Man muss deutlich sehen, dass halt auch in Israel die politische Landschaft sich neu sortiert, und hier ist noch längst nicht das letzte Wort gesprochen, das dauert noch zwei Monate, bis ja in Israel auch gewählt wird. Auf der anderen Seite muss man deutlich sagen, dass von einer Störung des Friedensprozesses noch nicht die Rede sein kann, denn es gibt hier keinen Friedensprozess, und insofern glaube ich, werden wir erst noch mal ein paar Wochen, ja Monate, bis sich auf beiden Seiten die politische Kräfte nach den Wahlen sortiert haben, mit einer relativen Stagnation im Friedensprozess rechnen müssen.
Sagenschneider:: Christian Sterzing, der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen.
Christian Sterzing: Einen schönen guten Morgen!
Sagenschneider: Rund 900 internationale Wahlbeobachter sind heute in den palästinensischen Gebieten unterwegs, rechnen Sie eigentlich mit ruhigen Wahlen?
Sterzing: Man rechnet schon damit, dass hier und da durchaus Vorfälle passieren können. Es gab ja zum Beispiel Vorwahlen in einzelnen Parteien und die liefen zum Teil, ja, nicht ganz reibungslos ab. Sie mussten bei Fatah sogar unterbunden werden. Es gibt Kräfte in den palästinensischen Gebieten, die kein Interesse an der Durchführung der Wahlen haben, und da müssen wir abwarten, ob tatsächlich heute irgendwelche den Versuch unternehmen, den Wahltag zu stören. Der kritische Augenblick wird aber wahrscheinlich eher die Auszählung sein und nicht so sehr der Wahlvorgang den Tag über.
Sagenschneider: Warum, glauben Sie, dass das kritisch werden wird?
Sterzing: Ja, weil da natürlich gerade auch auf Grund der Erfahrungen die man 1996 gemacht hat, man doch davon ausgehen kann, dass vielleicht hier und dort Versuche gemacht werden, irgendwie die Wahlen zu manipulieren, also vielleicht bei den Auszählungen ein bisschen nachzuhelfen, mal gucken, ob alle Wahlurnen dann hinterher noch da sind. Das sind die heiklen Punkte, mit denen man hier heute rechnet.
Sagenschneider: Nun erleben wir eine sehr komplizierte Situation in den palästinensischen Gebieten. Eine Fatah, die zerstritten ist und sich für diese Wahlen nur mühsam zusammengerauft hat und eine sehr starke Hamas, die sagt, nur der Widerstand hilft weiter, nicht der friedliche Weg, nicht die Gespräche mit Israel. Was, wenn die Hamas so stark wird, wie es die Umfragen besagen?
Sterzing: Also zum einen glaube ich, muss man differenzieren bei Hamas. Hamas hat in den letzten Jahren eine deutliche Mäßigung durchlaufen. Es gibt eben auch viele Äußerungen von prominenten Hamas-Führern, die sagen, doch, wenn wir in der Regierung sind, dann sind wir auch bereit, mit Israel zu verhandeln. Wir können durchaus hier zu irgendwelchen Gesprächen kommen, also ein deutlicher Mäßigungskurs. Auch in der Wahlplattform von Hamas ist nicht mehr von der Zerstörung Israels die Rede. Also es ist eine Einbindungsstrategie, die Hamas verfolgt hat auf der einen Seite, und die aber auch vom Präsidenten Mahmud Abbas verfolgt worden ist. Die zukünftige Regierung, es wird eben zum Teil auch von Koalitionen geredet, ist noch völlig offen, weil eben, wie sie ja auch sagten, das Ergebnis spannend sein wird, mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen zum Teil gerechnet wird. Insofern ist noch gar nicht gesagt, dass Hamas tatsächlich eine Regierungsrolle spielen wird. Wir dürfen bei dem Blick auf die beiden Hauptakteure Hamas und Fatah nicht vergessen, dass es auch unabhängige Kräfte gibt, demokratisch-säkulare Kräfte, die durchaus zu einem Zünglein an der Waage werden können.
Sagenschneider: Wir hören, dass die Telekommunikationsleitungen nach Ramallah genau so instabil sind, wir vieles in diese Region, aber ich denke, es wird noch gehen. Wie schätzen Sie das denn ein, Herr Sterzing, wenn nun Hamas sehr stark wird, wenn es eine Regierungsbeteiligung geben sollte oder sogar einen Sieg, müsste dann die Hamas offiziell den Gewaltverzicht verkünden?
Sterzing: Nein, natürlich muss sie das nicht. Denn sie ist in sich selbst noch zerstritten über den zukünftigen Kurs. Sie wird, glaube ich, schon auf jeden Fall weiter einen Mäßigungskurs vertreten. Sie hat kein Interesse daran, weiter in die Isolation getrieben zu werden, im Gegenteil, sie will sich einbinden. Viele Menschen wählen ja auch Hamas nicht, weil es eine islamische Kraft ist, weil sie besonders radikal ist, sondern sie wählen sie, weil Fatah so schwach ist, weil Fatah Korruption und Misswirtschaft vorgeworfen wird. Alle Meinungsumfragen in den letzten Wochen, Monaten deuten darauf hin, dass in der palästinensischen Bevölkerung das Bedürfnis nach Verhandlungen, nach einer friedlichen Regelung des Konflikts durchaus wächst. Und Hamas wird sich dort bestimmt nicht dagegen stellen, insofern glaube ich schon, dass man nicht mit einer Radikalisierung rechnen kann, sondern eher mit einer weiteren Mäßigung. Und viele Palästinenser sagen, warum soll Hamas nicht eine Entwicklung durchmachen, die auch Fatah, die auch die PLO in den letzten zwei Jahrzehnten durchgemacht hat?
Sagenschneider: Die Frage ist nur, wie schnell muss das gehen? Denn die EU, auch die USA haben ja schon annonciert, wenn es diesen Gewaltverzicht nicht geben sollte, dann würde man die finanzielle Unterstützung einstellen und ohne diese Zuwendung wird sich in den palästinensischen Gebieten wenig zum Guten wenden.
Sterzing: Ja. Man muss leider feststellen, dass sehr viele Kräfte eigentlich einen Wahlkampf für Hamas gemacht haben. Solche Äußerungen sind natürlich auch dazu angetan, um sozusagen Hamas zu fördern. Ich glaube, man muss zwischen Zweierlei unterscheiden: Das eine ist die innere Entwicklung hier in Palästina, die durchaus auf eine Mäßigung hinausläuft. Zweifellos hat Hamas nicht dem Terror abgeschworen, auch nicht der Gewalt. Das kann man glaube ich auch nicht erwarten. Der Konflikt, der läuft ja noch. Aber man wird auf jeden Fall von europäischer, amerikanischer Seite sich überlegen müssen, wie man mit Hamas, falls sie in die Regierung kommt, aber auch ohnehin wenn sie im Parlament sitzt, in Zukunft umgeht. Und hier glaube ich schon, dass es richtig ist, dass man, wie man das in anderen Gegenden in der Welt auch tut, mit radikalen Kräften durchaus Bedingungen setzt, unter denen man nur bereit ist, mit ihnen zu kommunizieren und zu verhandeln. Aber ich glaube, es geht darum, dass man diesen Mäßigungskurs, diese Einbindungsstrategie von Hamas verstärkt, fördert und sie nicht weiter irgendwie in die Isolation treibt.
Sagenschneider: Diese Wahlen jetzt in den palästinensischen Gebieten, werden die auch Auswirkungen haben auf die Wahlen in Israel im März?
Sterzing: Ja, zunächst kann man ja feststellen, dass die politischen Ereignisse und Entwicklungen in Palästina, wenn ich das richtig sehe, keinen Einfluss auf die palästinensischen Wahlen gehabt haben. Aber natürlich schaut man von israelischer Seite sehr genau auf das Wahlergebnis. Ich glaube, man kann nicht davon ausgehen, dass sich das jetzt unmittelbar in irgendwelchen Gewinnen für rechte oder eher radikale Kräfte in Israel auswirken wird. Man wird abwarten. Man muss deutlich sehen, dass halt auch in Israel die politische Landschaft sich neu sortiert, und hier ist noch längst nicht das letzte Wort gesprochen, das dauert noch zwei Monate, bis ja in Israel auch gewählt wird. Auf der anderen Seite muss man deutlich sagen, dass von einer Störung des Friedensprozesses noch nicht die Rede sein kann, denn es gibt hier keinen Friedensprozess, und insofern glaube ich, werden wir erst noch mal ein paar Wochen, ja Monate, bis sich auf beiden Seiten die politische Kräfte nach den Wahlen sortiert haben, mit einer relativen Stagnation im Friedensprozess rechnen müssen.
Sagenschneider:: Christian Sterzing, der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen.