Wahl in Frankreich

"Jetzt hat Macron die Boxhandschuhe ausgepackt"

Marine Le Pen und Emmanuel Macron sitzen sich in einem Fernsehstudio an einem runden Tisch gegenüber. Dazwischen die beiden Moderatoren.
Die Kandidaten für die zweite Runde der französischen Präsidentschaftswahl im TV-Duell: Marine Le Pen (Front National, links) und Emmanuel Macron (En Marche, rechts). © AFP
Jens Althoff im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Punktsieg für Emanuel Macron beim TV-Duell mit Marine Le Pen. Dennoch: Viele Wähler, die Le Pen und den Front National ablehnen, können sich auch nicht für den Linksliberalen Macron erwärmen. Eine Einschätzung von Jens Althoff, Leiter des Paris-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung.
Liane von Billerbeck: Gestern Abend sind sie aufeinandergetroffen, die beiden, die die Wahl um das Amt des französischen Präsidenten, der französischen Präsidentin unter sich ausmachen. Am Sonntag wird ja gewählt. Marine Le Pen vom Front National und Emmanuel Macron, der unabhängige Kandidat. Und wie er diesen Schlagabtausch erlebt hat, und wie er die Stimmung in Frankreich so kurz vor den Wahlen einschätzt, das will ich jetzt wissen von Jens Althoff. Er leitet das Frankreich-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung und ist jetzt in Paris am Telefon. Schönen guten Morgen!
Jens Althoff: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Gestern Abend das erste und einzige TV-Duell zwischen Macron und Le Pen – wie haben sich die beiden Ihrer Meinung nach geschlagen?

"Er ist ruhig geblieben"

Althoff: Geschlagen ist das richtige Wort. Das war ja keine wirkliche Debatte. Es ging da ja nicht um den Austausch von Argumenten und das Darlegen des besten Konzepts für die Zukunft von Frankreich. Es war wirklich ein Schlagabtausch, eine sehr hitzige Auseinandersetzung. Insbesondere Marine Le Pen hat von Anfang an darauf gesetzt, Macron zu diffamieren, ihn zu attackieren und möglichst auch mit vielen Schlägen unter der Gürtellinie.
von Billerbeck: 63 Prozent der Franzosen, so sagen es Blitzumfragen nach diesem Duell, sehen Macron vorn. Gibt es Ihrer Meinung nach einen Sieger?
Althoff: Ich glaube, das spiegelt wirklich sehr gut auch wieder, dass Macron eindeutig gestern der Punktsieger war, was eine große Leistung war. Macron hat ja diesen Auftakt in diese zwei Wochen Auseinandersetzung mit Le Pen am Anfang etwas verstolpert. Jetzt hat er aber wirklich die Boxhandschuhe ausgepackt und hat gestern da sehr klare Kante gezeigt. Vor allem hat er sich nicht aus der Reserve locken lassen trotz der permanenten Angriffe und auch sehr üblen Attacken von Marine Le Pen, sondern er ist ruhig geblieben, gelassen geblieben und hat sich da sehr staatsmännisch gezeigt.
von Billerbeck: Trotzdem sagen ja viele Journalisten, auch unsere, die darüber berichtet haben, inhaltlich brächte so ein Fernsehduell ja wenig. Was für eine Bedeutung hat so ein Schlagabtausch? Wir erleben das ja in vielen demokratischen Ländern, dass das so ein Ritual ist. Warum macht man das überhaupt?

Macron ist Marine Le Pen gewachsen

Althoff: So ein Schlagabtausch kann ja schon auch durchaus die Funktion haben, dass unterschiedliche Konzepte deutlich werden. Das ist bei allem gestern trotzdem auch durchaus möglich gewesen. Man hat das gemerkt, es gab sehr klare Gegensätze, was das Thema Europa angeht, vor allem auch, was das Thema angeht, Umgang auch mit der Frage offene Gesellschaft, liberale Werte. Es gab da sehr viele Punkte, wo klare, deutliche Unterschiede und Konfliktlinien zu sehen waren. Aber hier ging es vor allem auch darum, dass Macron zeigt, dass er hier einer Marine Le Pen gewachsen ist und dass er sich nicht aus der Reserve locken lässt, und dass er zeigt, er hat das Zeug zum Präsidenten von Frankreich.
Der Präsidentschaftsbewerber Emmanuel Macron bei einer Wahlkampfkundgebung in Paris am 1. Mai.
Der Präsidentschaftsbewerber Emmanuel Macron bei einer Wahlkampfkundgebung in Paris am 1. Mai.© AP - Christophe Ena
von Billerbeck: Wenn man die letzten Tage beobachtet, was da so diskutiert wird, dann hat man immer das Gefühl, die einen glauben, das Ding ist schon gelaufen, Macron hat die Wahl schon in der Tasche, den Sieg schon gewonnen. Das ist die eine Position. Und die anderen sagen, um Gottes willen, bloß aufpassen, sich nicht in Sicherheit wiegen, weil man erinnert sich an die Wahl von Trump, man erinnert sich an die Abstimmung über den Brexit, und da kann auf den letzten Metern noch allerhand passieren. Wie sehen Sie das, wie ist das mit der Wählermobilisierung vor dem Sonntag?
Althoff: Ja, es ist tatsächlich so, wie Sie es gerade auch gesagt haben. Eine Wahl ist eine Wahl, und wenn es nur zwei Alternativen gibt wie jetzt in dieser Endrunde am Sonntag, dann kann auch eine der beiden Alternativen klar gewinnen. Vor allem ist hier in den letzten Tagen eine sehr ungute Stimmung entstanden mit einer Diskussion, keine Stimme für Le Pen, aber auch keine Wahl von Macron. Dazu haben auch wichtige gesellschaftliche Akteure und auch politische Akteure beigetragen. Gewerkschaften, einige große, die zwar aufgerufen haben, nicht Le Pen zu wählen, aber gleichzeitig sich nicht durchringen konnten, klar dazu aufzurufen, für Emmanuel Macron zu stimmen.

Vielen TV-Zuschauer gingen die Augen auf

Es gab den ja in der ersten Wahlrunde erfolgreichen Politiker Jean-Luc Mélenchon vom Unbeugsamen Frankreich, früher Chef der Linkspartei, der auch nicht klar aufrufen wollte, Macron zu wählen, aber auch auf dem konservativen Flügel, etwa die katholische Kirche, im Unterschied zu 2002. Auch sie wollte keine klare Wahlempfehlung aussprechen, nicht mal aufrufen, gegen Le Pen zu wählen. Und da ist eine sehr ungute Diskussion entstanden, von wegen, man wolle sich nicht unter Druck setzen lassen oder erpressen lassen, man müsse jetzt für Emmanuel Macron stimmen, und wolle deswegen sich enthalten. Aber ich muss sagen, ich bin etwas optimistischer nach dem Duell von gestern Abend, weil ich glaube, es ist doch noch mal auch vielen Französinnen und Franzosen deutlich geworden, was das heißen würde, eine Präsidentin Marine Le Pen.
von Billerbeck: Ihren Optimismus in Gottes Gehörgang, möchte ich sagen. Trotzdem ist ja die Frage, wenn es da so viele gesellschaftliche Gruppen gibt, die sagen, weder das eine noch das andere, dann kann es ja bedeuten, dass die Nichtwähler am Ende die Wahl entscheiden.
Althoff: Das ist immer noch ein Risiko, insbesondere auch, da der 8. Mai, der Montag nach dem Wahlsonntag am 7. Mai, ein Feiertag ist. Da wird ja hier die Kapitulation Deutschlands gefeiert, das Kriegsende, und das könnte durchaus immer noch ein Risiko sein, dass viele Wählerinnen und Wähler glauben, sowieso hat Macron den Sieg schon in der Tasche, und ohnehin hätte ich ihn jetzt auch nur mit zusammengebissenen Zähnen wählen können. Deswegen fahre ich doch lieber weg über das verlängerte Wochenende, das wird ja trotzdem alles gut gehen. Hier gibt es immer noch ein Risiko. Andererseits muss ich auch sagen, dass es beeindruckend ist, welche lebendige gesellschaftliche Debatte hier gerade in Frankreich stattfindet. Das heißt, auch das wird sehr umfangreich von sehr vielen Intellektuellen, Medien, zivilgesellschaftlichen Gruppen immer wieder thematisiert, sodass hier auch darüber durchaus noch eine Mobilisierung stattfindet.
von Billerbeck: Das heißt, Macron wird in den französischen Medien nicht so positiv dargestellt wie in vielen deutschen. Frage an Sie: Die Präsidentschaftswahl ist das eine. Wird am Ende die Parlamentswahl der noch größere Brocken werden?
Althoff: Erstmal muss Macron wirklich ja gewählt werden und diese Hürde schaffen. Dann, Sie haben vollkommen recht, dann kommt die nächste große Hürde. Es ist noch nicht abzusehen, dass es Macron gelingt, mit seiner neuen Bewegung gleich eine Mehrheit im Parlament zu bekommen. Und das wird tatsächlich dann die Frage aufwerfen, mit wem er wie regieren möchte. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass die Konservativen dann eine Mehrheit bekommen und es dann eine Zusammenarbeit gibt, eine sogenannte Cohabitation. Also da sind noch sehr viele Fragen offen, und es ist auch noch ein sehr langer Weg für Emmanuel Macron, wirklich eine Mehrheit der Französinnen und Franzosen von sich zu überzeugen. Weil die, die jetzt für ihn wählen werden, die tun es zu sehr großen Anteilen vor allem auch, um eine Marine Le Pen als Präsidentin der Republik zu verhindern.
von Billerbeck: Jens Althoff war das über die Stimmung vor den französischen Präsidentschaftswahlen am Sonntag. Er leitet in Paris das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung. Herr Althoff, ich danke für Ihre Einschätzungen!
Althoff: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigenverantwortlich.
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