Wahl des EU-Parlamentspräsidenten

Auftakt für mehr Transparenz?

Blick in den Saal des EU-Parlaments während einer Abstimmung am 20.5.15
Abgeordnete des EU-Parlaments während einer Abstimmung am 20.5.15 © dpa/Patrick Seeger
Gabi Zimmer im Gespräch mit Nana Brink · 17.01.2017
Das Europäische Parlament wählt heute einen neuen Präsidenten. Bislang wurde das Amt stets zwischen Sozialdemokraten und Konservativen "ausgekungelt". Doch diesmal gibt es sieben Kandidaten. Für die EU-Abgeordnete Gabi Zimmer (Linke) ist das neue Verfahren eine Stärkung der Demokratie.
Gabi Zimmer, EU-Abgeordnete der Linken, sieht in dem neuen Verfahren, das Kandidaten aller Parteien bei der Wahl des neue EU-Parlamentspräsidten zulässt, keine Schwächung. Es sei eine eindeutige Verbesserung, verglichen mit der früheren Situation, in der Sozialdemokraten und Konservative alles immer unter sich ausgemacht hätten.
Die Spitzenkandidatin Gabi Zimmer während des Parteitags der Linkspartei in Berlin. 
EU-Abgeordnete der Linken Gabi Zimmer © picture alliance / dpa / Hannibal Hanschke
Die Wahl des EU-Parlamentspräsidenten sei mehr "als die Wahl des Bundespräsidenten" – denn mit der Kandidatur sollten auch die unterschiedlichen Vorstellungen von Europa-Politik präsentiert werden. Es komme vor allem auf das Selbstverständnis des Parlamentes an: sich nicht nur auf die Rolle zu reduzieren, das, was die Kommission gegen den Europäischen Rat durchsetzen wolle, "als Background" zu unterstützen.
"Die spannende Frage wird jetzt sein: Ist die Wahl nur eine Ausnahmeerscheinung, dass wir offen miteinander debattieren, dass keine Fraktion mehr ausgegrenzt wird? Das betrifft ja zum Beispiel auch unsere, die Linke-Fraktion. Oder ist das der Auftakt für eine öffentliche Debatte, für eine breite Debatte, für Transparenz?"
Denn was nütze es, EU-Abgeordnete mit Mitteln und Möglichkeiten, sich Wissen zu beschaffen, auszustatten, wenn sie dann bei Parlamentsdebatten außen vor gelassen würden?

Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Wir haben die Leitung wieder hinbekommen, und zwar zu Gabi Zimmer, der Vorsitzenden der Fraktion der Vereinigten Linken im Europaparlament. Und wir wollen sprechen über die Nachfolge von Martin Schulz, seit fünf Jahren ist er ja Präsident des Europaparlaments, heute wird sein Nachfolger beziehungsweise seine Nachfolgerin gewählt. Sieben Bewerber haben sich schon gemeldet, die meisten ohne Chance, also, da wird es richtig spannend! Aber erst mal sage ich guten Morgen, Frau Zimmer!
Gabi Zimmer: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Sie sitzen ja seit 2004 im Europaparlament. Haben Sie so eine offene Abstimmung wie heute schon mal erlebt?
Zimmer: Nein. Nein, das Ergebnis stand immer vorher fest, weil die beiden großen Parteien sich verabredet hatten und sich auf einen Kandidaten geeinigt haben. Und dann war der erste Wahlgang eigentlich mit klarem Ausgang vorprogrammiert.

Diskussionsprozesse in Gang bringen

Brink: Nun, das Gerangel um die Schulz-Nachfolge war ja groß in den letzten Wochen, viele Beobachter sagen, dieses Kandidatenkarussell ist ja eigentlich eine Farce, das hat zum Beispiel ein Kommentator der ARD gesagt, und es offenbart tiefe Schwächen des Europaparlaments. Wie sehen Sie das?
Zimmer: Ich sehe das nicht ganz so. Ich sehe das erst mal so, dass ein deutliches Signal seitens der Sozialdemokraten gegeben worden ist, dass sie begriffen haben, dass die Entscheidung, eine solche große Koalition zu bilden und letztendlich mit den Konservativen alle wichtigen Entscheidungen schon vorab zu beraten, dass die nach hinten losgegangen ist. Begründet haben sie es ja immer damit, dass sie vermeiden wollten, dass der hohe Anteil an rechtsextremen Abgeordneten innerhalb des Parlamentes an Einfluss gewinnt, Einfluss auf Entscheidungen nehmen kann. Einschätzen müssen sie jetzt, dass das Gegenteil bewirkt worden ist.
Und die spannende Frage wird ja sein: Ist die Wahl nur eine Ausnahmeerscheinung, dass wir offen miteinander debattieren, dass keine Fraktion mehr ausgegrenzt ist? Das betrifft ja zum Beispiel auch unsere Fraktion, die linke Fraktion. Oder ist das der Auftakt zu einer öffentlichen Debatte, für eine breite Debatte, für Transparenz? Weil, wenn ich es mir genau anschaue: Es bringt doch nichts, wenn ich Europaabgeordnete gut ausstatte, wenn ich ihnen alle Möglichkeiten einräume, dass sie sich Wissen besorgen können, dass sie Studien vergeben können, dass sie Menschen beschäftigen können, wenn dann aber letztendlich das gesamte Wissen und das Wissen und die Kenntnisse, die sie auch aus den Ländern mitbringen, im Parlament dann nicht mehr gleichberechtigt einfließen kann.

Spannung vor den Wahlgängen

Brink: Also, das Diskutieren ist ja schön, aber es geht ja auch dann darum, was man durchsetzen kann. Ist es nicht auch ein Manko, dass man nicht sich auf einen Kandidaten oder eine Kandidatin einigen konnte? Das konnte man, Sie haben ja auch jemanden aufgestellt. Das ist doch genau das Bild von Zersplitterung, was so viele Menschen auch wegtreibt von der EU.
Zimmer: Nein, aber das haben Sie doch in allen anderen Parlamenten auch. Es geht hier nicht um einen Bundespräsidenten, wo sich vorher Parteien einigen, politische Familien einigen. Mir geht es darum, mit der Kandidatur auch gleichzeitig die unterschiedlichen Vorstellungen zu präsentieren, also nicht nur zu sagen, es ist eine formale Frage, dass wir jetzt alle einen Kandidaten aufgestellt haben, sondern zu sagen, was verbinden wir mit ihm.
Wir haben erstmalig erreicht, dass der große Anteil der Kandidaten auch in die verschiedenen Fraktionen vorher gekommen ist, sich vorgestellt hat, dass wir miteinander diskutiert haben. Das ist seit zumindest in dieser Wahlperiode, auch zu Beginn dieser Wahlperiode nicht passiert und das halte ich schon für einen erheblichen Fortschritt. Ich bin mir sicher, das Wahlsystem ermöglicht doch auch, dass wir auf die entsprechenden Abstimmungsergebnisse reagieren können. Die Fraktionen haben unterschiedliche Strategien beschlossen, manche werden nach dem zweiten Wahlgang miteinander reden, ob man aus den Erkenntnissen der vorherigen Abstimmung versucht, dann Allianzen zu bilden. Wir haben gesagt, wir unterstützen unsere Kandidatin so lange, wie es geht, wissen aber, wenn es zu einer entscheidenden vierten Runde kommt, wäre sie möglicherweise – so realistisch sind wir dann auch – nicht mehr dabei. Und wir waren natürlich auch gezwungen …
Brink: Und für wen entscheiden Sie sich dann?
Zimmer: Das ist noch offen, das ist noch offen. Das sagen wir auch ganz deutlich. Wir haben natürlich eine große Tendenz hin zur Unterstützung eines sozialdemokratischen Kandidaten, aber das ist nicht von vornherein jetzt gesetzt. Wir müssen ja auch sehen, wer dann gegen wen steht. Steht dann zum Schluss die Abstimmung zwischen einem sozialdemokratischen und einem konservativen Kandidaten? Ein Konservativer, der sich von den Rechtsextremen mitwählen lässt oder so.
Brink: Noch mal zum Thema Wege des Präsidenten und der Macht. Der jetzt scheidende Präsident, also Martin Schulz, hat ja unverhohlen schon, ja, kann man auch sagen, Kritik ein bisschen geübt an diesem Verfahren. Er hat gesagt, es besteht ein Risiko, dass es künftig schwerer wird für die EU-Kommission, in den vergangenen zweieinhalb Jahren, im Zentrum der europäischen Politik zu stehen, auch für das Parlament, dazu braucht es jemanden, der auch Macht hat. Ja, ist das abzusehen oder wird das Amt nicht auch beschädigt und geschwächt?

Statthalter der EU-Kommission?

Zimmer: Nein, ich denke, das hängt sehr erstens von den Abgeordneten insgesamt ab, natürlich auch vom künftigen Präsident oder der Präsidentin. Aber der Punkt ist doch folgender: Wenn das Europaparlament sich auf die Rolle reduziert, das, was die Kommission in Auseinandersetzung mit dem Rat durchsetzen möchte, dass wir letztendlich der Background dafür sind, dass wir das zu unterstützen haben, dann verkommt auch die Auseinandersetzung zwischen Kommission und Parlament zu einer Farce. Das haben wir jetzt erlebt. Wir haben erlebt, dass auch die Kommission, obwohl sie in bestimmten Punkten dann voll auf die Unterstützung des Parlaments gesetzt hat, dem Parlament gegenüber aber wieder doch sehr zurückhaltend war, was den Zugang zu Unterlagen betraf, was Aussagepflicht betraf.
Da habe ich immer das Gefühl gehabt, da wurde uns gegenüber auch aufgetreten, als seien wir letztendlich nur Statthalter oder hätten Dinge umzusetzen und man müsste nicht mit uns über alles diskutieren. Und ich finde, wenn es schon so ist, dass in der Europäischen Union die Mitgliedsstaaten untereinander ein unterschiedliches Gewicht haben, wenn dann auch noch signalisiert wird, dass die unterschiedlichen politischen Familien, die Abgeordneten im Parlament ein unterschiedliches Gewicht haben, dann ist das nicht in Ordnung, dann ist das kein Beitrag für die Demokratie. Das merken ja auch die Wähler und Wählerinnen.
Brink: Vielen Dank, Gabi Zimmer, Vorsitzende der Fraktion der Vereinigten Linken im Europäischen Parlament.
Zimmer: Ich bedanke mich auch!
Brink: Vielen Dank für das Gespräch, heute wird der Nachfolger des EU-Parlamentspräsidenten gewählt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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