Wahlausgang in Großbritannien

Vor unruhigen Zeiten

Das Houses of Parliament in London am Morgen nach der Wahl
Das Houses of Parliament in London am Morgen nach der Wahl © AFP / Leon Neal
Von Jochen Spengler · 08.05.2015
Die britischen Wähler haben für klare Verhältnisse gesorgt – zumindest das ist beruhigend angesichts der unruhigen Zeiten, auf die das Land nun zusteuert, kommentiert Jochen Spengler. Wahlsieger Cameron kann regieren. Große Würfe seien von ihm nicht zu erwarten.
Die Briten haben für Stabilität gestimmt und für Klarheit gesorgt – zumindest das ist beruhigend angesichts der unruhigen Zeiten, auf die das Land zusteuert. Keine wackelige Minderheitsregierung, keine diffusen Machtverhältnisse, stattdessen kann David Cameron eine Allein-Regierung bilden mit solider Mehrheit.
Die Frage ist nur, was er damit anfängt? Es steht zu befürchten, dass er die einseitige Wirtschaftspolitik zugunsten der Wohlhabenden fortsetzen wird und den Abbau des Sozialstaats weiter beschleunigt. Mit dem versprochenen EU-Referendum riskiert er zudem den Ausstieg seines Landes aus der EU und in der Folge, die Trennung der europafreundlichen Schotten von England. So aber wird er nur schwerlich - wie heute angekündigt - das Land wieder zusammenführen.
Das ist – wie der Erdrutschsieg der Schottischen Nationalpartei zeigt – stärker gespalten als zuvor. Und es ist beunruhigend, dass Großbritannien nördlich wie südlich des Hadrianswalls unter dem Druck der überwiegend rechten Presse im Kern nationalistisch abgestimmt hat: die Schotten, indem sie die SNP, die Engländer indem sie die Konservativen wählten, die sich mehr und mehr als vorrangig englische Interessenvertretung verstehen.
Neugründung Großbritanniens als Föderalstaat?
Vermutlich kann nur noch eine konstitutionelle Neugründung Großbritanniens als Föderalstaat die Schotten von ihrem endgültigen Weg in die Unabhängigkeit abbringen. Doch ein solch großer Wurf ist David Cameron nicht zuzutrauen. Heute sprach er von der "einen Nation" des Vereinigten Königreichs und demonstrierte damit nur das fehlende Bewusstsein dafür, dass es sich in Wahrheit um eine zunehmend brüchige Union aus vier Nationen handelt.
Von Cameron und seinen Konservativen ist leider auch nicht zu erwarten, dass sie das überholte Mehrheitswahlrecht reformieren. Schließlich haben sie erneut davon profitiert. Doch in der Mehrparteien-Realität mangelt es diesem Wahlrecht zunehmend an Legitimität. Es verzerrt den Wählerwillen zugunsten großer und regionaler Parteien.
Keine Reform des Mehrparteien-Wahrechts in Sicht
Außerdem führt es zum vorzeitigen Karriere-Ende politischer Talente, die den Sprung ins Parlament wegen einiger Dutzend Stimmen weniger nicht schaffen. Ein unnötiger Verlust für das Land und die betroffenen Parteien. Dieses Mal sind es vor allem Labour und Liberaldemokraten, die brutal vom Wähler und dem Wahlsystem abgestraft wurden.
Für Labour hat es nicht gereicht, weil die Partei mit ihrem linken Programm nur Stammwähler angesprochen hat, nicht aber – wie es Tony Blair einst vormachte - die Mitte der Gesellschaft. Und auch das Zünglein-an-der-Waage-Programm der Liberalen erschien dieser Mitte weder reizvoll noch realistisch.
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