Wahl des Verfassungsrichters als Politikum

Von Gudula Geuther · 14.02.2008
Normalerweise geht die Wahl eines Verfassungsrichters relativ geräuschlos vonstatten. Nicht so im Fall Horst Dreier: Die Union lehnt Dreier aus inhaltlichen Gründen ab, wegen seiner Haltung zur embryonalen Stammzellforschung und zum Folterverbot. Die Kritik teilen auch die Kirchen und Amnesty International.
Was die Union - und im übrigen auch die katholische Kirche - zu Anfang vor allem störte, war die Haltung Dreiers zum ungeborenen Leben. Der noch nicht eingenistete Embryo unterliegt nach seiner Vorstellung nicht dem Schutz der Menschenwürde. Unter anderem, weil Dreier die Ansicht vertritt, mit dem unantastbaren Gut der Menschenwürde müsse man vorsichtig umgehen. Je weiter man den Begriff definiere, desto eher könne man dann gezwungen sein, die Menschenwürde einzuschränken, und das dürfe man nicht. Praktische Folge dieser Annahme ist, dass er umstrittene Maßnahmen wie die Forschung an überzähligen Embryonen für Heilungszwecke oder die Stammzellgewinnung für unter bestimmten Umständen möglich hält.

In der Union ist man sich in dieser Frage nicht einig. Das Bundesverfassungsgericht hat noch nicht darüber entschieden. Trotzdem gab dieser Punkt wohl zuerst den Ausschlag für das "Nein".

Einzelne Unionspolitiker stören sich auch daran, dass Dreier das Christentum oder generell die Religion verfassungsrechtlich nicht als Basis deutscher Grundwerte ansieht.

Die öffentliche Diskussion aber wird von einem anderen Thema bestimmt: Angeblich soll Horst Dreier in Extremsituationen die Folter für möglich halten. Das ist ein recht weitgehender Schluss aus einem einzelnen Satz in seiner Kommentierung zum Grundgesetz. Auch da geht es um die Menschenwürde.

Mehrfach betont er, dass die nicht abwägbar ist. Das ist keine theoretische Frage. Dahinter steckt für die meisten juristisch bewanderten Leser der Fall Daschner. Der Fall also des Frankfurter Polizeivizepräsidenten, der einem Entführer Folter androhte. Weil er - was sich im Nachhinein als falsch herausstellte - glaubte, so das Leben eines Kindes retten zu können. Dreier äußert sich dazu nicht direkt. Eine Abwägung des Lebens gegen die Menschenwürde - mit dem möglichen Ergebnis: pro Folter - lehnt er ab.

Eines will er aber - abstrakt - nicht von vornherein ausschließen: Wenn die Menschenwürde des Opfers gegen die des Täters stehe, könne es im Einzelfall sein, dass man der des Opfers den Vorzug geben dürfe. Damit muss nicht die Folter gemeint sein.

Kritiker aber sagen: Wer angesichts der damaligen Diskussion so allgemein die Rechtfertigung für möglich hält, will die Folter nicht ausschließen. Zumal Dreier in einer Fußnote auf einen seiner Schüler verweist, der genau das sagt. Andere halten die Diskussion für völlig übertrieben. Hier werde ein Satz aus dem Zusammenhang gerissen, so könne man nicht mit einer wissenschaftlichen Diskussion umgehen.

Wie immer die inhaltliche Bewertung aussieht: Der Name Dreier wurde von der SPD zu früh als Konsenskandidat ins Spiel gebracht - bevor die Union tatsächlich zugestimmt hatte. Möglicherweise hat auch dieser Faux Pas etwas zur Bewertung durch die Union beigetragen.

Hören Sie zu dem Thema auch ein Gespräch mit dem Rechtsexperten Stephan Detjen. MP3-Audio